185
von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Straw Dogs (Sam Peckinpah, 1971)
"I will not allow violence against this house."
Straw Dogs war Sam Peckinpahs erster Film ausserhalb des Westerngenres und positioniert sich als in England angesiedelter psychologischer Rachethriller gleich deutlich abseits von "Bloody Sams" Vorwerk. Es war aber auch der erste Peckinpah-Film, der mich bei der Erstsichtung etwas gleichgültig und damit enttäuscht zurückliess und ist damit einer der interessantesten Kandidaten für eine neue Evaluierung.
Leider bleiben neue Erkenntnisse zugunsten einer Bekräftigung alter Meinungen fast vollständig aus. Auch wenn auf dem Papier alles da ist, der Bauch will nur bedingt gutheissen, was heute Nachmittag über die Mattscheibe geflimmert ist. Die Intentionen der Studie einer Gewalteruption sind klar und im Kern auch schlüssig, nur was hilft es, wenn es irgendwie doch nicht so ganz zünden will?
Das fängt bei den beiden Protagonisten Dustin Hoffman und Susan George an. Die Beziehung der beiden ist von Anfang toxisch. Hoffmans David bewirft Amys geliebte Katze verächtlich mit Obst und bietet nach deren Tod kaum Interesse, geschweige denn Trost an, was generell seine Lieblosigkeit in den wichtigen zwischenmenschlichen Aspekten der Beziehung verdeutlicht. Dazu dürfte rasch für alle offensichtlich werden, wie hilflos David seine soziale Unbeholfenheit und sein feiges Wesen durch den vorgespielten Machismus in seiner Ehe zu kompensieren versucht. Gleichzeitig ist Georges Amy damit beschäftigt, auf kindische Art und Weise die eigenbrötlerische Forschungsarbeit ihres Gatten auf dem Niveau "Kaugummi an die Schreibtafel kleben" zu stören (worauf Hoffman ähnlich kindisch reagiert) und anderweitig provokativ aber wenig produktiv seine Grenzen herauszufordern. Natürlich ist das alles irgendwie Sinn der Sache, aber mir nimmt es in dieser Form zwischendurch fast jede Anteilnahme am Schicksal der Figuren abseits der zynischen Haltung, jede Rolle, ausser vielleicht mit etwas Gnadensympathie Amy, ins Pfefferland wünschen zu wollen.
Die Abneigung der Dorfbewohner gegenüber dem kauzigen David ist folglich gar nicht mal so weit hergeholt, Hoffman ist auch für mich hier schnell mal ein Unsympath. Aber natürlich sind die Dorfbewohner hier die Antagonisten und ihre Handlungen gehen fortschreitend ins Böswillige über. Das leidet für mich aber darunter, dass ihre Ablehnung von David, gekoppelt an die Spitzheit auf Amy, nahezu von Anfang an schnell, klar aber auch eindimensional ins Geschehen geworfen werden. Im Dorf herrscht halt eine verschworene Gemeinschaft in die David (aber auch Henry Niles) nicht reinpassen und folglich geächtet werden, und damit fertig. Auch hier mag sein, dass das auf dem Papier alles gut funktioniert, Mobbing ist ja auch in echt ähnlich irrational. Aber wieder hilft es nichts, wenn der Bauch es irgendwie nicht gutheissen will und wenig Anteilnahme nimmt an dem was er als eher etwas plump aufbereitetes Mobbing unter wenig sympathischen Leuten wahrnimmt. Noch ein Beispiel: Das gesamte Spektakel explodiert schlussendlich wegen Janice und Niles, allerdings erfährt der Lynchmob um Rädelsführer Tom ja gar nie, dass der kranke Niles die arme Janice in seiner Panik tatsächlich getötet hat. Der ganze Zorn basiert auf einem allgemeinen Hass auf Niles, und es wird ja schon früh klar gemacht dass Tom und seine Bande auf Niles rumhacken, weil der sich ja an Janice ranmache. Alles was ich sehe ist aber eine Janice, die sich von sich aus bereitwillig an Niles (aber auch an David) ranschmeissen will. Heisst die Eskalation basiert darauf dass die eindimensionalen Dörfler die für mich einfach so in den Raum geworfenen Anmachen der ebenfalls eindimensionalen Janice falsch verstehen, nichts davon wissen oder nichts wissen wollen, letztendlich ist mir das figürlich alles nicht wirklich schlüssig und eher etwas plump. Das mal als Erklärungsversuch, weshalb ich die figürliche und psychologische Entwicklung der Geschichte nicht für besonders elegant halte.
Am Ende ist mir auch Davids Blutrausch zu weit weg von seinem etablierten linkischen Wesen, zu präzise und zu gnadenlos mörderisch. Da war beispielsweise Travis' Amoklauf in Taxi Driver fünf Jahre später charakterlich und auch insgesamt wesentlich glaubhafter und von Anfang an kausaler aufgebaut. Bei David bin ich eher in der Position, den etablierten Background weitgehend auszublenden und ihn ab diesem Punkt aus Prinzip als Hausverteidiger gegenüber der antagonistischen Belagerer zu akzeptieren. Womöglich wirkt der grosse "Showdown" auch einfach zu lang und zu ausufernd, um in dieser Hinsicht noch einen glaubhaften Zusammenhang zur realistischen ersten Filmhälfte zu haben, auch hier kann ich eigentlich wieder Taxi Driver als Gegenbeispiel aufführen.
Das liest sich jetzt alles bestimmt schrecklich vernichtend, ist aber nur ein Erklärungsversuch, warum Straw Dogs verglichen mit meinen eigenen Wertungen zu anderen Peckinpah-Filmen wie auch mit den meisten Wertungen anderer Rezensenten dieses Films viel weniger enthusiastisch ausfällt. Letztendlich ist Straw Dogs immer noch ein professioneller und thematisch wie auch stilistisch "reinblütiger" Peckinpah-Film, was ihm gewissermassen schon einen Grundstock an Wertungspunkten gibt bzw. den Wertungsbereich, in dem wir uns etwa aufhalten diktiert. Die grimmigen, nebligen, englischen Landschaften sind exzellent fotografiert, der Schnitt und die visuelle Aufbereitung sind vielerorts exzellent, etwa die parallel laufenden Jagd- und Vergewaltigungsszenen. Die gefühlt letzte halbe Stunde, also der Showdown, ist als Thriller- und Actionkino bärenstark, wenn ich wie oben angedeutet den Weg dahin auch mal ausblende und mich auf das handwerkliche und das Spannungselement einlasse. Straw Dogs ist also keineswegs ein schlechter Film, aber für einen glasklar figürlich und psychologisch motivierten und auf diesen Gebieten auch ambitionierten Film funktioniert für mich die figürliche und psychologische Ebene halt einfach nicht so recht.
Wertung: 6,5 / 10
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.