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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Ich habe ein ziemlich volles Wochenendprogramm und drängle mich daher schamlos vor.
Die Rezension enthält Spoiler zur Handlung und zum Ende von The Wild Bunch. Der Text ist teilweise recycelt aus einem filmanalytischen Aufsatz, den ich vor ein paar Jahren an der Hochschule zu einem Beispiel von Gewalt in Filmen geschrieben habe.
The Wild Bunch (Sam Peckinpah, 1969)
"You wanna come along? Ain't how it used to be, but it'll do."
Manche Regisseure sind heute filmhistorisch unzertrennlich mit ihrem "Meisterwerk" verbunden, sei es Kubrick mit 2001 oder Hitchcock mit Vertigo. Bei Sam Peckinpah ist es sein 1969 erschienener Spätwestern The Wild Bunch. Und auch wenn es gerade bei diesen Beispielen genügend andere valide Kandidaten für einen persönlichen Liebling des geneigten Filmfans gibt, ist es doch gleichzeitig auch schwer, dem Status des allgemein anerkannten "Meisterwerks" zu widersprechen. Aber der Reihe nach:
Nur wenige Filme der 1960er-Jahre haben einen vergleichbaren filmhistorischen Nachhall in Bezug auf Gewalt und Action wie Sam Peckinpahs The Wild Bunch. Der Film schildert die Geschichte einer Bande alternder "Outlaws" um den berüchtigten Pike Bishop (William Holden) im Jahr 1913, als die klassische Wildwestzeit sich immer deutlicher ihrem unausweichlichen Ende zuneigt. Nach einem missglückten Überfall auf das Büro einer Eisenbahngesellschaft setzt sich die Gruppe nach Mexiko ab, verfolgt von einem ehemaligen Komplizen, Deke Thornton (Robert Ryan), der nun, um eine Gefängnisstrafe zu vermeiden, gezwungenermassen auf Seiten des Gesetzes agiert. Umgeben von tumben, gierigen Handlangern und skrupellosen Befehlshabern, sichtlich unglücklich mit seiner Position, aber ohne andere Wahl. Südlich der Grenze erledigen sie zunächst einen Auftrag für den tyrannischen General Mapache, der Waffen benötigt, um sein Einflussgebiet auszudehnen - Waffen, welche die Bishop-Bande für ihn von einem US-Transportzug raubt. Die Sache verkompliziert sich aber, als ein Mitglied von Bishops Bande einen Teil der Waffen einheimischen Rebellen zukommen lässt, mit denen er aus familiären und kulturellen Gründen sympathisiert, und die sich Mapache gegenüberstellen. Nachdem sie zunächst tatenlos zusehen, wie ihr Freund von Mapache gefoltert und gedemütigt wird, entscheiden sich Bishop und seine drei verbliebenen Kameraden schliesslich, dem Wahnsinn ein Ende zu setzen. In einem suizidalen Blutbad gewaltigen Ausmasses feuern sie Mapache und einen grossen Teil seiner Garnison in Grund und Boden bevor sie selber erschossen werden.
Die Gewaltdarstellung und die Ästhetisierung der Action in The Wild Bunch polarisierten nicht nur bei Erscheinen des Films, sondern werden mitunter auch bis heute diskutiert. Die mehrminütige Kampfszene am Ende ist schriftlich kaum zu beschreiben mit ihren unzähligen, rasant geschnittenen Bildwechseln, verschiedenen Perspektiven, kurzen Zeitlupeneinblendungen und dutzenden von sterbenden Statisten. Der blut- und bleihaltige Bilderrausch portraitiert das Ausmass der Zerstörung in einer solchen Intensität, dass Zuschauern bei der Erstaufführung angeblich übel geworden sei. Alleine dass dieser nicht zweifelsfrei belegte Mythos der sich übergebenden Zuschauern bei der Vorpremiere bis heute kursiert sagt einiges über die Diskussionen aus, die The Wild Bunch in der Lage, ist anzuregen.
