Das sind interessante Beobachtungen, die es lohnt ausführlicher zu diskutieren. Die Charakterentwicklung vom Skeptiker zum Gläubigen hatte ich bisher gar nicht so sehr im Blick, aber das ist tatsächlich ein sehr zentraler Aspekt der Urtrilogie. Zu Beginn ist er der betont sachliche Wissenschaftler, zumindest im Bezug auf seine professionelle Einstellung zu den jeweiligen Artefakten und ihrer Bedeutung. Dazu ist er von einem Abenteurergeist beseelt, der nicht jedem Wissenschaftler gegeben ist, aber gar nicht so selten vorkommt, wie man gemeinhin annimmt. Ein wenig exotisch ist nur die Bounty-Hunter-Attitüde, die witzigerweise auch ein wenig an Han Solo erinnert, vielleicht ist Ford auch deshalb so überzeugend in der Rolle.Casino Hille hat geschrieben: 22. Mai 2023 12:58 Bzw. um das noch weiter auszuführen: Indiana Jones hat ja eine Charakterentwicklung im ersten Film, die selbst mit der Szene mit dem Raketenwerfer und Belloq noch nicht abgeschlossen ist. Er ist den ganzen Film über motiviert von seiner Gier nach Antiquitäten, einer Gier, die ihn immer wieder in Lebensgefahr bringt und andere sogar das Leben kostet. Seine Motivation, für die Regierung nach der Bundeslade zu suchen, ist nie darüber definiert, den Nazis in die Suppe zu spucken. Er handelt nicht aus Patriotismus, sondern einzig aus seiner Besessenheit für Geschichte heraus. Spielberg ist einer dieser Regisseure, deren Meisterklasse man vor allem an dem Material erkennt, das sie aus ihren Filmen herausschneiden und nicht verwenden, obwohl es gedreht wurde.
In der Szene, in der Marcus Brody seinen Freund Indy bei sich zu Hause besucht, wurde im Schnitt später deutlich verändert und war eigentlich viel länger. Indy ist in dieser Szene leicht bekleidet zu sehen, er hat nur einen Bademantel übergeworfen. Das liegt daran, dass wir ursprünglich erfahren hätten, dass er Frauenbesuch bei sich versteckt, den Marcus nicht sehen soll (der bekennende Bondfan Spielberg zollt da der ähnlichen Szene mit M und Moneypenny bei Bond daheim in LALD Tribut). Indy hat nämlich gerade jene Studentin / Schülerin bei sich, die ihm zuvor im Unterricht zwinkernd Avancen gemacht hat, und vergnügt sich mit ihr. Diesen Teil der Szene hat Spielberg entfernt, weil sie so anders gewirkt hätte. Die eigentliche Intention der Szene war, dass Indy versucht, Marcus möglichst schnell wieder loszuwerden und deshalb auf dessen Warnungen bezüglich der Bundeslade nicht groß eingeht. Da Spielberg aber die Bettgespielin entfernt hat, wirkt Indy jetzt als Charakter anders: Es kommt so rüber, als habe er tatsächlich anders als Marcus keinerlei Bedenken. Religiösen Glauben tut er als "Hokuspokus" ab. Das passt auch sehr gut, denn in der Szene zuvor (als die beiden Herren von der Regierung Marcus und Indy mit dem Auftrag betreuen), sagt er an einer Stelle: "Yes, it (the Ark) contains the actual Ten Commandments. The original stone tablets that Moses brought down out of Mount Horeb and smashed … if you believe in that sort of thing."
Indy ist kein gläubiger Mensch, sondern bestenfalls ein Skeptiker, der mit religiösen Mythen nicht viel anfangen kann. Er glaubt nicht an irgendwelche übersinnlichen Kräfte der Bundeslade, derer Hitler sich bemächtigen könnte. Ihn interessiert nur der Nervenkitzel, die Jagd nach der Lade und ihre geschichtliche Dimension. Es gibt später noch eine Szene, in der Sallah ebenfalls Indy vor der Lade und ihren Kräften warnt, und erneut weist Indy dies zurück. Er hat absolut kein Interesse am Glauben, er will die Bundeslade finden (für ihn ein archäologisches Objekt wie jedes andere, nur eben ein enorm gewaltiges). Belloq hat deshalb mehrfach im Film vollkommen recht, wenn er Indy sagt, sie seien gar nicht so verschieden. Sie haben beide Hybris, wandern beide durch die Geschichte ohne Rücksicht auf Verluste. Beloq sagt wörtlich: "You and I are very much alike. Archaeology is our religion, yet we have both fallen from the purer faith. Our methods have not differed as much as you pretend. I am a shadowy reflection of you. It would take only a nudge to make you like me, to push you out of the light." Und später: "Look at this pocket watch. It's worthless. Ten dollars from a vendor in the street. But I take it, I bury it in the sand for a thousand years, it becomes priceless … like the Ark. Men will kill for it. Men like you and me."
