Re: Zuletzt gesehener Film

10516
ollistone hat geschrieben: 27. März 2023 10:17 Oscar-Film-Aufhol-Aktion die Erste: Triangle of Sadness - Im Unterschied zu meiner kürzlichen Feststellung

Kapitel 1, die Szenen einer Beziehung zwischen zwei Models / Influencern, fand ich noch am interessantesten, die Kreuzfahrt (Kapitel 2) sorgte für einige gute Lacher und interessantes Personal, wobei ich schon irritierend fand, dass Östlund seine beiden Hauptdarsteller mehr oder weniger im Stich lässt und sich anderen Figuren zuwendet.
Den konnte ich vor ein paar Wochen auch noch im Kino nachholen und fand ihn ganz gut. Die radikalen Handlungswechsel zwischen den Kapiteln Abendessen - Kreuzfahrt - Schiffbruch waren im positiven Sinne recht überraschend, der ganze Film ziemlich kurzweilig. Das zunehmende Abdriften von den beiden Hauptfiguren fand ich auch insofern etwas seltsam, weil Östlund sie gegen Ende hin doch wieder mehr als Protagonisten positioniert, zuvor war dieser Wechsel hin zu einem offeneren Figurenensemble noch ganz organisch. Und ja, beim Dinner-Gekotze und Harrelsons Szenen mit dem Oligarchen hing er etwas durch, das dauerte einfach zu lange. Insgesamt ganz gut, aber nicht berauschend. 7 / 10
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Re: Zuletzt gesehener Film

10517
iHaveCNit: Der Pfau (2023) – Lutz Heineking Jr. – Tobis
Deutscher Kinostart: 16.03.2023
gesehen am 28.03.2023
Arthouse-Kinos Frankfurt – Eldorado - Parkett – Reihe 5, Platz 9 – 20:30 Uhr


Auch wenn ich Isabelle Bogdans „Der Pfau“ nicht gelesen habe, wurde die Verfilmung des Romans nach einer Sichtung des Trailers Bestandteil meiner Kinoplanung für den März 2023. Und für einen entspannten Kino-Abend oder beziehungsweise Film-Abend reicht der Film auf jeden Fall, wenn man nicht ganz so viel erwartet.

Im Rahmen eines Teamworkshops für ein anstehendes Compliance-Verfahren hat die Frankfurter Investmentbankerin Linda Bachmann für ihr Team ein schottisches Anwesen samt eigener Köchin gebucht. Doch einige Missverständnisse bezüglich eines kurz nach der Ankunft verschwundenen Pfaus, einer Seminarleiterin und auch Gerüchte bezüglich einiger personeller Konsequenzen aus dem Compliance-Verfahren heraus schüren Misstrauen innerhalb der Gruppe.

„Der Pfau“ ist eine relativ harmlose, rasante Krimikomödie geworden, die durchaus genauso viel Potential hat liegen lassen wie der Schneefall, der irgendwann über das Anwesen einbricht. Das Ensemble selbst ist mit rudimentären, oberflächlichen Charakteren ausgestattet, die alle irgendwo nicht ganz sympathisch rüber kommen. Dennoch hat man seinen Spaß dabei, dem Ensemble beim ebenfalls unsympathischen Treiben zuzusehen. Optisch bekommen wir hier nur eine sehr graue Tristesse geboten, dennoch wagt der Film zumindest erzählerisch immer mal wieder einen Sprung der Perspektive bis wir alle wichtigen Charaktere einmal durchexerziert haben. Dabei spielt der Film auch bewusst mit Kamerafahrten, die so wirken als würde man auf dem Spielfeld eines Murder-Mystery-Spiels von einem Feld zum Anderen schwenken und wechseln. Und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass man sich sowohl in einigen bewusst bedeutungsschwangeren Dialogen und Monologen ein wenig zu clever und ernst nimmt als man es tatsächlich ist. Genau das Gleiche gilt auch für den letztendlich eher rudimentären Krimiplot – auch wenn wir es hier doch eigentlich weniger damit zu tun haben.

