HCN007 hat geschrieben: 8. September 2020 17:56
Eine Änderung der charakterlichen Dynamiken finde ich nicht wirklich notwendig. Durchaus jedoch ist ein Verlassen der Komfortzone ratsam, weil es durchaus auch Bedrohungen in Bereichen gibt, an die sich die Produzenten bis dato noch nicht wirklich herangetraut haben - vor allem wenn es um religiösen, sektenähnlichen Fanatismus, Verschwörungstheorien und diverse radikale Themen geht. Aber besonders "woke" muss die Bondreihe für mich nicht sein, solange es aufgezwungen und unhomogen wirkt - wenn es natürlich in dem Film integriert ist und sich homogen anfühlt, dann habe ich jedoch damit kein Problem.
Mit solchen ideologischen Kampfbegriffen wie "woke" habe ich nichts zu schaffen und das interessiert mich nicht. Bond soll kein Leftist werden, habe ich nie geschrieben. Aber die Reihe sollte endlich im 21. Jahrhundert ankommen – und das bedeutet nicht, Traditionen ganz über Bord zu werfen oder die Filme gänzlich umzumodellieren. SF und SP sind für mich altmodisches Kino für Traditionalisten, mit einem Helden, der aus der Zeit gefallen wirkt (und da die Macher das durchaus wissen, wird es auch dementsprechend thematisiert). CR und QOS hingegen hinken beide den aktuellen Entwicklungen im Kino und TV ihrer Zeit hinterher, sei das jetzt "24" oder überdeutlich "Jason Bourne". Ich finde, es muss noch etwas anderes geben, als entweder bestehende Trends zu imitieren oder es sich in einer zeitlosen Retro-Blase bequem zu machen.
Und dafür muss es nicht "woke" werden. Man kann Bonds Sexismus (zumindest ist es das aus heutiger Sicht) auch ansprechen, ohne daraus einen Ideologie-Film zu machen oder eine Agenda in den Vordergrund zu stellen. Es muss ja nicht mal mit krampfhaftem Ernst geschehen, sondern darf sogar Spaß machen. Nur sollte da mal etwas passieren. Wir sind alle Bondfans und natürlich mag ich die alten Bondfilme aus den 60er und 70er Jahren. Aber wir haben nicht mehr die 60er und 70er Jahre. Die Welt ist eine andere, das Kino ist anders, warum soll Bond nicht mit der Zeit gehen? Es wäre wie erwähnt im Sinne der Vorgänger: Bond war immer aktuell, auch der Charakter wurde immer an das aktuelle Heldenbild angepasst (und blieb trotzdem im Kern dieselbe Figur), warum ist das mit Craig nicht möglich? Brosnan musste das Rauchen aufgeben, aber wenn Craig in SF eine Severine unironisch so abschleppt und wegwirft wie einst Connery in seinen Filmen, dann bleibt das ohne Konsequenz für Bond?
Nochmal: Bond soll kein veganer FFF-Demonstrant werden, aber einen aus der Zeit gefallenen Agenten, der im Jahr 2020 die Dinge noch so lösen will wie in den 70ern, das ist erstens nicht nur dem aktuellen Zeitgeist hinterher hinkend, das ist auch nicht wirklich Bond. Der ist immer mit der Zeit gegangen und hat sich angepasst.
SMERSH hat geschrieben: 8. September 2020 20:23
Bond kann reale, sexistische Eigenschaften besitzen, solange es vom Film nicht glorifiziert, bzw. einfach kritisch behandelt wird.
Ganz genau und damit kann man in den Filmen auch ruhig Spaß haben. Zum Beispiel, wenn eine Verführung mal einfach komplett krachend daneben geht, weil die Dame vom anderen Ufer ist (und dann nicht wie Pussy Galore nur mal einen richtigen Mann braucht, um zu wissen, wo der Hund in der Petersilie liegt). Oder wenn Bond überlegt, wie er an den Schurken herankommen soll und Moneypenny vorschlägt, er könne dessen Ehepartner verführen. "Übliche Vorgehensweise"… Nur das Bond dann erfährt, dass der Schurke mit einem Mann verheiratet ist, woraufhin er zu Moneypenny ironisch empört sagt: "Sowas, liebe Moneypenny, gehört sich einfach nicht. Man spielt nicht mit den Gefühlen anderer…" Solche Gags lassen Bond weiterhin Bond bleiben, betten den Charakter aber in die neue Zeit. Nur wenn man damit nicht bald anfängt, muss man sich immer verbiegen: Entweder verbiegt man den Charakter und macht ihn zu einem austauschbaren Actionhelden oder man bleibt in altbackenen Geschichten hängen, die vor Nostalgie triefen, aber nichts Neues oder Interessantes zu Stande bringen.
Gegen Ana de Armas im Cocktail-Kleid ist rein gar nichts zu sagen: Wohl aber gegen Filme, die sich vom klassischen Bondgirl-Typus distanzieren und ernstere Liebesgeschichten erzählen wollen, dann aber hoch sexualisierte Frauenfiguren wie Severine nicht sein lassen können. Der Kontext macht den Unterschied. Aber auch hier gilt: Solche Figuren kann es bei Bond geben, darf es auch, nur fehlt da ein Konzept hinter.
Revoked hat geschrieben: 8. September 2020 19:45
Ich finde die Ausführungen ganz passend. Aber langsam lerne ich, dass diese Frage wohl unbeantwortet bleiben wird. Denn immer wenn man für Bond irgendwie eine Art Konzept zu haben schien wurde es einen Film später schon wieder über Bord geworfen (so mal grob: siehe GE, CR).
Somit bereite ich mich innerlich mal darauf vor, dass wir wie bisher immer wieder die Retronummer gepaart mit aktuellen Themen und Film- Serientrends zu sehen bekommen. Also weiterhin von Film zu Film geplant wird.
Ja, diese pessimistische Ansicht habe ich auch. Bond ins 21. Jahrhundert zu überführen, diese Gelegenheit hat man schlicht liegenlassen. Für mich stellt sich bei den letzten Filmen (und jetzt auch bei den NTTD-Trailern) die Frage: Wer ist James Bond heute eigentlich? Wofür steht er? Wofür steht diese Filmreihe? Und da finde ich nur noch schwer eine Antwort drauf. Ich hoffe für mich, dass EON da in Zukunft vielleicht eine formulieren wird…
PS: Der DB5 nervt mich auch, aber der ist nur ein Symptom des von mir angesprochenen Übels.