Indy lehnt das zu dem Zeitpunkt ab und will nicht einsehen, wie richtig Beloq liegt. Dass die geschichtlichen Artefakte von ihnen beiden gleichermaßen nur der "Aufhänger" fürs nächste Abenteuer sind, sie aber alles andere ignorieren und opportunistisch ausblenden, was mit diesen Artefakten verborgen sein könnte. Später zeigt der Film uns, dass Beloq wirklich recht mit seinen Worten hatte. Als Indy ihn mit der Panzerfaust bedroht, hätte er die Chance, die Lade zu sprengen (Marion würde dann zwar sterben, aber er eben auch) und würde er an die dämonischen Kräfte der Lade glauben, würde er sie wohl auch sprengen, damit sie Hitler nicht in die Finger gerät. Aber er kann nicht. Belloq kommentiert das so: "All your life has been spent in pursuit of archaeological relics. Inside the Ark are treasures beyond your wildest aspirations. You want to see it opened as well as I. Indiana, we are simply passing through history. This, this is history." Genau deshalb will Belloq das Ritual ja vollziehen: Weil er sonst nie die Chance hätte, in die Lade zu sehen, sobald sie erstmal bei Hitler in Berlin ankommt. Belloq ist kein Nazi, er steht nicht treu hinter der Deutschen Führung. Er ist motiviert durch seine Neugierde.
Das Finale aber dann ist der Moment, in dem Indy seine Entwicklung abschließt. Bis zu diesem Moment ist er ganz in die Jagd vertieft, in das Bedürfnis zu wissen, was die Bundeslade wirklich ist. Deshalb sprengt er sie nicht in die Luft - er ist genau wie Belloq. Aber als Belloq das jüdische Ritual vollzieht und sich der Himmel auftut, ist Indy endlich dazu bereit, all das aufzugeben, wofür er gekommen ist: das Bedürfnis nach Wissen. Er schließt die Augen und sieht nicht hin, er entscheidet sich, nicht zu wissen, was vor sich geht und was die Lade tut, sondern stattdessen an die Lade und ihre Kraft zu glauben, statt sie mit eigenen Augen sehen zu müssen. Er ist reumütig gegenüber Gott. Und deshalb überlebt er, während die Nazis und Belloq es nicht tun. Vom Skeptiker zum Gläubigen, vom eigennützigen Grabraub zum respektvollen Umgang mit der Geschichte – darum geht es in "Jäger des verlorenen Schatzes".
Dennoch ist er nicht empfänglich für mystische Zwischentöne obwohl er den mythischen Aspekt seiner Arbeit nicht ausblendet. All dies verändert sich im Verlauf der Handlung. Im zweiten Film ist diese Entwicklung ebenfalls vorhanden, aber deutlich pulpiger angelegt, was dem Film seinen etwas unrunden Ruf eingebracht hat. Im dritten Film schließlich hat Spielberg des Zepter wieder fester in der Hand und liefert eine ähnliche Entwicklung wie im Original, die genauso stringent und überzeugend entwickelt wird.
Interessant ist die Schnittentscheidung bei Indy zu Hause (Raiders), denn der andere Ansatz hätte wiederum den Indy-Bond (siehe unten) wieder mehr in den Fokus gerückt, was ebenfalls gepasst hätte.
