Casino Hille hat geschrieben: 17. April 2024 10:50
das letzte Drittel setzt auf zu viel uninspirierte Western-Ballerei und leistet sich ein paar "Hand klatscht an die Stirn"-Momente (M und Kincaide machen auf ihrer Flucht durchs dunkle Dickicht ernsthaft die Taschenlampe an)
Um da nochmal einzuhaken: Ich war bei der letzten SF-Sichtung wirklich erstaunt, wie gut der über die meiste Zeit durchrutscht. Irgendwann während Silvas Flucht aus der MI6-Zentrale habe ich (trotz der wirklich richtig beschissenen Todesszene von Severine) gedacht: Mensch, ich muss den Film in meinem Ranking kräftig aufwerten und viel höher platzieren.
Aber dann kommt das letzte Drittel und da wird aus einem bis dahin wirklich sehr guten Bond-Film, der interessante und eigene Wege geht, ein unfassbar bescheuerter Film. Für mich beginnt das präzise mit dem Auftritt des Aston Martin DB5. Ich bin für diese Art von Fanservice gänzlich unempfänglich. In der Garage könnte auch der Lotus Esprit stehen, der DeLorean aus Back to the Future oder das 2012er Jaguar-Modell; mir bedeutet das nichts. Mein Problem mit Fanservice ist zu 99 Prozent der Zeit, dass diese Momente nie aus sich selbst heraus funktionieren, sondern immer nur in Referenz zu etwas anderem. Der Wagen, den Bond da aus der Garage holt, hat für Skyfall keine Bedeutung. Er ist auf diesen Film bezogen ein Deus Ex Machina, und nur dadurch gerechtfertigt, dass es der Wagen aus einem anderen Film von 1964 ist. Er ist für die Handlung auch völlig überflüssig. Ich verstehe, dass Bond und M ihr Auto wechseln müssen, aber sie könnten jedes x-beliebige Vehikel vom Straßenrand kurzschließen. Gerade mit der Präsentation des Wagens, dem plötzlich einsetzenden Bond-Theme, wird aber die Wichtigkeit dieses Autos betont - und mir ist sowas ein Stück zu blöd.
Der Wendepunkt für den Film ist der DB5 aber, weil ab seinem Auftritt vieles plötzlich haarsträubend dämlich wird. Der Plan von M und Bond, ganz alleine in irgendein schottisches Schloss zu fahren, und den Schurken dahin zu locken, mag sicherlich schlecht begründet sein (Der Grund, warum sie niemanden sonst involvieren, ist Ms Satz "Es sterben zu viele Menschen meinetwegen" nach der Anhörung), aber ich könnte prinzipiell damit leben. Bloß fällt der Rest des Films da ziemlich stark in sich zusammen. Bond fährt mit M in seine Vergangenheit und der Film macht eine große Sache daraus, dass Bond in diesem Haus zum Mann wurde, dass dieses Haus für ihn eine große Bedeutung hat (beim Psychologen verlässt er nach der Nennung des Wortes "Skyfall" erstmal die Sitzung) - aber Bond verhält sich kein Stück so. Craig spielt seinen Bond, der vorher im Film teils extrem emotional sein durfte (man denke an die Szene in Ms Wohnung) stoisch und unbewegt. Später, als alles in die Luft fliegt, kommentiert er noch, er habe das Haus sowieso nie gemocht. Ganz ehrlich: Wozu denn der Ausflug in Bonds Familiengeschichte und seine Vergangenheit, wenn es nur ein Setting ist?
