195
von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Auf der Fährte des Adlers
Wer an die 1970er denkt, denkt an Clogs, Schlaghosen, Lavalampen, die Bee Gees und … Drachenflieger? Na klar! Der Luftsport, bei dem ein Pilot unter einem Hängegleiter, auch Deltasegler oder Drachen genannt, mit etwa elf Metern Spannweite hängt und durch die Lüfte segelt, war im Disco-Jahrzehnt – wie man damals sagte – „hipp“. Die Erfindung des gefährlichen Freizeitvertriebs geht auf den Aerodynamiker Francis Rogallo zurück. Er erschuf im Auftrag der NASA nach dem Zweiten Weltkrieg einen zusammenklappbaren, flexiblen Flügel, der für die Rückkehr von ausgebrannten Raketenstufen zur Erde dienen sollte. Mitte der 60er wurden die Geräte als Rogallo-Gleitschirme bekannt, doch die NASA verzichtete letztlich auf ihren Einsatz. Seine Erfindung machte dennoch Schule und inmitten der Flower-Power-Bewegung etablierte sich das Drachenfliegen in den Küstenregionen der USA.
Auch in Deutschland löste der Sport einen Medienrummel aus, als 1973 der junge Kalifornier Mike Harker mit einem Gleiter von der Zugspitze abflog. Drachenfliegen war damit in Europa angekommen – und wenig verwunderlich griff es kurz darauf die Filmwelt auf. Noch im selben Jahr sah man Roger Moore in seinem ersten Einsatz als „James Bond 007“ im Film „Leben und sterben lassen“ unter einem Hängegleiter, ein paar Jahre später griff die Reihe den Sport in „Moonraker“ erneut auf. Der kultige satirische Actionkracher „The Man from Hong Kong“ warb 1975 ebenfalls groß mit seinen spektakulären Drachenflieger-Szenen. Das kinematografische Potenzial der motorlosen Fluggeräte erkannte auch der Produzent Sandy Howard und beschloss, einen ganzen Film um das Drachenfliegen herum zu konstruieren: „Auf der Fährte des Adlers“.
Worum es in diesem Film abseits vom Luftsport geht, ist flott erklärt: In Athen überfallen bewaffnete Männer mit Eishockeymasken das Haus des Millionärs Jonas Bracken. Seine Frau Ellen und ihre zwei Kinder werden entführt, sämtliche Hausangestellte erschossen. Bracken selbst ist zu dem Zeitpunkt bei einem Geschäftstermin. Nun soll er sich über Funk bereithalten, und ein saftiges Lösegeld an die Entführer zahlen. Die Polizei aber bittet ihn, auf Zeit zu spielen, um die Terroristen in die Finger zu bekommen, die sich als anti-imperialistische Revoluzzer zu erkennen geben. Doch die Polizei erweist sich als unfähig: Bei einem ersten Versuch, die Terroristen zu orten, geraten sie in eine Falle, bei der drei blaue Engel ihr Leben lassen, darunter der Neffe des leitenden Inspektors Nikolidis.
Welch Glück für Jonas Bracken, dass Ellens Ex-Mann Jim McCabe ein echtes Raubein ist! Sobald der Gelegenheitskriminelle von der Entführung seiner ehemaligen Gattin hört, beschließt er, auf eigene Faust die Gangster ausfindig zu machen. Tatsächlich findet er heraus, dass Ellen und die Kinder auf einem abgelegenen Bergkloster festgehalten werden. Nur: Wie kommt man da jetzt rauf, um die Geiseln freizuschießen? Kurzerhand heuert McCabe professionelle Drachenflieger an und macht einen Hängegleiter-Schnellkurs. Kann doch so schwer nicht sein. Und schon finden er und seine neuen Freunde sich in einer Nacht- und Nebelaktion erst in luftiger Höhe und dann im Kugelhagel wieder …
Da wirklich einzig und allein die Luftszenen der Grund sind, warum „Auf der Fährte des Adlers“ je gedreht wurde, versucht Regisseur Douglas Hickox möglichst schnell zum Punkt zu kommen. Nur 91 Minuten kurz ist sein Actionfilm, wobei die große Rettungsmission in Minute 54 beginnt. Dementsprechend hoch ist das Tempo: Keine fünf Minuten dauert es, ehe die mit Sturmgewehren bewaffneten Terroristen die Familie entführen, danach werden rasch alle Figuren in Stellung gebracht. Den knallharten Haudegen McCabe mit James Coburn zu besetzen, kann gar als Abkürzung betrachtet werden, denn der Western-Star aus „Die glorreichen Sieben“ und „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ spielt hier von der ersten Sekunde erkennbar schlicht seine bekannte Leinwand-Persona: Immer Herr der Lage, unbestreitbar cool und verwegen, ein Macher eben.
Die illustre Besetzung kann sich auch abseits von ihm sehen lassen: Die entführte Gattin gibt Susannah York, die damals spätestens dank des Tanzfilms „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ zur A-Liga im europäischen Kino gehörte, ihren besorgten Mann spielt Robert Culp, berühmt als Serienstar neben Bill Cosby in „Tennisschläger und Kanonen“. Wirklich köstlich ist der bewusst diktatorisch angelegte Auftritt des armenisch-französischen Komponisten und Schauspielers Charles Aznavour als Inspektor der Polizei von Athen, der im Originalton übrigens gar nicht erst versucht, einen griechischen Akzent zu behaupten.
