AnatolGogol hat geschrieben: 6. Oktober 2024 11:53
Casino Hille hat geschrieben: 5. Oktober 2024 20:52
Flughafendirektor Mel Bakersfield muss nicht nur diese Probleme lösen
Bakersfeld, mein lieber Hille, Bakersfeld!
Ach du scheiße! Wie ist mir denn das passiert? Aber immerhin habe ich den Namen dann auch wirklich konsequent falsch geschrieben, dann geht's ja wieder.
Ich hab das mal korrigiert! Genau wie die falsche Seitenanzahl der literarischen Vorlage, da hatte ich mich vertippt. Meine Ausgabe des Romans zählt 690, also knapp 700 Seiten, nicht wie vorher fälschlicherweise angegeben 800.
AnatolGogol hat geschrieben: 6. Oktober 2024 11:53
Siehst du die Seberg wirklich als darstellerische Weltklasse an?
Ja, in der Tat. In "Die Maus, die brüllte", "Außer Atem", "Die Frauen sind an allem schuld", "Der Schuss" (absoluter Geheimtipp!), "Airport", "Brennende Haut" und "Das Attentat" finde ich sie große Klasse. Die Seberg wirkt auf mich nicht nur charismatisch und sehr attraktiv, sie bringt eigentlich auch immer eine große Tiefe in jede Rolle mit rein, selbst in die, die das auf den ersten Blick vielleicht eigentlich nicht so hergegeben hätten.
In "Airport" könnte ihr Charakter in den Händen einer sehr viel weniger fähigen Schauspielerin schnell dazu führen, in ihr ein melodramatisches Klischee zu sehen: die in den Chef verliebte Angestellte, die ihm einerseits verfallen ist, aber andererseits aufgrund ihrer Pflicht auch manchmal gegen das eigene Gefühl handeln muss. Seberg bringt die Facetten dieser Figur aber sehr überzeugend rüber und zeigt in "Airport" auch ihre Vielseitigkeit: Gegenüber Lancaster tritt sie verletzlich, aber mit vorgeschobener Professionalität auf, während sie gegenüber der herrlichen Ada Quonsett dann eben auch die Führungskraft mehr zeigen kann (und trotzdem wird klar, dass sie von der frechen Vorgehensweise der Seniorin aufgrund ihrer eigenen Regelvernarrtheit sich auch persönlich ein wenig angegriffen fühlt).
AnatolGogol hat geschrieben: 6. Oktober 2024 11:53
Casino Hille hat geschrieben: 5. Oktober 2024 20:52
Besonders Lancaster ruft eine Bestleistung seiner Karriere ab, auch wenn er sich später abfällig äußerte.
Da weiss ich auch nicht, ob ich da zustimmen würde. Zwar fällt es mir tatsächlich schwer, bei Lancaster
die herausragende schauspielerische Leistung seiner Karriere zu benennen (was aber nicht bedeutet, dass es nicht genügend Kandidaten dafür gibt - es ist tatsächlich eher das gleichbleibend hohe Niveau, das er über nahezu seine gesamt Karriere gehalten hat), aber Airport sticht da zumindest für mich nicht heraus. Da würde ich ihn (mindestens) in Vera Cruz, Judgement at Nuremberg, Birdman of Alcatraz und The Train dann doch nochmal stärker sehen.
In "The Train" und dem von dir unterschlagenen "Verdammt in alle Ewigkeit" ist Lancaster ebenfalls unschlagbar, und wenn ich wirklich DIE herausragende Leistung in seiner Filmografie wählen müsste (also mit Pistole an der Schläfe), dann würde ich vielleicht seine oscargekrönte Performance in "Elmer Gantry" nennen. Aber "Airport" kommt dann quasi direkt danach. Die Rolle ist weniger typisch preiswürdig, soll heißen, er bekommt hier kaum große Ausbrüche, auf die sie bei Preisverleihungen so abfahren. Allerdings tritt Lancaster eben in so vielen Momenten sehr schön subtil auf und findet immer kleine Nuancen, die sein Spiel oft faszinierend machen. Richtig toll fiel mir die Szene auf, als er mit seiner Gattin telefoniert und dabei ein paar kleine Rückblenden eingespielt werden. Da sitzt wirklich jeder Blick. Man könnte es ohne Ton abspielen und es wäre nur mit Blick auf Bakersfeld alles gesagt, was man nur sagen kann. In dem Sinne ist das für mich dann schon eine herausragende schauspielerische Leistung - aber eben nur
eine und natürlich nicht
die.