„Der Pfau“ - My First Look – 6/10 Punkte.
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Re: Zuletzt gesehener Film

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Kulturelles Kontrastprogramm über die letzten beiden Tage:

Special
iHaveCNit: Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) – Robert Wiene
Deutscher Kinostart/Wiederaufführung: 29.03.2023
gesehen am 29.03.2023
Arthouse-Kinos Frankfurt – Große Harmonie – Reihe 4, Platz 12 – 21:00 Uhr

Im Rahmen der Vorstellungsreihe „(Dis)Harmonie – Die Reihe für den abseitigen Film“ der Arthouse-Kinos Frankfurt gab es anlässlich der zuletzt sehr erfolgreich angekommenen Wiederaufführung mit Live-Vertonung von Murnaus Stummfilmklassikers „Nosferatu“ eine Wiederaufführung eines weiteren Stummfilmklassikers, Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“, der hier auch wieder durch das Gramm Art Project musikalisch jazzlastig und minimalistisch mit Kontrabass und E-Gitarre begleitet worden ist. Der mit knappen 80 Minuten kurze Stummfilm ist ein unfassbar interessanter Psycho- und Mysterythriller, der sich auf viele Arten und Weisen analysieren lässt und dabei tiefer gehen kann als so manch ein Genrevertreter der aktuellen Zeit.
„Das Cabinet des Dr. Caligari“ – My First Look – 10/10 Punkte

Special + Regular
Doublefeature
iHaveCNit: Manta Manta (1991) – Wolfgang Büld – Constantin Film
iHaveCNit: Manta Manta – Zwoter Teil (2023) – Til Schweiger – Constantin Film
Deutscher Kinostart / Wiederaufführung: 30.03.2023
gesehen am 30.03.2023
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kino 4 – Reihe 9, Platz 24 – 18:30 Uhr

Anlässlich der Veröffentlichung der Fortsetzung des 90er-Jahre-Kultfilms „Manta Manta“ gab es auch das Angebot einiger Kinos, beide Filme in einer Double-Feature zu sehen. Dieses Angebot habe ich auch wahrgenommen und dabei vor allem durch den Kultfaktor des ersten Teils und die Stimmung im Saal ein durchaus gutes, unterhaltsames Erlebnis bekommen. Auch wenn ich mich was die allgemeine Qualität der prolligen 90er-Jahre-Kömodie angeht an dieser Stelle enthalten möchte. Die Fortsetzung von Til Schweiger ist zwar unterhaltsam und hat für mich durch die Stimmung im Saal noch eine Spur besser funktioniert – vielleicht auch weil ich manchmal einen Hang zu dümmlichen, flachen Humor habe, aber sonst ist das alles dramaturgisch zusammenhanglos zusammengeschustert worden mit holprigen Sprüngen von Handlungspunkt zu Handlungspunkt ohne jegliche glaubwürdige Handlungsentwicklung. Manche Momente sind von unfreiwillig komischen Fremdschäm-Faktoren durchzogen und auch der allgemeine Schnitt des Films ist mal wieder für Til-Schweiger-Verhältnisse mit all den typischen Fehlern durchsetzt von zu schnellen Schnitten, Anschlussfehlern, vielleicht sogar asynchronem Sound – und das bei einem Film, der komplett aus seiner Zeit gefallen scheint und durchaus viel zu wenig „Manta Manta“ für viel zu viel Film bietet.
„Manta Manta“ – My Second Look – Ohne Wertung.
„Manta Manta – Zwoter Teil“ - My First Look – 4/10 Punkte


iHaveCNit: Manta Manta – Zwoter Teil (2023) – Til Schweiger – Constantin Film
Deutscher Kinostart: 30.03.2023
gesehen am 30.03.2023 im Double-Feature mit Teil 1
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kino 4 – Reihe 9, Platz 24 – 18:30 Uhr


Anfang der 90er-Jahre gab es mit „Manta Manta“ einen durchaus zum Kultfilm avancierte Proll-Komödie mit dem gleichnamigen Opel Manta als Statusobjekt, das durchaus zu flachen Witzen über deren Besitzer animiert hat. Ein Film, durch den auch Til Schweiger nach seiner Beteiligung in der Lindenstraße bekannt wurde. Dass der mittlerweile knapp 60 Jahre alte Schauspieler eine Größe der deutschen Filmlandschaft wurde und auch mittlerweile ein großes Repertoire an eigenen inszenierten Filmen hat, war es infolge von erfolgreichen Nostalgietrips nur eine Frage der Zeit, bis es eine Fortsetzung des 90er-Jahre-Kultfilms von ihm inszeniert geben wird. Doch war das überhaupt notwendig ?