As Erklärung warum Teil 4 im Gegenzug weit schlechter funktioniert ist das eine sehr passende und vor allem überzeugende Analyse. Überhaupt haben die ersten drei Filme mehrere Schichten die allesamt sehr stringent durchdacht und umgesetzt worden sind und zudem auch ineinander greifen. Da wären z.B.noch:
1. Der Indy-Bond
Die actionbetonte Ausrichtung der Indiana Jones-Filme ist durchaus gewollt und nicht zuletzt auf die Vorstellung George Lucas zurückzuführen, eine James Bond-ähnliche Abenteurer-Figur zu erschaffen. Tatsächlich erinnert nicht nur der Titelheld selbst, sondern vor allem auch die Struktur der Filme auffällig an die Erfolgserie um den britischen Superspion. Wie Bond erhält Indiana Jones zunächst einmal einen gefährlichen Auftrag - hier die Beschaffung der Bundeslade. Meist kommt eine mysteriöse Frau ins Spiel, die erst im Verlauf der Handlung vom Helden „bekehrt" und für die gerechte Sache motiviert werden muss - hier Indiana Jones´ Ex-Freundin Marion Ravenwood (Karen Allen). Daraufhin wird der Gegner ausspioniert, wobei bereits einige Scharmützel mit den Handlangern des Oberschurken bestanden werden müssen (Zusammenstöße mit Nazis und Gestapoleuten in Nepal und Kairo). Bereits nahe am Ziel gerät der Held in Gefangenschaft, aus der er sich nur mit Glück und unter höchster körperlicher Anstrengung befreien kann. Sein primäres Ziel ist meist die Zerstörung einer die Welt bedrohenden Superwaffe - bei Indiana Jones umfunktioniert in die Beschaffung einer seltenen, mit übernatürlichen Kräften ausgestattet Reliquie (hier die Bundeslade), die sich die „Mächte des Bösen" (hier die Nazis) zunutze machen wollen. Am Ende besiegt er den Oberschurken und dessen (Privat-)Armee und genießt das bestandene Abenteuer mit der eroberten Herzensdame. Spielberg übernahm sogar das Bontypische Element der Pre-Title-Sequence, eines kurzen, actiongeladenen Miniabenteuers das nur lose mit der Haupthandlung verknüpft ist. In Jäger des verlorenen Schatzes erfolgt diese Verbindung durch die Einführung von Indys gefährlichstem Gegner für den kommenden Auftrag: dem französischen Archäologen Belloq (Paul Freeman).
Die Anlage der Hauptfigur war anfangs sogar noch stärker an Bond angelehnt, da auch Indiana Jones von George Lucas ursprünglich als charmanter und eloquenter Womanizer, gewissermaßen als „Playboy-Abenteurer" angedacht war. Erst als Spielbergs Wunschbesetzung - TV-Star Tom Selleck (Magnum) - aus vertraglichen Gründen nicht zur Verfügung stand und mit „Notnagel" Harrison Ford ein ganz anderer Typ ins Spiel gebracht wurde, bekam Indiana Jones seine typisch schnoddrigen, hemdsärmeligen Züge.
2. Der Abenteurer-Klassiker
Die Indiana Jones Filme folgen klar dem klassischen Schema des Abenteuerkinos. Der Held zieht von zu Hause los, besteht in der unwirtlichen, bedrohlichen und exotischen Fremde eine Reihe gefährlicher Abenteuer und kehrt schließlich geläutert, bereichert oder klüger in die Heimat zurück. Häufig geht es bei der zentralen Motivation um geheimnisvolle Objekte oder sagenhafte Schätze die zudem mythischen oder magischen Ursprungs sein können (z.B. König Salomons Diamanten).
Dieses klassischen Märchen entlehnte Grundgerüst findet sich besonders deutlich im ersten Film der Trilogie, in Jäger des verlorenen Schatzes: Der Held - Archäologieprofessor Dr. Indiana Jones (Harrison Ford) - erhält den Auftrag, die verschollen geglaubte Bundeslade, also die Truhe mit den originalen Steintafeln der Zehn Gebote, zu beschaffen, da sie sonst den Mächten des Bösen - in diesem Falle den Nazis - in die Hände fallen würde. Er muss dazu in ferne Länder reisen (Nepal, Ägypten) und sich im wesentlichen auf seine geistigen und vor allem körperlichen Fähigkeiten verlassen. Schließlich ist der Auftrag mit zahlreichen Gefahren und Unwägbarkeiten verbunden, da der Gegner wenig zimperlich, zahlenmäßig überlegen und zudem bereits einen Schritt voraus ist. Am Ende hat der Held selbst dem mythischen Kräften des „Schatzes" getrotzt und erhält als Belohnung die „Prinzessin".