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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Largo Winch: Tödliches Erbe
Manchmal ist der Weg auf die Leinwand lang. Als 2008 mit „Tödliches Erbe“ zum ersten Mal die Figur des Largo Winch es in die Kinos schaffte, hatte der Charakter schon einunddreißig Jahre auf dem Buckel. Sein Schöpfer, der belgische Autor Jean Van Hamme, hatte ihn Mitte der 70er Jahre als Comicfigur erfunden. Das „Tintin“-Comicmagazin (bekannt für die Abenteuer von „Tim und Struppi“) wollte in den US-amerikanischen Markt expandieren und Largo Winch sollte der darauf zugeschnittene Held werden. Als mysteriöser Milliardär, der sein Vermögen für das Bekämpfen von Verbrechern einsetzt, erinnert er entfernt an Bruce Wayne und sein Alter Ego Batman. Mit Winch als Protagonisten Wirtschaftskrimis zu erzählen, gefiel Van Hamme gerade deshalb gut, weil er so sein ökonomisches Fachwissen nutzen konnte.
Aus den Comics wurde vorerst nichts, doch von 1977 bis 1980 schrieb Van Hamme sechs „Largo Winch“-Romane, die vor allem in Frankreich für Aufsehen sorgten: der Schreibstil war roh, explizite Gewaltschilderungen und sehr viel Sex dominierten die Leseerfahrung. Die teils wirklich komplexen Geschichten gerieten da beinahe in den Hintergrund. 1990 klappte es dann doch noch mit dem Comic: In Zusammenarbeit mit Zeichner Philippe Francq wurden erst die Romane in das Format übertragen, später folgten neue Geschichten – Sex und Gewalt fuhr man in den Comics allerdings stark zurück. Dem großen Erfolg folgte 2001 eine recht kurzlebige TV-Serienadaption und 2002 mit „Largo Winch: Empire Under Threat“ ein erfolgreiches Computerspiel.
Schon zu dem Zeitpunkt hatte der Drehbuchautor Jérôme Salle Interesse daran, dem Milliardenerben auf die Leinwand zu helfen, doch um das aufwendige Projekt zu finanzieren, fehlte ihm die Reputation. Erst 2005, als sein Regie-Debüt „Anthony Zimmer“ (auch als „Fluchtpunkt Nizza“ bekannt) die europäische Filmkritik überzeugte und er für einen César nominiert wurde, konnte er das Projekt verwirklichen. 24 Millionen Euro nahm die Produktion in die Hand, gedreht wurde u. a. in Hongkong, Bosnien und Herzegowina und auf Malta. Da die Romane und Comics in Deutschland weitgehend unbekannt waren, erschien der Film dort abseits vom Fantasy Filmfest 2009 nur auf DVD und Blu-ray.
Auch ganz ohne vorherige Berührungspunkte lohnt sich aber die Begegnung mit Largo Winch, schließlich verfilmt Salle die ersten paar Comic-Bände und erzählt somit die Ursprungsgeschichte der Figur. Die beginnt mit einem Mord: Nerio Winch, milliardenschwerer Medienmogul, wird auf seiner Jacht im Hafen von Hongkong überfallen und ertränkt. Für die Weltöffentlichkeit sieht es wie ein Unfall aus. Der Winch Konzern sieht sich jetzt mit großen Problemen konfrontiert: Der zwielichtige Waffenhändler Mikhail Korsky will die Firma mit einem hinterhältigen Börsencoup übernehmen und die stellvertretende Geschäftsführerin Ann Ferguson muss befürchten, dass sich der Vorstand im Kampf und Nerios Nachfolge gegenseitig an die Gurgel geht.
Doch überraschenderweise hatte Nerio vorgesorgt. Da er selbst kinderlos blieb, hatte er vor Jahren in Jugoslawien einen Waisenjungen adoptiert und heimlich in allem ausgebildet, was es für die Welt der Hochfinanz braucht. Zu Beginn des Films treibt dieser mittlerweile erwachsene Mann – noch weiß er nicht, dass er soeben zum Erben geworden ist – um die Welt, lässt sich hier und da in Schlägereien und Liebesaffären verwickeln und landet dabei auch mal im Gefängnis. Largo-Darsteller Tomer Sisley überzeugt dabei von Anfang an mit Charisma und Sex-Appeal, entpuppt sich so als Entdeckung. Er lernte für die Rolle nicht bloß serbisch, sondern führte auch beinahe alle seine teils gefährlichen Stunts selbst aus.
Mit der Comicfigur hat er optisch nur wenig zu tun – diese hatte Philippe Francq damals an das Aussehen von Patrick Swayze angelehnt. Doch Salle ist den Romanen ohnehin näher als den Comics, zeigt bei Morden blutige Einschusslöcher und scheut weder Sexszenen noch Nacktheit. Er macht dabei keinen Hehl darum, dass eines seiner Vorbilder die frühen Filme der „James Bond“-Reihe sind. Der stets gut gekleidete Jetsetter, der von Land zu Land und von einer Schönheit zur nächsten hüpft und nebenbei die Bösen ins Jenseits befördert, provoziert solche Assoziationen sowieso – zumal Winch schon in den Vorlagen eine Chef-Sekretärin namens Miss Pennywinkle beschäftigt, die wohl kaum zufällig an Bonds Miss Moneypenny erinnert.
Tatsächlich hatte sich 2008 die „James Bond“-Reihe den Inhalten der Largo-Winch-Geschichten gerade angenähert. Anders als in früheren Ablegern, in denen Superschurken von opulenten unterirdischen Hauptquartieren aus die Welt wahlweise erobern oder vernichten wollten, waren in den damals neuesten Filmen der Franchise, „Casino Royale“ und „Ein Quantum Trost“, die Strippenzieher skrupellose Kapitalisten, die vor allem das Ziel verfolgten, ihren eigenen Reichtum zu maximieren.