Im Leben von Bertie und Uschi ist einiges passiert. Bertie war erfolgreicher Fahrer in der DTM, doch mittlerweile betreibt er eine abgehalfterte Werkstatt mit Kart-Bahn. Beide waren verheiratet und haben mit der Tochter Mücke und dem Sohn Daniel zwei mittlerweile erwachsene Kinder bekommen. Bertie und Uschi sind getrennt. Uschi lebt mit Sohn bei ihrem neuen Mann Gunnar, während Mücke bei Bertie in der Werkstatt wohnt, die er gemeinsam mit seiner Tochter und auch seinem Freund Klausi betreibt. Inmitten alltäglicher Probleme seines Sohns plagen Bertie Geldprobleme, die wie eine schwarze Wolke über der Werkstatt liegen. Die einzige Möglichkeit sieht er in einer Teilnahme an einem kommenden hoch dotierten Rennen – doch wie soll das gehen, ohne leistungsstarkes Auto in Petto ?

Ich erkenne Muster ! - Meine letzte Vorstellung mit einem Double-Feature gab es letzten September und dort gab es Top Gun von 1986 und Top Gun: Maverick von 2022 zu sehen. Hier hat man quasi den Durchbruch von Tom Cruise und die perfekte Nostalgie und den größten Erfolg von Tom Cruise in der Fortsetzung geboten bekommen. „Top Gun: Maverick“ hat sich im letzten Jahr bei mir an die Spitze gesetzt und ich stehe dazu, dass Tom Cruise einer meiner Lieblingsschauspieler ist. Mit „Manta Manta – Zwoter Teil“ glaube ich zum aktuellen Zeitpunkt wohl eher das Schlusslicht meines bisherigen Filmjahres 2023 gesehen zu haben und Til Schweiger und seine Filme sind aktuell wohl eher als Guilty Pleasure zu betrachten. Das was Tom Cruise mit Top Gun: Maverick gelungen ist, daran ist Til Schweiger mit dem zweiten Manta Manta gescheitert beziehungsweise hat er hier den Motor abgewürgt. Storytechnisch liefert Schweiger hier die klassische, überdrehte, überfrachtete und oberflächliche Mischung aus Drama und Komödie. Dabei hangelt er sich von einer Situation zur nächsten und liefert hier auch einiges, was unfreiwillig komisch wird und zum Fremdscham anregt. Das mit dem Hangeln ist wörtlich zu nehmen. Die Sprünge zwischen einzelnen Stationen des Films sind so plötzlich und sprunghaft, dass es nicht mehr glaubwürdig entwickelt rüber kommt. Genauso verhält es sich mit dem Schnitt des Films, bei dem zum einen viel zu schnell in Situationen geschnitten wird, in denen das absolut nicht notwendig ist – Dialoge zum Beispiel. Nicht zu vergessen, dass auch Anschlussfehler konsequent vorhanden sind und vielleicht auch der Sound etwas asynchron zum Bild verläuft. Natürlich bietet der Film auch Karriereförderung für seine Tochter Luna und auch einige deutsche Gaststars wie Wotan Wilke Möhring, Moritz Bleibtreu, Nilam Farooq und Axel Stein sowie auch Gastauftritte von Lukas Podolski, Frank Buschmann und Jean Pierre Krämer. In bester Nostalgiemanier ist natürlich auch klar, dass Tina Ruland, Michael Kessler und auch ein Gastauftritt des aus dem ersten Teil bekannten Martin Armknecht vorprogrammiert sind. Und dann hat der Film auch noch viel zu wenig Manta für viel zu viel Film zu bieten und sorgt mit einer Entscheidung dann sogar für einen Mittelfinger für Fans, das fast einer Dekonstruktion des Kults wirkt. Dass das Finale auf der Rennstrecke nicht mit Filmen der Fast-Reihe, „Rush“, „Tage des Donners“ und auch „Les Mans 66“ mithalten kann, versteht sich von selbst. Einzig die Geschichte rund um den Sohn Daniel, der von Tim Oliver Schultz gespielt wird und seinem Weg im Film – auch mit der Dynamik zwischen ihm und der von Emma Drogunova gespielten Leonie hat mich durchaus bekommen. Die Stimmung im Kino-Saal hat auch ihr Übriges dafür getan, dass das Erlebnis des Films nicht komplett an die Wand gefahren worden ist. Schlechte Filme haben aber auch ihr Gutes – So lernt man Gutes wesentlich besser zu schätzen.