"Let’s go" - Mit diesen schlichten Worten, die im Film zuvor schon einige Male in unterschiedlichem Kontext gesagt wurden, wird die Vereinbarung von vier Männern, gemeinsam in den sicheren Tod zu ziehen, besiegelt. Die folgende Schlacht von Agua Verde, die in die Filmgeschichte eingegangen ist, und in welcher der namensgebende "Bunch", bzw. was davon übriggeblieben ist, eine halbe Armee mit ins Jenseits nimmt, ist nichts anderes als der sichere Suizid. Ein vermeintlich sinnvolles Motiv ist darin auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Zwar fordert Bishop die Freilassung des halb zu Tode geschundenen Kameraden Angel, aber geht es wirklich darum, den an der Schwelle des Todes stehenden zu retten? Ist das überhaupt noch möglich? Mapache beantwortet die Frage, indem er Angels Kehle durchschneidet. Zuvor hatten Bishop und seine Gefährten Angels Bestrafung für den Waffenraub – in den der Rest der Bande sehr wohl eingeweiht war – stillschweigend geschehen lassen, um das Geld und den Schutz vor den amerikanischen Behörden, die ihnen der teuflische General versprochen hatte, nicht zu gefährden. Als sie sich nach einem Moment der Reflektion dennoch dafür entscheiden, die prekäre Lage mit selbstopfernder Gewalt zu lösen, hat das wenig von Ruhm und Ehre an sich.
Ein durchgängiges Motiv in The Wild Bunch und weiteren Filmen von Sam Peckinpah ist die Veränderung des gewohnten Umfelds der Protagonisten. Die Handlung ist im Jahr 1913 angesiedelt, deutlich nach der Blütezeit des amerikanischen Westens wie er im Genre üblicherweise gezeigt wird. Die Schlüsselfiguren Pike Bishop, Dutch Engstrom und Deke Thornton sind nicht mehr die Jüngsten und eindeutige Überbleibsel einer vergangenen oder zumindest vergehenden Ära, in der sie als Legenden galten. Der "Wild Bunch" reitet auf Pferden und schiesst mit Revolvern, wird aber im gleichnamigen Film voller Erstaunen mit einem Maschinengewehr und einem Automobil konfrontiert und tauscht in einer Szene sogar Gerüchte über ein angebliches Flugzeug aus. So ergibt sich das Gesamtbild einer Welt, in der die "Helden", also die Outlaws, keinen Platz mehr finden.
Gleichzeitig zeigen diverse Szenen einen krassen Gegenpol zur blutigen Gewalt. Die Bishop-Bande legt nach der Grenzüberquerung einen Halt in einem mexikanischen Dorf ein und wird beim Feiern mit den Einheimischen gezeigt. Ähnlich verhält es sich nach ihrer "Aufnahme" in die Gefolgschaft von Mapache. Solche Szenen portraitieren die Gesetzlosen als lachende, trinkende und tanzende Menschen im Umfeld derber aber harmloser Geselligkeit. Auch wenn nicht explizit gesagt ergibt sich doch der Eindruck, als kämen die Banditen zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in Berührung mit einer Unschuld, die ihnen durch ihr verbrecherisches Leben ansonsten verwehrt bleibt. Wie ich damals aus einer Analyse von Rainer Winter zitiert habe (im Unterricht wurden drei Zitate verlangt): "Der Aufenthalt in Angels Dorf wirkt dann wie ein Paradies auf Erden" und - in Bezug auf eine Szene der wortlosen Selbstreflektion, unmittelbar vor dem blutigen Finale – "Dies ist zweifellos ein Moment der Epiphanie. Pike hat sich verwandelt. Er kann nun sein tragisches Schicksal annehmen. Er kann die Vergangenheit nicht ändern, es wird keine Vergebung für ihn geben. Er kann aber seine Passivität und Verzweiflung überwinden, indem er handelt. Auch wenn er sterben wird, verwirklicht er das Idealbild, das er vor sich hat, dem er aber […] nicht gerecht wurde".
