vodkamartini hat geschrieben: 17. Dezember 2022 12:56
Ich bin selbst überrascht, aber Wild Bunch hatte ich bisher noch nie gesehen.
Ich hatte "The Wild Bunch" zwar schon einmal gesehen, aber aus verschiedenen Gründen hatte ich nicht das Gefühl, ihn schon richtig gesehen zu haben bis heute. Und das ist natürlich ein wunderbarer Film, dessen Bedeutung für das Actiongenre sich wohl erst so richtig erschließt, wenn man ihn vergleicht mit der Zeit vor und nach ihm. Die drei großen Actionszenen sind alle ungeheuer modern, und das nach 50 Jahren, insbesondere der große Eisenbahnraub in der Mitte des Films mit der anschließenden Explosion der Brücke. Sensationell. Und ich würde gerne sofort in den Kreis der Höchstbewertungsvergeber mit einsteigen, aber dafür müsste ich ihn noch 2-3 mal sehen, ihn richtig erfühlen. Es gab nämlich trotz sehr viel Begeisterung immer auch Momente, die sich mir nicht erschlossen haben, weil sie mir entweder einfach nicht eingingen oder weil ich tatsächlich im Kopf plötzlich Fragezeichen über den Ablauf der Ereignisse hatte.
Da ihr schon sehr vieles Lobendes erwähnt habt und viel tiefer in der Materie seid als ich, also auch die tiefgründigeren Implikationen und Aussageabsichten von Bloody Sam kunstvoller in Worte fassen könntet, werfe ich hier einfach mal ein paar Gedanken ab, die sich mir ergeben haben und die noch einer Höchstwertung im Weg stehen, bzw. den Wilden Haufen für mich noch unter den anderen (zumindest in meinem Kopf) großen Western rangieren lassen. Ready? Cool.
– Die Eröffnungsszene ist sicher eine Schau und ein unfassbar zynisches Bleigewitter. Wie da diese Kirchengemeinde mitten in den Shootout gerät und einfach brutalst niedergemetzelt wird, das ist heute nicht mehr so brutal wie damals, lässt einen jedoch noch immer sprachlos zurück. Aber gleich mehrere Abläufe der Szene haben sich mir nicht erschlossen und da ich mich nicht gerne "zu blöd" fühle und ihr euch gerne über meine Blödheit amüsieren sollt, hier unqualifizierte Zwischenrufe: Wie viele Männer sind Teil der Wild Bunch, bevor der Banküberfall beginnt?
Versucht, mir zu folgen: Es reiten zu Beginn während die Namen der Mitwirkenden aufgeführt werden 7 Männer in den Ort. 6 von ihnen betreten die Bank, einer bleibt bei den Hottehüs. Bei der Flucht und anschließenden Schießerei bleibt einer der 6 in der Bank zurück und stirbt. Nach dem zünftigen Blutvergießen entkommen 6 Männer auf Pferderücken dem Ort. Einer dieser 6 wird dann vom Anführer Pike erschossen, weil er schwer verletzt ist. Stutzig wurde ich an der Stelle, weil ich das Gefühl hatte, im Bleigewitter gleich mehrere Bandenmitglieder habe sterben gesehen – und auch der Dialog spricht von 3 Banditen, welche die Kopfgeldjäger erwischt haben. Einer von ihnen etwa kippt in cooler Zeitlupe tot mitsamt Pferd in ein Schaufenster. Ein weiterer stirbt auf offener Straße. Nochmal ein weiterer müsste ein Herr im Anzug sein, der dann tot von seinem Pferd durch den Dreck gezogen wird. Einer der Banditen sagt später zu Pike in Mexiko, die Bande hätte "die besten Männer" verloren, was andeutet, dass mehrere das Zeitliche gesegnet haben müssen.