„Manta Manta – Zwoter Teil“ - My First Look – 4/10 Punkte
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Re: Zuletzt gesehener Film

10519
iHaveCNit: Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben (2023) – John Francis Daley und Jonathan Goldstein – Paramount
Deutscher Kinostart: 30.03.2023
gesehen am 02.04.2023 in Dolby Atmos
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kino 9 – Reihe 9, Platz 15 – 17:00 Uhr


Auch wenn ich bisher nur vom Namen her „Dungeons & Dragons“ kenne und die beliebte Rollenspielreihe bisher noch nicht gespielt habe, so habe ich dennoch ein wenig Interesse an der neuen Verfilmung „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ gehabt und so bin ich mit der wohl angenehmsten Erwartungshaltung – wenn überhaupt die ein entspanntes, unterhaltsames Fantasy-Action-Abenteuer zu bekommen – in den Film gegangen und habe genau das bekommen.

Der Dieb und Barde Edgin und die Barbarin Holga waren für einige Zeit in einem Gefängnis. Edgin gehörte zu einer Diebesgruppe – zu der auch der Schurke Forge gehört. Bei einem Raubzug eines bestimmten Artefakts der roten Magier kommt es jedoch zum Verrat, der Edgin und Holga ins Gefängnis führt, aus dem Beide nun ausgebrochen sind und Edgin vor allem an einem Wiedersehen mit seiner Tochter Kira interessiert ist. Die wurde jedoch von Forge und der roten Magierin Sofina korrumpiert und manipuliert, so dass Edgin und Holga ein Team formieren und ein wichtiges Artefakt finden müssen.

Mit einem Ensemble, in dem vor allem Chris Pine, Michelle Rodriguez, Hugh Grant, Sophia Lillis, Justice Smith, Regé-Jean Page, Justice Smith und Chloe Coleman zu sehen ist, bekommen wir wie bereits weiter oben erwähnt ein entspanntes, unterhaltsames Fantasy-Action-Abenteuer, an dem auch ich meinen Spaß hatte. Auch wenn natürlich Charakterzeichnungen recht funktional und oberflächlich gehalten worden sind und die Handlungsentwicklung und die Story ebenfalls zum einen funktional, aber auch dramaturgisch sprunghaft und ein wenig überladen wirken könnte. Interessant wäre es an dieser Stelle natürlich auch gewesen, wie sich meine Sichtweise auf den Film verändert hätte, wäre ich stärker in D&D investiert gewesen, denn hier stelle ich es mir als zweischneidiges Schwert vor, bei dem man sich entweder an den ganzen Insidern und Details des gesamten Films erfreuen könnte oder auch komplett vom Endergebnis enttäuscht sein könnte, weil es nicht die eigene Version wieder spiegelt. Aber ganz unvoreingenommen den Film zu genießen war für mich auf jeden Fall in Ordnung. Nicht zu vergessen, dass es durchaus auch einen Gastauftritt eines von mir sehr geschätzten Schauspielers gab und durch die gesamten Locationwechsel natürlich auch ein wenig Abwechslung geboten hat.

„Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ – My First Look – 7/10 Punkte.
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Re: Zuletzt gesehener Film

10520
Oscar-Film-Aufhol-Aktion die Zweite: The Banshees of Inisherin (Disney+)

Dass diese rabenschwarze und eigentlich doch sehr traurige Tragikomödie ausgerechnet von den Teilnehmern hier am lautesten abgefeiert wird, denen erzählerische Konsistenz und Schlüssigkeit besonders am Herzen liegt, finde ich interessant, denn wenn man diesem wirklich wunderbaren Film eines vorwerfen will, dann das: Colms Entscheidung, von heute auf morgen nicht mehr mit Padraic befreundet sein zu wollen, kommt mir nicht wirklich nachvollziehbar vor. Man kann es als gegeben hinnehmen, klar. Dann aber fehlt mir auch wieder die Konsequenz in Colms Handeln. Mal führt die erneute Kontaktaufnahme durch Padraic zu der angekündigten fürchterlichen Konsequenz, mal nicht. Diese Ambivalenz, unter der ja auch Padraic leidet, verwirrt mich als Zuschauer, in dem einen Moment besinnt sich Colm ihrer Freundschaft, beschützt Padraic vor dem Polizisten, hilft dem Verletzten, erklärt seine Motive, mag ihn sogar wieder, im nächsten Moment greift er wieder zur Schere. Diese Selbstverstümmelung wäre dann auch der zweite Punkt, bei dem ich etwas Schwierigkeiten habe. Die Notwendigkeit dieser drastischen Maßnahme finde ich nur so halb gut hergeleitet oder, wie man so schön sagt, nur "behauptet". Auch deshalb kaum nachvollziehbar, als dass sich Colm damit auch seiner Fähigkeit zu musizieren beraubt. Vielleicht ist das ja der Sinn - so bestraft er Padraic nicht nur mit Liebesentzug, sondern auch mit der indirekten Verantwortung dafür, ihm, Colm, das Wichtigste zu nehmen: das Musikmachen und Erschaffen unsterblicher Werke. Man ahnt undeutlich. dass das Finger-Schere-Motiv eine zentrale Metapher für irgendetwas ist, wofür, habe ich allerdings noch nicht entschlüsselt.

