Casino Hille hat geschrieben: 15. Juni 2021 13:44
Nolan ist für mich ein spannender Fall, weil ich über die Jahre eine klare Entwicklung an mir feststellen kann, die sich sehr darauf auswirkt, wie ich seine Filme wahrnehme. Die große Begeisterung, die da vor langer Zeit mal war, ist längst abgeklungen, wie ich die letzten Wochen bei einer Sichtung all seiner Filme in chronologischer Reihenfolge festgestellt habe, auch seine allgemein als richtig großen Werke wahrgenommenen Sachen gefallen mir kaum noch oder nur mit starken Einschränkungen
Um das mal näher auszuführen, hier beispielhaft ein paar meiner jüngeren Gedanken zu "The Dark Knight":
Die Entwicklung von Harvey Dent zu Two-Face ist für mich nicht wirklich glaubhaft in "The Dark Knight". Das war ja schon immer mein eines großes Problem mit dem Film. Es wird ja gerne gesagt, Nolans größte Schwäche als Regisseur sei seine Unfähigkeit, Emotionen darzustellen. Das ist aber wohl vor allem ein Symptom dessen, dass er sich wenig für seine Figuren interessiert. Sie sind nur Schachfiguren, aber sie sind keine Menschen, sie verhalten sich nicht wie Menschen, bzw. betrachtet der Film sie nicht wie Menschen. Und bei Harvey Dent ist das besonders offensichtlich.
Harvey ist im Film ein Symbol für das Gute, der Film verhandelt im Finale sogar ausgesprochen "die Seele von Gotham". Aber: Wer ist Harvey darüber hinaus? Was zeichnet ihn aus? Was sind seine Ideale, was sind seine Träume? Wie ist seine Philosophie, wie ist seine Überzeugung? Er ist Rechtsanwalt, und äußert einmal, er wäre gerne Batman, und das Gordon und seine Regeln für ihn ein Problem seien. Okay, prima, er steht also hinter dem Rechtsstaat, wünscht sich aber, er könnte mehr tun, er empfindet das Recht als Fessel. Und der Anstoß von Joker zeigt ihm auf, wie viel besser es sich ohne diese Fesseln lebt. Okay. Aber letztlich dreht Harvey durch, weil seine Alte gestorben ist und er deshalb miese Laune und nichts mehr zu verlieren hat. Wie jeder x-beliebige Psycho in jedem x-beliebigen Film. Ich kann nicht nachvollziehen, wo das herkommt. Er zweifelt an dem System, welches er vertritt, erlebt einen schweren Schicksalsschlag, und mordet dann fröhlich vor sich her? Da ist ein weiter Weg von "Meine Frau wurde von einem Terroristen in die Luft gejagt" zu "Ich erschieße ein unschuldiges Kind vor den Augen seines flehenden Vaters". Und diesen Weg geht Harvey im Film nicht. Stattdessen brennt sein Gesicht ab und Nolan entscheidet: "So, er sieht jetzt aus wie der Two-Face in den Comics, also ist er auch der Two-Face in den Comics."
Noch schlimmer finde ich aber, wie der ganze Film diesen relativ abstrakten Kampf um "die Seele von Gotham" behandelt. Ungelogen: Der bei mir wenig beliebte "Joker"-Film mit Joaquin Phoenix macht das sehr viel besser als es Nolan tut. Dieser ganze Sprech von wegen "Harvey ist der Goldjunge von Gotham" wird nie visuell untermauert. Nolan zeigt uns nie, dass durch Dent wirklich eine andere Stimmung in Gotham herrscht, weil es wirklich keine einzige Szene gibt, in der nicht entweder Harvey, Gordon, Batman oder Joker im Mittelpunkt stehen, also alles Figuren außerhalb der Gesellschaft. Der ganze Film redet von Gotham und der Gesellschaft von Gotham, aber er zeigt sie uns nie. Macht Harvey wirklich einen Unterschied? Keine Ahnung, ich muss es wohl einfach glauben. Interessanterweise ist das nicht bei allen Figuren so, im Gegenteil: Bei Batman wird seine Macht über die Stadt visuell untermauert, wenn Nolan uns zu Beginn zeigt, wie die Verbrecher schnell wieder in ihre Verstecke rennen, sobald das Bat-Signal aufleuchtet, wie Scarecrow und seine Männer sofort hektisch werden, als Batman in der Nähe zu sein scheint. Aber wie ist das bei Harvey? Welchen spürbaren Unterschied macht seine Existenz für Gotham? Ist das außerhalb von Dialogen je ein Thema im Film? Show it, don't tell it.
