Casino Hille hat geschrieben: 7. Februar 2024 15:10
eigentlich guten Regisseur
Ich überlege, ob ich das nicht zurücknehme. Habe mir heute nochmal den ersten "Kingsman" angeschaut, den ich aus der Erinnerung heraus vor fünf oder sechs Jahren mit 5/10 bewertet hätte, was deutlich zu hoch gewesen ist. Es ist unglaublich, wie sehr dieser Film sich konstant selbstbeweihräuchert, "anders als andere Agentenfilme zu sein", dabei ist das vermeintlich "Ausgeflippte" an Vaughns Roger-Moore-Bond-Hommage nur kalkuliert, nie authentisch. Angeblich wollte er mit diesem Film ja die Leichtigkeit zurück ins Agentenkino bringen, und glaubt man einigen "Kingsman"-Fans, hat er das ja auch geschafft, aber ich erkenne da nur einen sehr zynischen und in seinem Menschenbild bösartigen und verachtenden Film.
Die viel gelobte Kirchenszene etwa mag eine handwerklich exzellent inszenierte Actionsequenz sein, ich würde dies nie in Abrede stellen, sie ist aber tonal für mich ein vollkommenes Desaster. Eigentlich soll hier ja gezeigt werden, wie Gentleman-Agent Colin Firth, die moralische Instanz der Handlung, durch das Hypnose-MacGuffin-Bullshitteil des Bösewichts alle Hemmungen fallen lässt und mittels seiner Fähigkeiten zur erbarmungslosen Tötungsmaschine wird. Und es wäre auch durchaus okay, dass dann so "cool" mit wild drehender Kamera und Lynyrd Skynyrd unterlegt zu inszenieren, wenn es dadurch wenigstens den Schockeffekt erhöhen würde -> man denke nur an 'Stuck in the Middle with You' in "Reservoir Dogs". Aber das findet in der Szene nicht statt. Eher zeigt Vaughn vorher, dass es sich bei den Menschen in der Kirche um irgendwelche Redneck-Amis handelt, die es daher ja verdient haben, jetzt auf die grausamst mögliche Art abgeschlachtet zu werden. Die Brutalität ist nicht schockierend gemeint oder auch nur als Bruch mit dem vorherigen 007-esken Ton: Es dient einzig zur Belustigung. "Haha, schaut mal, die doofen reaktionären Spinner, wie sie alle lustig massakriert werden."
Ähnliches findet sich im Film immer wieder, vor allem im bizarren Schlussteil, als das Hypnose-MacGuffin-Bullshitteil dann vollends zum Einsatz kommt und quasi alle Menschen auf der Erde in wilde und blutrünstige Bestien verwandelt -> was im Film übrigens so erklärt wird, dass hier nur die "natürlichen Impulse" des Menschen aktiviert werden. Vaughn zeigt parallel zueinander in einer Montage lustig gemeinte Schnipsel, wie irgendwelche Normalos in Parks und Pubs grausamst übereinander herfallen, was an eine Art Zombiefilmparodie auf Ecstasy erinnert, und schneidet gleichzeitig mehrfach auf eine Mutter, die - ausgelöst durch das Hypnose-MacGuffin-Bullshitteil - manisch guckend mit einem Messer auf ihr eigenes Baby losgehen will. "Natürliche Gewaltimpulse", so so.
Aber - und warum ich diesen Film so dermaßen zum kotzen finde - Vaughn meint das ja alles eh nicht ernst, es ist nur ein großer Witz, weil die alten Bond-Filme, bei denen er sich deutlich bedient, ja auch alle nur ein großer Witz sind und daher kann er machen was er will, und hat unter dem Deckmantel einer Hommage eine vielseitig einsetzbare "Du kommst aus dem Gefängnis frei"-Karte. Die Schlussszene, in der eine blonde Gefangene den Helden mit Anal-Verkehr belohnen möchte (woraufhin die Kamera ihren nackten Hintern ordentlich ins Zentrum rückt), wäre vermutlich selbst den Austin-Powers-Machern zu blöd gewesen, aber Vaughn meint, es sich erlauben zu können, weil sein Film ja alle drei Minuten in quasi jedem Dialog, wann immer irgendwie möglich, laut für das Publikum ausspricht, dass das alles nicht ernstgemeint ist und nur Spaß machen soll. Nun: Als Zuschauer fühle ich mich da nicht nur veralbert, ich verstehe auch nicht, was irgendwas davon mit den James-Bond-Filmen der Roger Moore Ära zu tun haben soll, denen Vaughn hier angeblich so huldigt. Aber hey: Immerhin hat Vaughn es geschafft, eine "Hommage" zu drehen, die tatsächlich so sexistisch ist, wie es von den 60er Jahre Bonds immer zu Unrecht behauptet wird. Gratulation.
Ansonsten ist das Teil okay, zumindest in der ersten Hälfte, wenn man so eine Art "Young James Bond" meets "X-Men" Mix bekommt, aber schon da bleiben die Teenie-Helden blass, schon da sind die Witze infantil und pubertär, schon da ist die Story eine Ansammlung von absurden Schludrigkeiten, die in Sekundenschnelle in den Dialogen damit entschuldigt werden, dass die Vorbildsfilme auch ihre Macken hatten.
Ich ziehe mehrere Punkte von den früher vergebenen fünf ab und werde die Kingsman zukünftig meiden - wenngleich Vaughn mittlerweile ja bereits schummelt und seine Kingsman Filme als solche nicht mehr zu erkennen gibt. Sagt vermutlich für sich schon alles.