Über den Rest muss ich gar nicht groß sprechen. Warum Silva erst eine kleine Armee vorgehen lässt, dann per Helikopter ankommt, mit einer irren Wumme das Schloss durchlöchert und danach Granaten durch Fenster schmeißt (mit Dialogzeilen wie: "Rührt die Frau nicht an, sie gehört mir") kann man logisch nicht nachvollziehbar erklären. Warum M nicht ab Silvas Angriff im Priesterloch versteckt wird, während 007 und Kincaide das Geballer übernehmen, ist absurd. Warum Kincaide draußen die Taschenlampe anmacht, und Silva so auf sich aufmerksam macht, ist himmelschreiend dämlich. Aber es sind ganz andere Sachen, die mich stören: So einfallsreich Sam Mendes und Roger Deakins in den ersten 90 bis 100 Minuten des Films Bilder bauen, so wenig fällt ihnen im Schottland-Teil ein. Dieses uninspirierte Western-Geballer dürfte einer der schwächsten Bond-Showdowns sein. Mendes kann keine Action inszenieren, und das ist in Skyfall vorher gar nicht wirklich ein Problem, weil er seinen Film über Charaktere erzählt, aber genau die verliert er in Schottland aus den Augen. Silva, der vorher zwar sicherlich psychopathisch, aber "berechnend wahnsinnig" war, sind im Finale plötzlich alle Tassen aus dem Schrank gefallen und wird zum beliebigen Irren. Bond zeigt - wie erwähnt - schlagartig keine Emotionen mehr und ist unberührbar und abgebrüht.
Insbesondere der Tod von M stößt mir zudem sauer auf. Ich verstehe, dass man Judi Dench eine emotionale Abschlussszene geben wollte, und das ist auch fein. Die Szene selbst, wenn sie in Bonds Armen verstirbt, ist von ihr exzellent gespielt, und auch Craig ist super dabei. Aber die Szene macht den ganzen Film ein wenig ... sinnlos? Bond hat letztlich versagt. Er hat eigentlich nichts erreicht in Skyfall. Silva wollte M töten und offenbar dabei selbst draufgehen (zumindest deutet die Gerichtsszene das schon an, später in der Kapelle sagt er es direkt), und beide sind tatsächlich tot. Film vorbei, Mission gescheitert. Natürlich kann man das machen, aber seltsamerweise spielt der Film es gar nicht als Tragödie aus. Bond bekommt von niemandem auf die Finger dafür, dass er bei seinem Alleingang mit M gescheitert ist. Die letzten zwei Minuten sind viel eher heroisch und triumphal arrangiert: "Neuer M, neuer Auftrag, Bond ist zurück!" Das passt für mich nicht. Wenn es den ganzen Film nur darum geht, M zu retten, und diese stirbt dann am Ende, dann sollte der Film das mit mehr Gewicht behandeln, statt auf einer fröhlichen Back-to-business-Note zu enden. Skyfall muss nicht Chinatown sein, aber etwas mehr Anstrengung wäre schon nett.
Wie gesagt: Die ersten 90 Minuten oder so sind wirklich sehr gut. Sie sind für einen Bond-Film extrem untypisch sehr charaktergetrieben und probieren damit im Kontext der Reihe wirklich etwas Neues aus. Craig ist in diesem Film am besten, der erfahrene und verbitterte Bond steht ihm viel besser als der Rambo-Jüngling mit Herz. Einige Szenen sind herausragend, insbesondere die Einführung von Silva ohne Schnitt mit seinem Rattenmonolog. Die ganze Shanghai-Passage ist destillierte Coolness. Mir gefällt hier (anders als in den Nachfolgern) die Chemie zwischen Naomie Harris und Daniel Craig extrem gut. Ben Whishaw als Q ist in meinen Augen sowohl figürlich wie darstellerisch ein Fehlgriff, aber ich mag es, dass er als arroganter Klugscheißer eingeführt wird und dann bei Silvas Flucht über seine eigene Hybris stolpert. Vom misogynen Umgang mit Severine abgesehen ("Schade um den guten Scotch" ist der blödeste Bond-Oneliner der Reihe), ist Skyfall bis zum Auftritt des DB5 sicherlich einer der richtig tollen Bonds. Aber danach kommt so viel Quatsch, und das letzte Drittel ist so ärgerlich doof konstruiert und langweilig inszeniert, dass es summa summarum für mich trotzdem nur fürs untere Bond-Mittelfeld reicht.