Eigentlich fechten Bruce, Gordon und Harvey in der Finalszene dann auch nur ihre privaten Konflikte aus: Harvey war immer eifersüchtig auf die Macht von Batman, Gordon hat Harvey nur als Mittel zum Zweck benutzt etc. Aber nach Harveys Tod entscheidet das Drehbuch plötzlich, hier sei es um etwas viel Größeres gegangen, was im Film nicht stattgefunden hat. Warum sollte eine ganze Stadt, die so kaputt, korrupt und kriminell ist wie Gotham nur dadurch zusammengehalten werden, dass ein Anwalt sich für das Gute einsetzt? Warum sollte Gotham zur Hölle fahren, nur weil die Bewohner von Dents Verbrechen erfahren? Und warum nimmt Batman die Schuld für diese Morde auf sich, wenn Gordon und er sie einfach dem Joker andichten könnten? Ihr persönliches Opfer ergibt in der Schlussszene gar keinen Sinn, weil es keinen Zeugen gibt, der behaupten könnte, Harvey sei für alles verantwortlich gewesen. Sie könnten einfach jemand anderen herbeilügen. Wenn es aber jemanden gäbe, der wüsste, dass Two-Face der Mörder war, dann ergäbe es Sinn, wenn Batman dagegen hält und gesteht, um den Zeugen unglaubwürdig zu machen (nach der Logik: Warum sollte Batman die Morde gestehen, wenn er es nicht auch gewesen ist?). Aber so ist das nur herbeigeschrieben, weil es auf einer Metaebene (vielleicht) Sinn ergibt; der Plot erfordert es nicht.
"Joker" macht das viel besser: Hier sehen wir immer wieder, wie die Stadt Gotham auf die Taten von Arthur reagiert, wie die Eskalation sich hochschaukelt. Wir bekommen Bilder von Demonstranten, wir bekommen Figuren präsentiert, die aus der Mitte der Gesellschaft stammen (unser Protagonist gehört sogar dazu), wir bekommen eine Relation zum Aufwand, den die Figuren betreiben und dem gesellschaftlichen Ergebnis. Aus dieser Perspektive ist "Joker" der um fünf Ecken intelligentere Film, der nachdenklichere Film und der bemühtere Film. "Joker" ist eine Geschichte über eine kaputte Gesellschaft, die ihren Status Quo hinterfragen muss, und erzählt deshalb von einem Opfer der Gesellschaft, der mit Gewalt dieses Umdenken kommuniziert (was die Tragödie des Films ist, da er die Frage stellen will: War diese Gewalt nötig? Wurde Arthur in eine Situation gedrängt, in der nur noch Gewalt ein akkurates Ausdrucksmittel sein konnte?).
In "The Dark Knight" wird dieselbe Geschichte erzählt, eine kaputte Gesellschaft versucht, ihren Status Quo zu ändern und zu wachsen. Bloß passiert das im Film nie so richtig, weil die Geschichte nur von den Bewahrern und Störern des Friedens handelt. Nolan hat keine Antwort auf die Frage, wie sich eine Gesellschaft positiv beeinflussen lässt, stattdessen endet er mit Pathos: Wir müssen darauf vertrauen, dass selbst wenn die öffentliche Ordnung gestört wird, wenn unsere Überzeugungen von Innen heraus angegriffen werden, da draußen irgendwelche Idealisten sind, die uns beschützen und entscheiden, was wir zu glauben haben. Und das dieser Idealist dann hier ein Superreicher ist, nun gut, das passiert eben, wenn man eine Comic-Realität so sehr in der Wirklichkeit verortet.
Man kann das sogar noch weiter denken, wenn man die Fortsetzung "The Dark Knight Rises" mit ins Boot holt, in welcher der Terrorist Bane das Volk dazu aufstachelt, die Reichen aus ihrer Wohlstandsblase zu zerren und mit Gewalt die bestehenden Verhältnisse neu aufzudröseln. Occupy, Charles Dickens "Tale of Two Cities" und Frankreich 1789 lassen grüßen. Aber wieder zeigt Nolan uns gar niemanden aus dem einfachen Volk, sein Film handelt ausschließlich vom Mega-Milliardär Bruce Wayne, seinem Gefolge, der Polizei und Banes Privatmiliz. Wie der einfache Bürger zu all dem steht, könnte dem Drehbuch nicht egaler sein – obwohl dieses einfache Volk angeblich die Revolution will und hinnimmt, die Bane anführt.