Das Alles hat mich verwirrt, weil ich dachte: Wo kommen denn auf einmal so viele Leute her? Es dürften maximal 1-2 Männer gestorben sein, aber schon gar nicht 3 (bzw. den in der Bank verbliebenen UND den später von Pike erlösten Mann mitgerechnet 5!) Banditen. Teilweise konnte ich mir meine Verwirrung schon selbst erklären: Als die Banditen die Bank betreten, schließt sich einer der vermeintlichen Kunden (im Anzug gekleidet, nicht in den Uniformen der anderen) der Wilden Horde an, allerdings passiert das so flüchtig nebenbei, dass man schon genau draufachten muss. Das finde ich ganz seltsam. Wieso zeigt Peckinpah hier nicht deutlicher, was passiert? Und selbst mit dieser Entdeckung müsst es immer noch 2-3 Herren mehr geben, die Teil der Bande sind, aber bis zum Beginn der Schießerei nie vorher gezeigt wurden und auch nicht Teil der 7 Herrschaften sind, die in der ersten Einstellung in den Ort reiten?
Ich bin verwirrt. Ihr mittlerweile wohl auch. Kann jemand Licht ins Dunkle bringen?
– Gleich noch was zu der Szene, weil ich mir schlicht nicht sicher bin, ob ich das korrekt verstehe: Die religiöse Parade mit den Alkoholabstinenzlern ist Teil von Pikes Plan und kein Zufall oder? Als die Herren grade in der Bank ihre Abhebung vornehmen, sieht man nochmal den Pfarrer / Priester seine Rede halten und plötzlich reitet ein Mann im Hintergrund ins Bild und auf dessen Erscheinen hin scheint die Parade sich in Gang zu setzen. Ist das so von Peckinpah intendiert oder deute ich zu viel rein? Der Berittene wäre so immerhin einer mehr von den Leuten, die da im Shootout glorreich aus der Existenz entfernt werden. Aber so richtig sicher bin ich mir nicht.
– Als einziges wirklich störendes Element des Films habe ich wohl einige der Rückblenden empfunden. Gerade die mit der ehemals Holden vom Pike, die von ihrem Ehemann beim Fremdgehen erwischt und totgeschossen wird. Hat jemand von euch eine Interpretation parat, was das signifikant zur Pike-Figur und den Themen von "The Wild Bunch" beiträgt? Ich bin da unschlüssig, und fand diesen Rückblick genau wie jenen zur Festnahme von Thornton eher überflüssig, und insbesondere jetzt letzteren auch merkwürdig altbacken inszeniert. Geht es nur mir so?
– Ganz stark ist die Szene mit dem Automobil, für mich wohl mit der Schlüsselmoment des Films. Da trifft dann tatsächlich die "alte Welt" auf den "Fortschritt" und die Gesichter der Wild Bunch sprechen Bände. Wenn dann erwähnt wird, dass diese motorisierten Geräte bald im Krieg zum Einsatz kommen sollen (und der Erste Weltkrieg steht ja wahrlich kurz bevor), dann ist das schlicht in sehr wenigen Sätzen zusammengefasst eine wunderbare Manifestation der großen Ideen des Films. Es geht um Männer, die ihrer Zeit bereits abhanden gekommen sind, die sich nicht mehr verorten können, die von der Welt schon überwunden wurden und sich bestenfalls nochmal "ein letztes Ding" versprechen können, ehe sie untergehen und von der Weltgeschichte vergessen werden. Das epische Finale, tausendfach von nahezu jedem gelobt, ist gerade deswegen im Aufbau so schweinegeil, weil da vier Männer in den sicheren Tod marschieren und dieser letzte Gang Richtung Schafott dennoch kathartisch ist, nicht suizidal. Sie sind jetzt mit sich und der Welt und ihrer Rolle darin im reinen und können sich wenigstens mit einem Paukenschlag verabschieden.
– Das finale Ende fand ich dann wiederum komisch. Wie erklärt ihr es euch, dass Peckinpah nicht mit dem davonreitenden Thornton endet, sondern uns nochmal die Wild Bunch lachend einspielt? Ist das einfach seine Sympathie für die Bande, und er gönnt ihnen ein letztes Lachen? Oder übersehe ich auch da eine tiefere Bedeutungsebene?
Also: Viel Begeisterung meinerseits, vor allem für die drei grandiosen Actionszenen, aber teils habe ich einiges noch nicht ganz verstanden und müsste für mich in Zukunft mittels weiterer Sichtungen herausfinden, ob mir einige der jetzt noch irritierenden Elemente dann einleuchten oder die Irritation bleiben wird. Aber die ganz großen Filme brauchen ja oft mehrere Sichtungen, bis man sie vollumfänglich schätzen kann.