So kurz nach der Weltfinanzkrise traf „Largo Winch: Tödliches Erbe“ also den Zeitgeist damit, der gängigen Rezeptur des Actionabenteuerkinos zu folgen (heißt: Schusswechsel, Faustkämpfe, Stunteinlagen), aber die Sprengköpfe von einst durch Aktienpakete zu ersetzen. Als Largo sein Erbe nämlich antreten will, muss er erstmal seinen Anspruch geltend machen und außerdem die feindliche Übernahme verhindern. Dass es dabei auch Verräter in den eigenen Reihen gibt, ist so absehbar wie die Auflösung, welche Figuren es genau sind.
Visuell kann sich das Ergebnis wirklich sehen lassen. Salle inszeniert auf den Punkt und findet spektakuläre Bilder, einige Ortschaften (darunter eine kleine, halbkreisförmige Insel) lassen in Verbindung mit der durchweg dynamischen Kameraführung von Denis Rouden einen glatt ein weitaus höheres Budget für den Europa-Blockbuster vermuten. Gerade in den Actionszenen erweist sich Salle als wertvoller Bildgestalter. Man mag bei den schnell geschnittenen und zudem mit Handkamera gefilmten Verfolgungsjagden zwar an die Ästhetik der „Jason Bourne“-Filme denken – deren haptische Intensivität „Largo Winch“ bei aller Würdigung nicht erreicht –, doch es sollte dennoch nicht unterschätzt werden, wie wohlausgefeilt die einzelnen Aufnahmen arrangiert sind, sodass sie im Schneideraum dermaßen schlüssig ineinanderfließen können.
Wer keine tieferen BWL-Kenntnisse hat und die Börsenwelt generell als fremdes Paralleluniversum wahrnimmt, könnte in dem komplizierten Plot das ein oder andere Mal leicht stolpern. Zumal Salle das eh schon verworrene Narrativ noch durch eine Rückblendenstruktur aufbricht, in der schrittweise die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Largo und Nerio illustriert wird. Ein Hochgeschwindigkeitsactioner sollte daher nicht erwartet werden. Die Finanzkrimi-Hintergründe der Figur stehen klar im Vordergrund.
Spannend sind die Kontraste, die Salle in seinem Film eröffnet: Die eigentlich intime Geschichte rund um einen Adoptivsohn, der dem Vermächtnis seines Vaters gerecht wilden, kontrastiert er mit Hochglanzaufnahmen wunderschöner Schauplätze, begleitet von der pompösen Orchestermusik des französischen Star-Komponisten Alexandre Desplat. Für einige dieser Aufnahmen ging das Team hinter den Kulissen ein großes Risiko ein. In Hongkong erhielt man keine Drehgenehmigung, also filmte man die dort spielenden Actionszenen und Parkour-Stunts ohne offizielle Genehmigung mit einer kleinen Crew, in der einzelne Mitglieder abgestellt wurden, nach Polizisten Ausschau zu halten.
Trotz der stilvollen Oberflächenreize, dem charismatischen Hauptdarsteller und der erfreulich zackigen und doch pfiffigen Handlung lässt sich allerdings der Vorwurf nie ganz wegwischen, dass es sich bei „Largo Winch: Tödliches Erbe“ im Grunde um ein neoliberales Aufsteigermärchen handelt. Largo nutzt sein erworbenes Kapital – zumindest in dieser Geschichte – nicht, um damit anderen zu helfen, wie man es aus den eskapistischen Fantasien seiner ähnlich vermögenden Filmheld-Kollegen Batman oder Lara Croft aus „Tomb Raider“ kennt, sondern verteidigt hauptsächlich seinen eigenen Reichtum. Es war daher geschickt, stärker als in den Vorlagen seine arme Herkunft als Waise besonders zu betonen.
Aber auch das ändert nur wenig daran, dass zwar die Identifikation mit der Titelfigur gelingen mag, die Fallhöhe der Geschichte aber recht niedrig bleiben. Largo scheint an seinem Leben als kosmopolitischer Herumtreiber bereits einiges an Genuss zu empfinden, und zeigt – abseits von der Aufklärung des Mordes an seinem Vater – nur wenig Interesse an dem Leben, welches er sich laut der Handlung nun dringend verdienen und erhalten sollte.
Das restliche Darsteller-Ensemble bleibt eher blass. Kristin Scott Thomas spielt die stereotype Business-Frau, Karel Roden gab als böser Russe gleich nach seiner Darstellung in „Rock N Rolla“ 2008 schon den zweiten Abramowitsch-Abklatsch, und die hübschen Frauen Mélanie Thierry und Bojana Panić bleiben im Grunde auf ihre dekorativen Vorzüge als Bettgespielinnen reduziert. Für etwas Farbe sorgt einzig Benedict Wong als mürrischer Shareholder, der Jahre später im Marvel-Film „Doctor Strange“ seinen internationalen Durchbruch feiern sollte.
Nicht alles gelingt Salle im Verlauf der knappen 108 Minuten, den pulpigen Ursprüngen der Vorlagen kommt er aber nahe, was in Belgien auch überaus wertschätzend wahrgenommen wurde. Im Ausland diente „Largo Winch: Tödliches Erbe“ als nächstes Anschauungsbeispiel dafür, dass im europäischen Genrekino die Franzosen weiterhin tonangebend sind. So hinterließ der Film sein eigenes Erbe: Eine Fortsetzung namens „Die Burma-Verschwörung“ ließ nicht lange auf sich warten und ging praktisch kurz nach der Veröffentlichung des ersten Films in Produktion.
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