AnatolGogol hat geschrieben: 6. Oktober 2024 11:53
Ein Erdbeben oder Flammendes Inferno mag sich für seine Figuren nicht ganz so viel Zeit nehmen wie Airport, aber legt diesbezüglich dennoch ebenfalls ein sehr solides Fundament, welches sich für den anschliessenden zentralen Katastrophenplot als umso effektiver auszahlt. Der Unterschied ist am Ende dann wohl tatsächlich, dass die figürliche Ausarbeitung und Entwicklung in Airport sehr wohl für sich selbst seht und stehen kann, während sie im "klassischen Katastrophenfilm" zumeist eher als Ausgangsbasis, oder Katalysator des eigentlichen filmischen Zentrums, eben der Katastrophe und ihrer Folgen, dient.
Das ist sehr schön gesagt und verfeinert das, worum es mir ging. "Airport" könnte als Film auch ohne die Bombenexplosion und die somit erfolgende "Katastrophe" problemlos funktionieren, weil das Figurenensemble und die Qualität der unterschiedlichen Handlungsstränge stark genug ist. Es ist ja auch so, dass zwei der vier Hauptfiguren von der Katastrophe selbst eigentlich gar nicht betroffen sind. Also sicher, würde das Flugzeug jetzt auf den Flughafen krachen, wäre das für Lancaster und Seberg nicht optimal, aber richtig in Gefahr sind sie eigentlich nicht. Und das unterscheidet "Airport" schon sehr von vielen anderen Katastrophenfilmen, die den "Aufbau" bzw. die Etablierung der Charaktere schon hauptsächlich mit dem Ziel vor Augen leisten, so die Fallhöhe für ihr späteres Leiden / ihren späteren Überlebenskampf zu erhöhen, während "Airport" den Bombenplot eher nutzt, um alle Figurenstränge am Ende in irgendeiner Form zu vereinen und zusammenlaufen zu lassen.
Was würdest du eigentlich sagen: Wodurch erklärt sich der damalige finanzielle Erfolg des Films? Gerade im Hinblick dessen, dass das Anti-Establishment-Kino des New Hollywoods gerade dominierte und viele eher klassische Produktionen sich an der Kasse schwergetan haben. Wenn man Kritiken aus dem Jahr 1970 liest, dann stellt man schnell fest, dass "Airport" schon zu seiner Entstehungszeit als altmodisch wahrgenommen wurde. Kam der Erfolg daher, weil durch das Star-Ensemble und die bekannte Romanvorlage jene angesprochen wurden, die sich im sonstigen Gegenwartskino nicht wiederfanden? Roger Ebert schrieb: "'Airport' verfügt über eine innere Uhr, die – so schätze ich – etwa 1939 zum Stillstand kam."
AnatolGogol hat geschrieben: 29. September 2024 08:34
Es macht einfach großen Spass den charismatischen Hochkarätern Lancaster und Martin bei ihrem so selbstverständlichen Agieren zuzuschauen. Wenn man hier etwas bemängeln könnte, dann eigentlich nur, dass bei diesen selbstbewussten Alphatieren nie wirklich der Hauch eines Zweifels aufkommt, dass sie ihren Aufgaben nicht gewachsen wären. Aber auch das taugt nicht wirklich als Negativaspekt, da der Film trotzdem ein vergleichsweise hohes Spannungsniveau hat - zumindest in bestimmten Sequenzen.
Da ist tatsächlich einerseits was dran, andererseits ist "Airport" oft auch gar nicht wirklich auf richtige Suspense aus, sondern bezieht seine innere Spannung eher aus den zwischenmenschlichen Konflikten (daher dann vielleicht auch die Seifenoper-Vergleiche). Ganz stark ist mir jetzt wieder die Szene präsent geworden, in der Bisset gegenüber Martin von ihrer Schwangerschaft erzählt. Das ist eine großartige Szene, in der ich genau in den Gesichtern der beiden verfolgen kann, wie sich ihre Gedanken überschlagen, und die Tatsache, wie sehr beide selbst gerade von der Situation überfordert sind, macht es dann auch auf eine Art "spannend" zu verfolgen.
