Um mal Anatol aus der letzten John-Ford-Diskussion sinngemäß zu zitieren: "Bilderwelten sind halt nicht alles."
Mir ist erzählerisch zu viel Quatsch in Casino Royale. Schon die Szene auf Madagaskar, wenn Bond die Botschaft stürmt, geht eigentlich gar nicht, wenn ich den Film halbwegs ernst nehmen soll. Einer der so drauf ist, hätte nie 00-Agent werden dürfen. Einer der sowas macht, müsste sofort rausgeschmissen werden, statt in den Urlaub nach Nassau fliegen zu dürfen. Die ganze Idee, Bond als Amateur im Job zu zeigen, ist schon absurd, denn der Mann hat eine lange Militärkarriere hinter sich, der benimmt sich nicht wie Rambo, stürmt in irgendeine Botschaft und haut dem Diplomaten vor Ort auf die Kauleiste. Das passt nicht - und dieses Plot-Detail hätte sich so leicht besser und glaubwürdiger schreiben lassen, sodass Bonds übergroßes Ego (Er kann nicht verlieren, und wenn er den Bombenleger nicht haben kann, dann soll ihn keiner haben) trotzdem durchkommt, aber er nicht direkt ein Kriegsverbrechen begeht. Stattdessen ist ihnen bei CR nur Brachial-Action eingefallen.
Ich mag außerdem den Bruch im Film nach Miami nicht, da fängt die Geschichte eigentlich von Vorne an, und trotz der depperten Botschaftsszene ist die erste Hälfte für mich klar die bessere. Flott, temporeich, stark inszeniert. Richtig toll ist das ganze Kapitel, in dem Bond erst Dimitrios und dann Bombenleger Nr. 2 am Flughafen verfolgt. Da erzählt Campbell sehr viel ohne ein Wort Dialog, nur durch Bilder und Schnitte. Das ist klasse gelungen und die Miami-Action ist zwar eindeutig nicht auf Top-Niveau (für Bond eher business as usual), aber ein netter und spannender Klimax.
Aber danach ... hach, ich mag die Vesper-Rolle einfach gar nicht. Diese Zug-Szene, in der die beiden sich gegenseitig in Klugscheißerei übertreffen und auf Sherlock-Holmes-Niveau den jeweils anderen psychoanalysieren, klingt nach dem Versuch, krampfhaft Aaron Sorkin zu imitieren. Um mal was sehr Kontroverses zu sagen: Wenn Eva Green und Daniel Craig als Darsteller keine so brauchbare Chemie hätten, würde die Romane nicht funktionieren, denn was da von Seiten des Drehbuchs kommt, ist schockierend wenig. Sie ist eigentlich lange Zeit Bond gegenüber recht abgeneigt und tritt als Emanze auf, und selbst nach der gemeinsamen traumatischen Erfahrung im Treppenhaus (und nachdem er sie unter der Dusche tröstet und ihre Finger ableckt ...) bleibt sie antagonistisch ihm gegenüber. Sie verweigert den Rebuy, selbst beim Abendessen nach seinem Sieg mäkelt sie an ihm rum und trägt die Kette von ihrem wahren Freund - nur um nach der Entführung eine 180 Grad Drehung zu machen und was von großer Liebe zu säuseln?
Vielleicht mag mir mal einer erklären, wie das zu verstehen ist: Ist Vesper ab dem Sanatorium wirklich in Bond verliebt? Oder spielt sie ihm das vor, weil sie mit White den Deal gemacht hat? Ist dieses "Alles was ich bin gehört dir"-Rosamunde-Pilcher-Geschnulze ihr Ernst oder ist das Show? Wenn es nur Show ist: Warum macht der Film einen Punkt daraus, dass sie ihren Liebesknoten abgenommen hat, und warum dann der Selbstmord? Wenn es die wahre Liebe ist: Was hat sich seit dem Abendessen und dem Sanatorium geändert?
Mal noch eine andere Sache an die Pokerspieler unter euch: Findet ihr die Pokerszenen in Casino Royale nicht auch eher misslungen? Lasst es mich mal so sagen: Der Film nutzt das Spiel für eine Metapher um Vertrauen und ums Bluffen. Ab Montenegro ist das ein Leitmotiv des Films: Kann Bond Vesper und Mathis trauen? Wer spielt ihm was vor? Usw. Es geht dann u. a. auch um Anzeichen fürs Lügen und Bluffen, die ein jeder hat (zum Beispiel das verräterische Zucken von Le Chiffre). Gemessen daran, dass dies das Thema des Films ist, sind die Pokerszenen eigentlich eine große Enttäuschung oder?
Bond und Le Chiffre gewinnen gegen den jeweils anderen kein einziges Mal, weil sie gut bluffen können, sondern jedes Mal nur, weil sie eben tatsächlich das beste Blatt auf der Hand haben. Als Chiffre Bond rauskickt, hat er einen verdammten Vierling auf der Hand. Schlagt den mal.
Trotzdem tut der Film danach so, als sei Bond wegen seines Egos gescheitert oder auf einen Bluff reingefallen. Ist er aber nicht. Bond hatte hammer gute Karten auf der Hand und Le Chiffre ein extrem unwahrscheinliches, noch besseres Blatt. Selbes Spiel am Ende: Bond blufft gegenüber Le Chiffre nicht geschickt, sondern hat einen Straight Flush gegenüber einem schon absurd guten Full House.
Ist natürlich kein großer Kritikpunkt, aber dafür, dass Pokern hier so sehr als Metapher dient (mit Binsenweisheiten wie: "Man spielt beim Poker nicht die Karten seines Gegenübers, sondern seinen Gegenüber aus), ist es merkwürdig, dass jeder Sieg ausschließlich auf pures Glück zurückzuführen ist.
Vom Poker-Kram mal abgesehen: Ab Montenegro ist da nicht mehr viel im Film, das mir Spaß macht. Ich mag die Leiter-Rolle, ich finde die Folterszene recht gelungen, es gibt ein paar gute Dialogzeilen (aber auch die üblichen Purvis & Wade Zeilen, vor allem das schräge "Schutzpanzer"-Gerede), der Elchtest ist cool, die Schlussszene mit Mr. White rockt, der David-Arnold-Score ist gelungen ... aber das Pacing ist eher träge (während des Pokerspiels geschieht alles sehr episodenhaft), die Liebesgeschichte wirkt auf mich überhaupt nicht, der Actionshowdown in Venedig ist schwach, viele interessante Figuren (z.B. Le Chiffres blonde Freundin) werden nicht entwickelt und als wirklich außergewöhnlich empfinde ich die Inszenierung von Martin Campbell auch nicht.