Die aufrechterhaltende Fantasie von Nolans Batman-Filmen besteht also darin, dass die Exzesse des Finanzkapitals nur durch eine Kombination aus Philanthropie, Gewalt und Symbolik eingedämmt werden können. "The Dark Knight" entlarvt dabei wenn man so will die Gewalt, die notwendig ist, um die konservativen Fiktionen zu bewahren, an die wir glauben sollen, aber genau wie sein Nachfolger verteufelt er Aktionen des Kollektivs gegen das Kapital und die Herrschenden. Stattdessen möchte Nolan, dass wir all unser Vertrauen und unsere Hoffnung in gezüchtigte, vernunftbegabte Superreiche stecken, die für uns entscheiden, wann ein Status Quo bestehen bleiben und wann er überworfen werden darf.
Na, wenn das nicht ganz tolle Gesellschaftskritik ist … oder so.
Interessant ist hierfür noch die gängige Sichtweise, "The Dark Knight" als Film über den Terrorismus zu sehen. Speziell diesen Blickwinkel verstehe ich allerdings nicht so ganz. Terroristen sind (meist in Gruppen organisierte) Individuen, die durch Gewalt und Terror versuchen, politische Ziele durchzusetzen. Wann passiert das in Nolans Film? In der Joker-Figur? Joker ist kein Terrorist, denn er hat keine Motive, keine Hintergrundgeschichte, keinen Antrieb. Terrorismus ist immer ideologisch motiviert, aber Nolan legt Joker als Anarchisten an, der sich daran gefällt, einen Regelbewahrer wie Batman an seine Grenzen zu bringen. Passiert es in Two-Face? Das ist ein gestörter Irrer, der nur Rache für den Tod seiner geliebten Frau will. Passiert es in Scarecrow? Keine Ahnung, er taucht nur für 25 Sekunden auf.
Tatsächlich passiert es vielleicht in der Schlüsselszene im dritten Akt, als Batman ein Überwachungssystem installiert, um alle Bewohner Gothams zu belauschen und so den Joker zu entdecken. Das kann man als Kritik an den Mitteln verstehen, welche die USA eingesetzt haben, um die Sicherheit der Bevölkerung auf Kosten ihrer Freiheit zu wahren. Aber welche Konsequenz hat das für Batman und seinen Komplizen Morgan Freeman? Klar, Freeman droht mit Kündigung, aber Batman versichert ihm, er brauche nach getaner Mission nur ein Passwort eingeben, um die Maschine zu zerstören. Rechtsüberschreitung mit reinem Gewissen eben. Batman ist in "The Dark Knight" die Instanz des Guten und da der Film ihn als solche nie ernsthaft hinterfragt, weiß ich nicht, wo Nolan mit dieser Szene hinwollte. Man könnte den Film genauso auch als Rechtfertigung für Selbstjustiz auslegen, für diese Mittel der damaligen Regierung unter George W. Bush, denn sie funktionieren, und sie werden von denen eingesetzt, denen wir trauen können, die nur unser Wohl im Sinn haben. Batman ignoriert bei seinem Ausflug nach Hongkong ja auch Ländergrenze und staatliche Souveränität, ohne das der Film das je kritisch sehen würde.
Wäre Joker eine andere Figur, hätte "The Dark Knight" einen anderen Fokus setzen können: Angenommen der Joker hätte eine Hintergrundgeschichte und eine Motivation, angemommen er wäre jemand aus Gotham, ein einfacher Mann aus der bürgerlichen Mitte, und seine Motivation für den Kampf gegen Batman und Harvey Dent wäre eng mit dem Wechsel vom bestehenden Status Quo in Gotham City zur möglichen nächsten Ordnung verküpft, dann könnte er Batman als einen (es natürlich trotzdem gut meinenden) Despoten behaupten, der die Stadt daran hindert, wirklich zu wachsen und der mit seinen noblen Absichten eher hemmt als fördert. Das ist ja sogar die Geschichte, die in "The Dark Knight Rises" erzählt und dann im Schlussakt wieder fallengelassen wird, aber in "The Dark Knight" findet das überhaupt nicht statt. Joker steht als Anarchist für Chaos (schlecht) und Batman für Ordnung (gut). Joker ist die größte Stärke des Films, klar, weil er die aktivste Figur ist, weil er faszinierend geschrieben ist, weil er hervorragend gespielt wurde, ich würde ihn nicht ändern wollen. Es soll nur leicht veranschaulichen, was meine Bedenken hinsichtlich des Plots sind.
Kann mir irgendjemand folgen? Habe ich mich völlig vergaloppiert? Verstehe ich etwas ganz entschieden falsch?