Für mich bleiben da ein paar Fragezeichen, ein paar Störgeräusche, aber "Banshees" ist alles in allem natürlich ein grandioser Film.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."

Re: Zuletzt gesehener Film

10521
iHaveCNit: The Ordinaries (2023) – Sophie Linnenbaum – Port-Au-Prince-Films
Deutscher Kinostart: 30.03.2023
gesehen am 03.04.2023
Arthouse-Kinos Frankfurt – Kleine Harmonie – Reihe 3, Platz 9 – 20:30 Uhr


Für originelle Ideen im deutschen Arthouse-Film bin ich immer sehr zu begeistern. Erst durch einen simplen Flyer darauf aufmerksam geworden reifte über Wochen in mir der Gedanke, ob ich mir Sophie Linnenbaums „The Ordinaries“ im Kino ansehen sollte. Aber bedingt durch eine Sichtung des Trailers und dem konkreten Auseinandersetzen mit dem Thema komme ich an diesem Film nicht vorbei. Die Sichtung hat das dann auch bestätigt.

Paula träumt von einem Leben aus Hauptprotagonistin in Filmen. Dafür besucht sie auch eine Schule für Hauptfiguren. Auch wenn ihre Mutter nur Nebenfigur ist, gibt ihr der Glaube an ihren Vater, der Hauptfigur gewesen ist, etwas Selbstvertrauen, dass sie es schaffen kann. Bis sie kurz vor der Abschlussprüfung steht und sich in dieser Zeit etwas mit der eigenen Vergangenheit und dem Geheimnis um ihren Vater beschäftigen möchte. Doch je mehr sie den Geheimnissen auf die Spur kommt und dabei auch in den Bereich der ausgestoßenen Outtakes vordringt, umso mehr kommen ihr sowohl Zweifel an der eigenen Herkunft und Identität als auch an der klar abgegrenzten Gesellschaft, in der sie lebt.

Eine Gesellschaft, die nach klaren Rollenverteilungen wie im Film mit all den entsprechenden filmischen Eigenschaften funktioniert klingt nach einem durchaus interessanten, originellen Konzept sowohl eine Gesellschaft zu zeichnen, als auch ein wenig kritisch und satirisch zu beleuchten. Das ist in all seinen kleinen, feinen Details „The Ordinaries“ sehr gut gelungen, weil es durchaus vieles gibt, an dem sich Filmfans und Cineasten erfreuen können. Inmitten dieser vielleicht etwas grauen und tristen, aber sehr liebevoll designeten Welt, bei dem sogar auch mit Musik, Sound und Schnitt ein sehr eigenes Gefühl und Atmosphäre unterstützt wird, kann es natürlich hier und da zu entsprechenden Momenten kommen, in denen das Konzept nicht mehr ganz zu Ende gedacht worden ist und sich ein paar Logiklücken in der Umsetzung des Konzepts auftun. Natürlich hat die gleichermaßen unterhaltsame und berührende Spurensuche der von Fine Sendel gespielten Paula durchaus auch mit ein paar Längen für mich zu kämpfen gehabt, aber dennoch hat mir der Film insgesamt sehr gut gefallen und gezeigt, wie originell Ideen auch sein können.