Betrachtet man diese Motive als Teil eines Ganzen scheint es, als ob dieser suizidale Gewaltakt gegen eine ganze Garnison sowohl eine Reaktion auf die Veränderung der vertrauten Weltordnung als auch das Eingeständnis eines vergeudeten Lebens darstellt. Die Outlaws "kannten kein Gesetz" (wie es auch der deutsche Filmtitel sagt) und haben in einer vergangenen Zeit ein Leben in Sünde und Kriminalität verbracht, etwas, wofür in der neuen Welt immer weniger Platz ist. Die Protagonisten sind nicht in der Lage, sich anzupassen. Sie werden mit der unerbittlichen Verfolgung durch Thorntons Männer konfrontiert, mit den Intrigen des Generals Mapache, mit moralischen Grauzonen aber auch mit einer unerwarteten Schönheit und Unschuld in Form des Austauschs mit den Einheimischen. Für Pike und seine Männer ist es aber zu spät, alles zu verändern und ein Teil dieser Unschuld zu werden, für sie stellt dieser kurze Einblick in eine unschuldige Welt nur eine temporäre Reise in ein anderes Leben dar. Der finale Gewaltakt ist ein letztes Statement der einzigen Art, worin die Outlaws jemals gut und erfolgreich waren: Das Bekenntnis zur existenziellen Sackgasse, aus der es der einzige verbliebene Ausweg ist, mit dem leisen Hoffnungsschimmer versehen, doch noch etwas Gutes zu tun. Ein weiteres Zitat: "Mit diesem letzten Coup noch einmal viel Geld zu machen und dann auszusteigen, 'to back off' - davon träumte Pike. Doch 'back off to what?', fragt ihn einer seiner Kumpane. Es ist eine rhetorische Frage. Der blutrünstige Schlusskampf erweist sich als Geste der Verzweiflung – als letzter Versuch eines Heroismus in einer bereits heldenlos gewordenen Zeit. Die letzten Filmbilder zeigen Rückblenden aus besseren Tagen. So werden die Toten zu Legenden und damit endgültig verwiesen in jene gloriose Vergangenheit aus der sie sich in die Gegenwart verirrt hatten."
Mörderische Gewalt als Reflektion des individuellen Scheiterns, als Klimax eines persönlichen moralischen Untergehens, sowohl durch äussere Umstände als auch durch das eigene Versagen, ist eine weitgehend anerkannte Lesart für Sam Peckinpahs Filme, insbesondere The Wild Bunch. In diesem Sinne können seine Filme als Ausdruck seines eigenen privaten Scheiterns angesehen werden, seiner Alkohol- und Drogenprobleme und seinen beständigen Konfrontationen mit den verantwortlichen Produzenten, zum Beispiel bei Major Dundee (1965) und Pat Gararett & Billy the Kid (1973). Peckinpahs Vorliebe für versagende und sterbende Charaktere wird in der Filmkritik ausführlich thematisiert und kann am besten mit meinem letzten Zitat zusammengefasst werden: "[…]the famous credit, 'Directed by Sam Peckinpah' hammered on to the screen after Pike Bishop (William Holden) spits out the words: 'If they move, kill 'em!' Which immediately told us where the director's sympathies lay – with the doomed and the outcast."
Am Ende, nach unzähligen Bildern von Blut und Gewehrfeuer im Sekundentakt, als der Rauch sich verzogen hat, treffen die von der Eisenbahngesellschaft gesandten Kopfgeldjäger am Tatort ein. Die Handlanger bergen johlend die Überreste der Bishop-Bande aus den Leichenbergen, um sie in die Vereinigten Staaten zurückzubringen und die Belohnung zu kassieren. Der mit der Leitung der Jagd beauftragte Deke Thornton, einst selbst ein Mitglied des "Wild Bunch", bleibt in Agua Verde zurück. In der umso leiseren Ruhe nach dem blutigen Sturm schliesst sich der Kreis und bestätigt sich das zentrale Motiv des Films: Thornton ist genauso ein Relikt wie Bishop, ist aber in einer fremden Rolle gefangen, gegen seine alten Kameraden ausgespielt und von höherer Stelle gezwungen, Gesetzeshüter zu spielen. Er sitzt alleine am Ort der letzten Schlacht und scheint sich danach zu sehnen, gemeinsam mit den anderen in einem finalen Kampf gestorben zu sein. Zum Schluss trifft er auf Freddie Sykes, den letzten anderen verbliebenen Bishop-Kumpanen, der zuvor vom Rest der Gruppe getrennt wurde. Gemeinsam beschliessen sie, sich mit den mexikanischen Rebellen zu verbünden, ein verzweifelter Versuch, trotz allem noch einen Hauch ihres alten Outlaw-Lebens zu bewahren. "You wanna come along?", fragt Sykes, "Ain’t like it used to be, but it’ll do."
Fazit: Es gäbe noch so manches, was man erwähnen könnte, seien es die perfekt besetzten Charakterfressen von William Holden, Ernest Borgnine und Robert Ryan oder der schmissige Score von Jerry Fielding. Oder den inszenatorisch minutiös ausgearbeiteten Eisenbahnraub in der Mitte des Films, der als Spannungshöhepunkt fungiert. Thematisch und erzählerisch steht aber für mich vor allem vom Ende aus zurückgeblickt fest, dass The Wild Bunch tatsächlich Peckinpahs Meisterwerk ist, er ist aber auch ein Meisterwerk des Western und des Actionfilms im Allgemeinen. Selbstverständlich kann es nur ein Verdikt geben.
Wertung: 10 / 10
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.