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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Disclaimer: In Unkenntnis der Schnittfassungen von Kinorelease, Turner Entertainment, Maibaum, AnatolGogol, James Bond und dem Pabst beziehe ich mich hier auf den sogenannten Seydor-Cut
Pat Garrett & Billy the Kid (Sam Peckinpah, 1973)
"Mama, take this badge off of me, I can't use it anymore. It's gettin' dark, too dark to see, I feel like I'm knockin' on heaven's door."
Ah, Pat und Billy, ihr zwei alten Haudegen. Hier wurde heute eigentlich schon auf grossartige Weise alles zu den figürlichen und motivischen Aspekten des Films dargelegt und diskutiert. Darüber, wie Pat grimmig und ziellos seine Kreise zieht und Billys (sowie sein eigenes moralisches) Schicksal so lange es geht hinausschiebt. Oder wie in der Beziehung der beiden auch gewisse Elemente der Bishop/Thornton-Dualität aus The Wild Bunch wieder aufgegriffen werden. Das bringt nicht nur ordentlich Leben in die Samarathon-Bude, sondern hat auch den Vorteil, dass ich nicht mehr alles wiederholen muss.
Die episodische Struktur ist Herz und Seele des Films. Pat Garrett und Billy the Kid treffen nur in den ersten beiden, und dann noch einmal kurz in der letzten Szene aufeinander, die passenderweise alle mehr oder weniger als Parallelmontagen inszeniert sind. Dazwischen wird man Zeuge von sich in gleichmässigem Rhythmus abwechselnden, gefühlt jeweils etwa gleich langen Episoden um die beiden. Jede Episode funktioniert dabei fast schon als eigener Kurzfilm mit Anfang, Mittelteil und Schluss, aber jede trägt auf die eine oder andere Art auch immer etwas zur jeweiligen Rolle oder ganz allgemein zur pessimistischen Untergangsstimmung bei. Und jede funktioniert gewissermassen als filmischer Kommentar. Dies kann beispielsweise ein Kommentar zum Wesen Pats sein (er will trotz allem nicht einfach so mit mächtigen Geldgebern kuscheln und sich wie ein Auftragsmörder bezahlen lassen, siehe die Jason Robards-Szene), zum Wesen Billys (er teilt nicht unnötig aus, er hört sogar zu, aber wenn es ihm an den Kragen zu gehen droht, dann schiesst er zuerst, siehe die "Those four rode in this morning"- oder die Jack Elam-Szene) oder auch einfach ein Kommentar zur Handlungswelt, die wiederum alles kontextualisiert (die Chisum-Maschinerie wird über die Taten ihrer Handlanger als völlig verrottet gezeigt, siehe die Truthahn- oder die Emilio Fernandez-Szene).
Letztlich erzählen diese "Kurzfilme" auch sehr viel über ihren Subtext anstelle einer konventionelle, stringenten Handlung. Einmal mehr geht es Peckinpah um Charaktere in einer sich verändernden Welt, in der die alten Gesetze des "You and me rode together" ihre Gültigkeit und Bedeutung verlieren oder zu verlieren drohen, wie es halt oft der natürliche Lauf der Dinge ist. Dies wird trotz Parallelen aber eben anders erzählt als beispielsweise in The Wild Bunch, weniger am Beispiel einer Filmhandlung, sondern mehr auf die Perspektiven und die jeweiligen Anpassungen (oder auch nicht) und Reaktionen der Charaktere reduziert. Da hilft es, dass Peckinpah seine Wildwestlandschaften pittoresker aber auch wehmütiger in Szene setzt denn je, gerade durch die vielen Totalen und Weiteinstellungen, aber auch durch filmpoetische Schmankerl wie der Ritt an einem Tümpel vorbei, bei dem Billys Zwischenstopp nur noch in der Wasserspiegelung erkennbar ist. Ein weiterer Pluspunkt ist der Soundtrack von Dylan, der durch seinen Folkcharakter eine noch stärkere Stimmung des "Geschichtenerzählens" und des folkloristischen Berichtens von alten Zeiten beschwört. Dazu passt auch, dass Dylan selber im Film weitgehend eine Art Beobachter verkörpert, der zwar auf dem Papier ein Gefährte Billys ist und diesem auch mal zu Hilfe eilt, aber auch alles überlebt und weitgehend eher als neutrale Instanz behandelt wird.