„The Ordinaries“ - My First Look – 8/10 Punkte.
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Re: Zuletzt gesehener Film

10522
ollistone hat geschrieben: 3. April 2023 11:32 Oscar-Film-Aufhol-Aktion die Zweite: The Banshees of Inisherin (Disney+)

Dass diese rabenschwarze und eigentlich doch sehr traurige Tragikomödie ausgerechnet von den Teilnehmern hier am lautesten abgefeiert wird, denen erzählerische Konsistenz und Schlüssigkeit besonders am Herzen liegt, finde ich interessant, denn wenn man diesem wirklich wunderbaren Film eines vorwerfen will, dann das: Colms Entscheidung, von heute auf morgen nicht mehr mit Padraic befreundet sein zu wollen, kommt mir nicht wirklich nachvollziehbar vor. Man kann es als gegeben hinnehmen, klar. Dann aber fehlt mir auch wieder die Konsequenz in Colms Handeln. Mal führt die erneute Kontaktaufnahme durch Padraic zu der angekündigten fürchterlichen Konsequenz, mal nicht. Diese Ambivalenz, unter der ja auch Padraic leidet, verwirrt mich als Zuschauer, in dem einen Moment besinnt sich Colm ihrer Freundschaft, beschützt Padraic vor dem Polizisten, hilft dem Verletzten, erklärt seine Motive, mag ihn sogar wieder, im nächsten Moment greift er wieder zur Schere. Diese Selbstverstümmelung wäre dann auch der zweite Punkt, bei dem ich etwas Schwierigkeiten habe. Die Notwendigkeit dieser drastischen Maßnahme finde ich nur so halb gut hergeleitet oder, wie man so schön sagt, nur "behauptet". Auch deshalb kaum nachvollziehbar, als dass sich Colm damit auch seiner Fähigkeit zu musizieren beraubt. Vielleicht ist das ja der Sinn - so bestraft er Padraic nicht nur mit Liebesentzug, sondern auch mit der indirekten Verantwortung dafür, ihm, Colm, das Wichtigste zu nehmen: das Musikmachen und Erschaffen unsterblicher Werke. Man ahnt undeutlich. dass das Finger-Schere-Motiv eine zentrale Metapher für irgendetwas ist, wofür, habe ich allerdings noch nicht entschlüsselt.

Für mich bleiben da ein paar Fragezeichen, ein paar Störgeräusche, aber "Banshees" ist alles in allem natürlich ein grandioser Film.
Ja, ich sehe das sehr ähnlich. Es gibt schon einige tolle Momente, die Schauplätze sind grandios (Produktionsdesign wieder einmal von Mark Tildesley! Ich war vor einigen Jahren in Galway - wunderschön) - es ist einmal was anderes, das macht Spaß, aber so ganz schlüssig und glaubhaft ist es dann wieder nicht, tlw. dann doch zu viel des Guten. Schade.
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Re: Zuletzt gesehener Film

10523
Klar, das ist alles sehr glaubhaft und vor allem schlüssig. Und gerade, dass Colm sich selbst die Finger abschneidet (und damit nicht nur Padraic bestraft, sondern sich selbst auch um die Musik beraubt), ist doch elementar für die Geschichte, ansonsten gäbe es ja gar nichts zu erzählen. Den Film kann man in vielerlei Hinsicht interpretieren, aber er ist auf der einfachsten Verständnisebene meines Erachtens bereits für sich absolut selbst sprechend. Wer in seinem Leben mal mit Menschen zu tun hatte, die an Depressionen erkrankt sind, wird in diesem Film nahezu alles wieder erkennen, was da passiert. Das plötzliche Wegstoßen, das widersprüchliche Verhalten (bei dem der Depressive nur der eigenen verqueren Logik folgt), die Selbstverstümmelung (bzw. in diesem Fall sogar Selbstgeißelung, denn wie gesagt bestraft Colm mehr sich als Padraic), die Auswirkungen auf das soziale Umfeld, das Unverständnis von Freunden etc. Ich habe noch nie einen Film gesehen, der Depressionen so authentisch und in ihrer vollen Hässlichkeit zeigt. Kennt ihr einen besseren?
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Re: Zuletzt gesehener Film

10524
Man kann durchaus auch die Themen Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Perspektivlosigkeit in Banshees reininterpretieren und die Handlungen vom älteren Colm als Weckruf an den jüngeren Padraic betrachten, der ihm auf eindringliche Art und Weise den Rat mitgibt, etwas aus seinem noch vorhandenen Leben zu machen und der Insel und den Menschen den Rücken zuzukehren.
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Re: Zuletzt gesehener Film

10525
Dass Colm im klinischen Sinne depressiv sein soll, ist völlig an mir vorbeigegangen.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."