Auf Seiten der aalglatten Schurken gibt es in einem skurrilen Part die Model-Ikone Zouzou und den Österreicher Werner Pochath als Anführer der Terroristen zu sehen. Pochath war oft auf Bösewicht-Rollen abonniert (etwa im Western „Die rote Sonne der Rache“ oder in der Prügelkomödie „Plattfuß in Afrika“) und liefert auch hier in seinen wenigen Szenen ab. Eher unscheinbar als einer der Drachenflieger ist außerdem John Beck mit an Bord, der nur wenige Jahre später den Mark Graison im TV-Hit „Dallas“ spielte – und schon in „Auf der Fährte des Adlers“ seinen charakteristischen dicken Schnurrbart trägt.
Dank ihnen allen weht ein Eau de Fleur von Hollywood durch die mit einem Budget von 350.000 Dollar günstige Produktion, wobei noch insbesondere der großartige Komponist Lalo Schifrin („Dirty Harry“, „Bullitt“) mit seiner beschwingt-fröhlichen Titelmusik für Stimmung sorgt. Das eigentliche Interesse des Films liegt aber in seinen Bildern: Nicht nur dürfte Griechenland als Handlungsort bei den US-Zuschauern für einen Hauch von Exotik gesorgt haben, die Aufnahmen von Drachenfliegern sind schlicht und ergreifend spektakulär. Acht echte Hängegleiter-Piloten (Chris Wills, Bob Wills, Susie Wills, Kurt Kiefer, Dix Roper, Carol Price, Chris Price & Dean Tanji) flogen für die Produktion durch das enge griechische Metéora-Gebirge, gefilmt vom begnadeten Helikopterkameramann Greg MacGillivray.
Die Kamera hängt dabei teilweise mit den Piloten im Gleiter und sorgt für phänomenale Einstellungen. Als nach der Landung auf einem der vielen dort hochgelegenen Kloster gelandet und geballert wird, bietet Hickox eine Materialschlacht sondergleichen. Das aufwendige Feuergefecht, in dem sich noch die griechische Polizei und der besorgte Familienpapa Bracken mit Maschinengewehr einmischen, ist übersät mit Explosionen und endet mit einer waghalsigen letzten Jagd, in der die flüchtenden Drachenflieger von einem Helikopter verfolgt werden. An dessen Kufen hängt zu dem Zeitpunkt James Coburn höchstpersönlich und macht damit seinem Ruf als Actionheld alle Ehren. Die Aufnahmen dieser finalen halben Stunde sind so furios und mitreißend, dass sie kurz darauf wiederverwendet wurden: Im Intro der TV-Serie „Ein Colt für alle Fälle“ kann man unter anderem den am Helikopter hängenden Coburn erkennen.
Freilich nimmt es „Auf der Fährte des Adlers“ mit der Logik nicht allzu genau und ist einzig und allein als schnelles Spektakel konzipiert. Damit kann er aber auch als Wegbereiter gesehen werden: Im Rückblick wirkt Hickox runder Spaß wie ein Prolog auf das Actionkino der 80er Jahre, in dem Namen wie Arnold Schwarzenegger oder Sylvester Stallone den Ton angaben. Nicht bloß, weil die Action durch die absurden, körperlichen Höchstleistungen ihrer Akteure getragen wird, sondern auch weil McCabe als Hauptfigur selbst wie viele seiner Nachfolger als der personifizierte geheime Traum der vermeintlich spießigen Zivilgesellschaft auftritt: Er schreitet mit Waffe in der Hand und coolem Spruch auf den Lippen zur Tat, als der Staat gänzlich versagt. Ein weiterer Vergleich: Der zehn Jahre später erschienene 80s-Überhit „Top Gun“ tat letztlich auch nichts anderes, als seinen dünnen Plot um spektakuläre Flugsequenzen (dieses Mal im Kampfjet) herum zu konstruieren.
Man kann die unverhohlene Selbstjustiz-Geschichte negativ betrachten, und das wurde sie damals auch. Die Kritiken stürzten sich anno 1976 auf den kommerziell enttäuschenden Film. Das Lexikon des internationalen Films etwa urteilt: „Ganz nach Klischee inszeniert, nur mäßig spannend und von fragwürdiger ideologischer Tendenz.“ Dass wiederum „Auf der Fährte des Adlers“ auch seine Liebhaber fand und andere Filme inspirierte, lässt sich allzu leicht erkennen: Fünf Jahre später klauten der Produzent Albert R. Broccoli und der Regisseur John Glen bei dem Actionspektakel dreist für ihren „James Bond 007“-Film „In tödlicher Mission“. Auch dort muss Roger Moore im spannenden Finale unbemerkt die Festung der Bösewichte stürmen, die sich in einem Bergkloster im Metéora-Gebirge verstecken – allerdings nicht per Drachenflieger, sondern mit dem Kletterseil ausgerüstet.
Als launig-naiver und zügig erzählter Geheimtipp ist „Auf der Fährte des Adlers“ noch heute für einen gemütlichen Abend gut. Zumal dem Film ein ungewöhnliches Kompliment gemacht werden kann: Sein deutscher Titel ist international die tatsächlich beste Alternative. Im Original kennt man ihn unter dem banalen „Sky Riders“ (zu deutsch: „Himmelsreiter“), die Franzosen nennen ihn (übersetzt) „Die Delta-Intervention“, die Italiener „Die Falkenmänner“ und die Spanier gar „Der Angriff der Vogelmenschen“.
https://filmduelle.de/
Let the sheep out, kid.