Man muss hier auch noch mal erwähnen: Es ist richtig klasse, wie Seaton die finale Katastrophe inszenatorisch herausstellt. Bis dahin hat der Film mühelos und in einem sehr hohen Tempo zwischen mehreren Schauplätzen und Handlungsbögen hin und her gewechselt, hat geradezu lässig sein Ensemble begleitet und genug Split-Screen-Aufnahmen geliefert, dass es für drei Doris-Day-Filme reicht. Aber sobald es dann wirklich um die Landung des beschädigten Fliegers geht, gilt die Konzentration vollständig dem Cockpit von Nelson und Martin. Und wie Seaton dann immer weiter verdichtet, ist top: der belebte Passagierraum wirkt angesichts der gesenkten Häupter plötzlich wie ausgestorben, die Wolken entfernen jeden visuellen Kontext; sodass der Blick durch die Cockpit-Fenster keine Orientierungsmöglichkeit mehr bieten, und dann werden auch noch unerbittlich die Minuten runtergezählt ... Das hat Klasse! Und die Szene wirkt gerade deshalb so spannend, weil sie im deutlichen Kontrast zu den 120 Minuten zuvor steht.
AnatolGogol hat geschrieben: 29. September 2024 08:34
Schauspielerisch weiss vor allem Maureen Stapelton zu überzeugen
Sie hat auch irgendwie die dankbarste Rolle von allen im Film: Was ihrer Figur widerfährt, ist wirklich tragisch, und trotzdem ist sie die einzige Person in "Airport", die für ihre Misere nicht zumindest in Teilen selbstverantwortlich ist. Die anderen Probleme erwachsen sich ja größtenteils aus selbstverschuldeten Affären und Eheproblemen, aber Stapleton kann nur leidend mit ansehen, was passiert, und ja, das ist von ihr wirklich sehr eindringlich gespielt, und auch sie war vollkommen berechtigt dafür oscarnominiert.
AnatolGogol hat geschrieben: 6. Oktober 2024 11:53
Meine Gratulation zu deinem gigantischen Text! Es freut mich vor allem, dass du dem grossen Alfred Newman soviel Augenmerk gewidmet hast, der hier wahrlich nochmal zu einem finalen ganz grossen Schlag ausgeholt hat! So wirklich in deinen Text "reinbeissen" fällt mir natürlich insofern schwer, als dass wir die meisten und vor allem die wesentlichen Dinge ja doch nahezu identisch sehen!
Danke schön, und ja, wir sind wirklich erschreckend nah beieinander (obgleich ich in Punkten sogar einen ganzen Punkt mehr vergeben würde, was sich rational nicht begründen lässt, aber mir liegt das Teil einfach am Herzen). Mal sehen, wie ähnlich wir dann die drei Sequels begutachten werden. Auch wenn ich bei Teil 1 jetzt etwas länger gebraucht habe, freue ich mich schon wie Bolle auf die weiteren Filme.
Der großartige Alfred Newman hat mit meiner immensen Begeisterung für das Original einfach sehr viel zu tun. Obwohl ich von Musik keine Ahnung habe und das auch gerne zugebe (ich kann vom Klang her selbst manche Instrumente kaum auseinanderhalten), ist die Musik von "Airport" für mich etwas besonderes. Diese Ouvertüre ist sogar eines meiner absoluten Lieblingsstücke Filmmusik überhaupt, und das allererste, was ich im Sinn habe, wenn ich an den Film denke. Also in jedem Fall schön, dass sich der Großmeister noch mal mit einem Kracher verabschiedet hat.
Anatol, hast du eigentlich "Menschen im Hotel" alias "Grand Hotel" von 1932 gesehen? Dessen Vorbildstellung für "Airport" ist meines Erachtens so überdeutlich (und wurde interessanterweise schon 1970 in einigen Rezensionen hervorgehoben), dass ich inspiriert durch unseren beginnenden Airporthon jetzt auch Lust bekommen habe, mir den noch einmal anzuschauen.