Re: Zuletzt gesehener Film

10526
Man kann in "Banshees of Inisherin" aber auch sehr viele Verweise auf den irischen Bürgerkrieg finden, die mal subtiler und mal weniger subtil sind. Zum Beispiel spielt kaum zufällig der 1. April im Film eine große Rolle, also genau das Datum, an dem die harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland errichtet wurde. Dass Colm sich zudem alle Finger an einer Hand abschneidet, haben viele als Symbol dafür erkannt, wie Irland einige seiner Grafschaften für den Frieden opfern musste. Die einzige prominente Frauenrolle, Siobhán, die auf das Festland geht, erinnert an den Exodus der Menschen aus Irland, die nach England, in die USA oder Frankreich flüchteten, um dem Blutvergießen zu entkommen. Dass Pádraic den Groll nicht aufgibt, obwohl Colm ihm in der Schlussszene sagen will, dass es jetzt vorbei sein könne und nicht so weitergehen muss, ist ebenfalls ein logisches Ende nach dieser Interpretation, verweist es doch auf das Freitagsabkommen, das Irland bis heute getrennt hält. Generell ist es so, dass man die "Banshees" wohl als Parabel für die Teilung Irlands verstehen muss, denn von Beginn an werden hier aus Freunden unerbittliche Feinde und niemand drum herum versteht, wieso eigentlich – nicht mal so wirklich die ehemaligen Freunde selbst.

Aber damit würde man nur an der Oberfläche kratzen. Es gibt da noch viel mehr zu entdecken im Film, in seinen Bildern, seinen Dialogen und seinen Motiven. Die Idee, dass es sich hier um einen depressiven Mann handelt, ist sicherlich Dreh- und Angelpunkt des Films, muss aber nicht die einzige Wahrheit sein. Es geht ja auch um den Konflikt zwischen der Sehnsucht nach Bestimmung und Außergewöhnlichkeit gegenüber der Gemütlichkeit des Immergleichen und Vertrauten. Und der Film erzählt viel über vermeintliche Ehrlichkeit und die Frage, wie viel Ehrlichkeit der Mensch als soziales Wesen sich leisten kann, will er Teil einer Gemeinschaft bleiben. Man kann den Selbstverstümmelungsaspekt (der Colm und seine künstlerischen Ambitionen in Teilen als Konstrukt offenbart) auch ausblenden und nur mal in den Dialogen der ersten Hälfte hören, was alles über Vermächtnisse und kulturelle Erinnerung geredet wird. Gerade der Streit zwischen Colm und Pádraic ist da ein absoluter Magic Moment, in dem beide sehr geistreiche Sätze sagen, die sie selbst aber nicht wirklich verstehen. Wenn man außerdem ein bisschen in irischer Kultur bewandert ist, ist es auch spannend zu überlegen, welche Rolle irische Folklore im Film spielt, welche jeweilige Rolle die Protagonisten einnehmen und und und.

Ein ganz toller Film, der mich bei allen Kinobesuchen (es waren wirklich einige) tief berührt hat. Und es ist einer dieser sehr wertvollen Filme, bei denen 50 verschiedene Zuschauer am Ende auch 50 verschiedene Filme gesehen haben.
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Re: Zuletzt gesehener Film

10527
Ich würde behaupten, es ist nur bis zu einem gewissen Grad schlüssig und glaubhaft. Die Probleme mit der Selbstverstümmelung hat Olli weiter oben schon angesprochen.

Auch dass er dann schlussendlich dann doch seine Meinung wieder ändert, ist äußerst skurril. Und wie schon geschrieben, der Film ist gut, hat großartige Dialoge - die ganze (noch dazu schlecht gefilmte CGI) Selbstverstümmelungsthematik lenkt unnötig ab und wirkt eben schlussendlich übertrieben (das ist offensichtlich gewollt - ich finde aber man hätte es besser lösen können).
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Re: Zuletzt gesehener Film

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Gernot hat geschrieben: 5. April 2023 13:35 Ich würde behaupten, es ist nur bis zu einem gewissen Grad schlüssig und glaubhaft. Die Probleme mit der Selbstverstümmelung hat Olli weiter oben schon angesprochen.
Naja, das ist halt in etwa so wenig schlüssig und glaubhaft wie es Selbstverstümmelungen depressiver Menschen im realen Leben auch sind. Ich kann auch nicht nachvollziehen, warum sich echte Menschen in der wirklichen Welt selbst verletzen, sich in die eigene Haut ritzen etc., aber dieses Verhalten dann authentisch in einem Film zu zeigen und dem Film dann vorwerfen, er wäre nicht schlüssig oder glaubhaft … geht für mich nicht ganz auf. :wink: Gerade der Umstand, dass Colm eine Form der Selbstverletzung wählt, die ihm auch sehr gezielt schadet (ihm das Spielen von Musik unmöglich macht), ist absolut glaubwürdig und entspricht genau der Art und Weise, wie diese Dinge in der Realität oft genug ablaufen. Ich habe leider genau diese Verhaltensmuster alle schon miterlebt, von daher verstehe ich den Vorwurf gar nicht.

