Wie perfekt, dass die ultimative Lektüre zur Regie-Personalie Richard Lester mit dem schönen Titel "Getting Away With It" von niemand geringerem als Steven Soderbergh stammt. Das Buch ist ein Gespräch zwischen den beiden Regisseuren, an sich, in Wahrheit aber ist es vor allem Lester, der über seine Arbeit spricht, über sein Leben und Wirken reflektiert und dem jüngeren "geistigen Nachfolger" wertvolle Tipps mit an die Hand gibt. Soderbergh hat viel von Lester: Ihnen beiden ist gemein, dass sie sich in vielen Genres und Spielarten ausgetobt haben, sich nie auf einen Stil oder eine Tonalität festlegen ließen. Lester begann seine Karriere als Fernsehregisseur bei der BBC in den 1950er Jahren, wo er an einer Reihe von Comedy-Sketch-Shows arbeitete. Während alle versuchten, herauszufinden, was das Fernsehen genau war, was es sein konnte und was darin an Leistung herauszuholen war, hatte Lester freie Hand, mit dem Format zu experimentieren, was ihm einen gewissen Vorteil verschaffte.
Sein erster größeren Film war eine Fortsetzung der Komödie "Die Maus, die brüllte" von Jack Arnold, und auch wenn "Auch die Kleinen wollen nach oben" (mit Margaret "Miss Marple" Rutherford) nicht an das Original heranreichte, zeigte sich schon da Lesters Talent für die kluge Setzung von Pointen. Dann wurde er auf dem Höhepunkt der Beatle-Manie für die Regie von "A Hard Day's Night" (zu Deutsch: "Yeah! Yeah! Yeah!") engagiert, was schließlich seine Karriere begründen sollte. Seine schräge Herangehensweise an einen Beatles-Film (er inszenierte ihn als eine Art Kunstfilm-Fake-Doku) inspirierte später zahlreiche Musikfilme und schlug beim Publikum wie eine Bombe ein. Lester war hiner der Kamera ein Spielkind und so sah er sich selbst: Er liebte es zu improvisieren, etwas auf der Stelle zu reparieren war sein sprichwörtliches Kokain. Er inszenierte noch einen zweiten Beatles-Film namens "Help!" (zu Deutsch: "Hi-Hi-Hilfe!"), und es dürfte bei einem Regisseur wie Lester nicht verwundern, dass er sich nicht einfach wiederholte, sondern ein Potpurri an schrägen und höchst originellen Einfällen präsentierte.
Seine Filmografie ist bunt und schwer in wenigen Worten einzuordnen. Am besten erwartete man bei ihm das unerwartete: 1965 verfilmte er das grandiose Broadway-Musical "Toll trieben es die alten Römer" von Stephen Sondheim (Originaltitel: "A Funny Thing Happened on the Way to the Forum"), und schuf den wohl einzigen Film, der Sondheim je wirklich gerecht wurde. Zwei Jahre später entstand seine satirische Tragikomödie "Wie ich den Krieg gewann", u.a. mit John Lennon besetzt, und entpuppte sich als Popavantgarde der allerbesten Art mit deutlicher Antikriegsbotschaft. In den 70ern verschrieb er sich dem Abenteuerfilm: Sein Zweiteiler "Die drei Musketiere" und "Die vier Musketiere" war üppig ausgestattet und namhaft besetzt (u.a.: Christopher Lee, Oliver Reed, Richard Chamberlain, Raquel Welch, Faye Dunaway, Charlton Heston, Michael York), und mixte hemmungslos verschiedene Tonalitäten, vom lockeren Slapstick bis hin zu den tragischen Elementen der Romanvorlage von Alexandre Dumas.
Den humoristischen Esprit behielt er für "Royal Flash" bei, eine albern-verquere Persiflage auf Otto von Bismarck, ehe er die Tragik in "Robin und Marian" wieder in den Vordergrund rückte: Seine intellektuelle Dekonstruktion des Robin-Hood-Kinos (wieder stark besetzt, es wirken etwa Sean Connery, Audrey Hepburn, Robert Shaw und Richard Harris mit) fiel nicht in die Mantel-und-Degen-Filmgattung seiner drei vorherigen Filme, sondern griff den bekannten Mythos auf, um eine traurige Parabel auf das Grauen des Vietnamkriegs zu erzählen. Robin Hood entpuppt sich als schwer traumatisierter Mann, der seiner Marian seine Gräueltaten in den Kreuzzügen beichtet und der sonst oft edel dargestellte Richard Löwenherz zeigt sich als unmenschlicher Tyrann, der Sheriff von Nottingham wirkt dagegen gar sympathisch, zumindest aber menschlich und in seinem Verhalten glatt nachvollziehbar.
Lester war später noch an den Blockbustern "Superman II" und "Superman III" beteiligt, wagte sich mit "Butch & Sundance – Die frühen Jahre" an die Fortführung eines Klassikers, inszenierte zudem ein weiteres Mal Sean Connery im gespalten aufgenommenen Polit-Melodram "Explosion in Cuba" und ließ sich schließlich ein drittes Mal auf die Musketiere ein: "Die Rückkehr der Musketiere" sollte 1989 sein letzter Spielfilm werden (nur der Konzertdokumentarfilm "Get Back" mit Paul McCartney folgte noch zwei Jahre später). Bei den Dreharbeiten fiel sein guter Freund, der Schauspieler Roy Kinnear von einem Pferd und verletzte sich schwer, verstarb kurz darauf an seinen Verletzungen. Lester zog daraus Konsequenzen. Im Gespräch mit Soderbergh stellt er aber noch eine zweite Begründung für das selbstbestimmte Karriere-Aus dar: Er hatte bereits A probiert, er hatte bereits B probiert, er hatte bereits C probiert und schließlich war es an der Zeit aufzugeben.
Selbst sein glühender Verehrer Steven Soderbergh findet nur schwer Worte, um die Filme von Richard Lester vereinigend zu besprechen. Doch wohl am ehesten lässt sich über Lesters Kino sagen: Er versuchte sich an der problemlösenden Seite des Mediums. Wo der Dramaturg nach Konflikten suchte, ging es Lester im Kern stets um die Konfliktlösung. Und angesichts seiner vielen gelungenen Filme und entsprechenden Erfolge bei Kritik und Publikum kann man wohl feststellen: Er ist damit davongekommen.
Die Filme des Richard Lester:
1962: Twen-Hitparade
1963: Auch die Kleinen wollen nach oben
1964: Yeah! Yeah! Yeah!
1965: Der gewisse Kniff
1965: Hi-Hi-Hilfe!
1965: Toll trieben es die alten Römer
1967: Wie ich den Krieg gewann
1968: Petulia
1969: Danach
1973: Die drei Musketiere
1974: Die vier Musketiere
1974: 18 Stunden bis zur Ewigkeit
1975: Royal Flash
1976: Robin und Marian
1976: Der Mörder lauert in der Sauna
1979: Butch & Sundance – Die frühen Jahre
1979: Explosion in Cuba
1980: Superman II – Allein gegen alle
1983: Superman III – Der stählerne Blitz
1984: Der Chaos-Express
1988: Die Rückkehr der Musketiere
1991: Paul McCartney’s Get Back
Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester
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Let the sheep out, kid.
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