Pat und Billy selber - Tja, da ist es eigentlich egal, wie authentisch das Alter der beiden wirklich ist. Jimmy Coburn ist genau der richtige grimmige und verbitterte Pat Garrett, der sich einen Teufel um wohlhabende und wichtige Leute am Speisetisch von Gouverneur Robards, oder um deren opportunistische, ihm persönlich völlig fremde Hilfssheriffs schert. Eigentlich noch weniger als frühere Peckinpah-Protagonisten wie Pike Bishop oder Doc McCoy ist Pat ein Sympathieträger, seine moralisch fragwürdigen Handlungen und Allianzen sowie sein sprödes und teils fast feindseliges Auftreten sind deutlich, aber das muss so sein und für die Verkörperung hätte es kaum jemand Besseren geben können als den Jim. Kristofferson wiederum hat durch seine fast schon joviale Mimik, hinter der aber auch öfter eine gewisse Traurigkeit zu schlummern scheint, eine faszinierende Aura für Billy. Ob Ende dreissig oder nicht, ich kann mir keinen anderen vorstellen.
Zum Vergleich der Schnittfassungen kann ich wie eingangs gewarnt wenig sagen: Die Seydor-Sichtungen führen mit 4:0. Aber zu einigen der erläuterten Details könnte ich spontan folgenden Senf geben: Sollte Pats Tod am Ende erneut gezeigt werden, müsste dafür ein Äquivalent für Billy gefunden werden, denn der Film heisst nun mal Pat Garrett & Billy the Kid und behandelt wie bei der episodischen Struktur gesagt beide weitgehend gleichberechtigt, will heissen ich kann mir Pats Ableben als alleinigen Schlussmoment nur schwer vorstellen, aber es könnte natürlich funktionieren, wenn es ähnlich stark mit Billy zusammengeschnitten wird wie die Eröffnung. Die Szenen mit Pats Frau und Billys Freundin will ich beide sehen, letztere auch als gesamte Bordellszene, denn der Anblick von Jim Coburn, wie er saufend in einem winzigen Badezuber sitzt und sich von mehreren Huren waschen lässt ist viel zu gut. Olingers Blick auf den Galgen kann genauso gut ein Kommentar seiner vorherigen Bemerkungen Billy gegenüber sein (als er Billy durch ausführliche Schilderung seines Schicksal am Strick Angst machen will), statt einer Vorlage für die ungestört weiterspielenden Kinder. Einen professionellen Feinschnitt erwarte ich von dem Film gerade in den Actionszenen, denn was ich noch nicht erwähnt habe: Auch Pat & Billy, dieser besonders melancholische und elegische Film, ist in wenigen Momenten ein reinrassiger Peckinpah-Actionkracher, so zeigen Billys Gefangennahme aber auch die kurze Schiesserei mit Blacks Leuten, deren Wucht und Einschlagskraft gewaltig wirkt, einmal mehr Sam als meisterlichen Actionregisseur. Und was ganz wichtig ist: Slim Pickens' Tod muss von Dylan begleitet werden, gerade wenn man es mit der späteren Instrumental-Reprise nach dem Duell mit Jack Elam vergleicht und sich in Unkenntnis der Turner-Fassung das einigermassen vorstellen will, so ist dieser poetische Moment mit dem Song einfach viel zu stark, und wir reden hier von "möglicherweise bester Moment in einem Peckinpah-Film"-stark. Katy Jurado spielt in fünf Sekunden alles und jeden an die Wand, und diese Poesie in Ton, Bild und Bewegung braucht eine entsprechende Poesie in Worten. So gesehen bin ich zumindest sehr zufrieden mit dem Seydor-Cut.
Den unglaublich perfekten Cut, der alle und jeden glücklich macht, wird man aber trotzdem nicht finden. Und wahrscheinlich auch nicht den unglaublich perfekten Cut für sich selber. Pat Garrett & Billy the Kid ist, wenn man ganz strikt sein will, auch ein Stückweit ein kaputter Film, alleine durch seine Produktions- und Veröffentlichungsgeschichte. Aber es ist ein wahnsinnig guter und auch interessanter Film, bei dem ich nun schon zum vierten Mal in Folge immer auch wieder Momente verspüre, wo ich mit der Höchstwertung liebäugle. Diese Momente rufen aber auch immer wieder das eine oder andere kleine "aber" hervor, und ich bleibe heute trotzdem restriktiv-konservativ bei...
Wertung: 9 / 10
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.