Oder was genau ist für dich da nicht schlüssig oder nicht so glaubhaft? Dass man beim Gucken nicht denkt, was für ein verständlicher Kerl der Colm doch ist, nun gut, das mag so sein, aber spricht eher für die psychische Gesundheit des jeweiligen Zuschauers.

Man kann (/sollte) das auch so interpretieren, dass Colm sich deshalb die Finger abschneidet, weil er weiß (/glaubt zu wissen), dass sich sein großer Traum nicht erfüllen wird. Er wäre gerne ein großer Musiker, der mit seinen Kompositionen in Erinnerung bleibt, doch seine Depression lässt ihn nie wirklich an sich glauben. Durch das Abschneiden der eigenen Finger, für welches er Pádraic die Schuld gibt, findet er einen Sündenbock dafür, dass sein Traum sich nicht erfüllen wird – statt sich selbst eingestehen zu müssen, dass es an seinem eigenen mangelnden Selbstvertrauen liegt. Auch dieses Denken, diese Muster, sind typisch für das Verhalten klinisch depressiver Menschen. Ich wiederhole mich, aber: Mir fällt kein Film ein, der diese Krankheit und ihr daraus resultierendes Verhalten besser aufzeigt.
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Re: Zuletzt gesehener Film

10529
Du erklärst das, was viele nicht als schlüssig oder gut hergeleitet empfinden (oder in deinen Worten "nur behauptet"), mit der Diagnose Depression. Die sehe ich nicht bei Colm, und das wurde in den vielen, vielen Kritiken, die ich zu diesem Film gelesen habe, auch kein einziges Mal thematisiert. Mein Eindruck ist auch ein ganz anderer. Colm musiziert regelmäßig im Pub, er beendet sogar sein neues Stück, was sollte daran depressiv sein? Er weist auch keine anderen Menschen zurück, nur Padraic. Wenn einer depressiv wird, dann letzterer. Woher nimmst du denn diese Gewissheit?
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Re: Zuletzt gesehener Film

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ollistone hat geschrieben: 5. April 2023 14:26 Du erklärst das, was viele nicht als schlüssig oder gut hergeleitet empfinden (oder in deinen Worten "nur behauptet"), mit der Diagnose Depression.
Wo kommen denn meine Worte her? Von "behauptet" habe ich doch gar nichts geschrieben.

Google spuckt mir übrigens direkt zig Rezensionen aus, die den Film im Zusammenhang mit Depressionen besprechen, und ich habe auch sehr viele dieser Art in den letzten Monaten gelesen. Von "nicht schlüssig" und "nicht gut hergeleitet" habe ich dafür nur wenig gelesen, bisher genau zwei Meinungen, beide in diesem Forum. Dass das also "viele" so empfinden, kann ich jedenfalls nicht verifizieren. Aber das "The Banshees of Inisherin" nur von Depressionen handeln würde, habe ich auch nicht gesagt. Der Film ist voll mit Motiven und Momenten, die so vieldeutig sind, zu denen man so viel interpretieren kann, wenn man denn will und sich drauf einlässt. Da stecken sehr viele Filme in diesem einen Film, was für sich genommen schon eine Ausnahmeleistung von Martin McDonagh ist.

Gewissheit nehme ich ohnehin nirgendwoher (und was "die Macher gewollt oder sich gedacht haben" ist für mich auch nicht allzu wichtig). Ich kenne einfach gleich mehrere Menschen, die depressiv sind (oder es bis zum selbstgewählten Ende ihres Lebens waren), aus dem eigenen Freundeskreis und aus der eigenen Familie, und ich habe noch nie einen Film gesehen, in dem eine Figur (in diesem Fall: Colm) auftritt, die so authentisch genau das Verhalten annimmt, das ich von diesen Menschen aus dem realen Leben kenne.
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