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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Quantum of Solace (2008, Marc Forster)
"Someone that you think that you can trust is just another way to die"
- Jack White & Alicia Keys
Nach dem Erfolg der in CR vorgenommenen Modernisierung und Kurskorrektur stellte sich die Frage, wie der nächste Bondfilm auf diese Änderungen anspringen würde. Die Antwort: QoS setzt die Reihe in derselben neuen Kontinuitätsblase fort, wählt einen ähnlichen Ansatz in Bezug auf eine zeitgemässe, ein wenig stärker der Realität zugewandte Handlungswelt und greift die persönliche Geschichte von CR explizit als Hintergrundstory auf. Mit der Verpflichtung von Marc Forster für den Regieposten sollte der Film aber auch eine eigenständige Handschrift aufweisen und konzeptionell in sich so weit wie möglich geschlossen sein. Die Gratwanderung zwischen einem inhaltlich wie stilistisch passenden Gegenstück zu CR auf der einen und einem sehr selbstständigen und individuellen Werk auf der anderen Seite ist ein Drahtseilakt, der Forster aber bemerkenswert gut gelingt, weil der Schwerpunkt halt doch meistens auf der Eigenständigkeit und auf dem Hier und Jetzt von QoS liegt.
Forster, seines Zeichens sicherlich eine ungewöhnliche Wahl für ein beinhartes Bond-Abenteuer, macht sich den Film sogleich auch komplett zu Eigen. Die Geschichte – gemeinsam geschrieben mit Paul Haggis und, wenn man den Quellen glaubt, nach längerer Zeit endlich wieder 007-Mastermind Michael G. Wilson in mindestens beratender Funktion – wird unerhört straff und zielgerichtet ohne etwaigen Ballast erzählt, und trotz oder gerade wegen seinem verdichteten Ansatz findet Forster die Musse, seine Inszenierung mit ausgefeilter Sorgfalt zu entwickeln. Kaum ein Bondfilm ist visuell so pittoresk und elegant in Bilder gemeisselt und Forster entwickelt ein stimmiges visuelles Konzept, bei dem London, Österreich und das Hotel in La Paz in einem modernen Arrangement aus Schwarz und Weiss gezeigt werden, die Szenen in Haiti und Bolivien hingegen – zwei erfrischende und für die Handlung des Films absolut stimmige Schauplätze – in lebhaften Farben und flirrender Hitze. QoS bleibt damit in vielen Dingen dem Vorgänger CR treu, geht aber noch einen deutlichen Schritt weiter in der filmischen Gestaltung. Unzählige Einstellungen sind mit einem fantastischen Auge für Filmsprache komponiert und fotografiert und zehren in ihrer Menge, aber vor allem auch in ihrem Zusammenspiel, von der deutlich höheren Schnittfrequenz als üblich sowohl inner- als auch ausserhalb der Actionszenen. Forsters Konzept zeigt ein einzelnes Geschehnis oder eine punktuelle Handlung weniger als dass er sie in drei oder vier Einstellungen bildlich darstellt. So funktioniert Film und so funktioniert auch QoS, als, wie es Old Rog sagen würde, "Fest für meine Augen".
Und die Geschichte die Forster erzählt ist dadurch absolut stimmig. Es ist im Kern ein lupenreines Bond-Spektakel über Held und Widersacher, verlegt in eine Handlungswelt, die differenzierter und realer wirkt als der klassische Bondkosmos. Genauso sehr schafft Forster aber eine charakterliche Ebene, auf der die Figuren sehr sinnig und konsequent agieren, und die in der wenn man so will psychologischen Dimension die Geschehnisse aus CR als Storybackground nutzt, wobei sich aber weder die Psychologierung der Figuren, allen voran Bond, noch der Fortsetzungscharakter zum erfolgreichen Vorgänger je aufdringlich in den Vordergrund stellen sondern eher natürliche Begleiterscheinungen zur eigentlichen Geschichte bilden. Gerade Bond funktioniert auf diese Weise als emotionales und handelndes Zentrum des Films sehr gut, weil sich QoS nicht damit aufhält, ihn oder sein Verhalten ständig erklären zu wollen. Stattdessen bewegt sich die Doppelnull stimmig und natürlich durch den Film, und wirkt als Figur praktisch ganz von sich aus. Craig muss gar nicht viel mehr tun, als seinem Bond eine Leinwandpräsenz zu verleihen, welche ihn als harten und zerstörerisch zielstrebigen Ermittler ebenso ausfüllt wie in den gut verstreuten leiseren oder auch entspannt-humorvolleren Momenten. In dieser Hinsicht werden Erinnerungen an LTK wach, in dem das Zusammenspiel aus Bondfigur, Bonddarsteller und Filmkontext mit für den Helden besonderer Handlungssituation herausragend funktioniert hat.
Die Anlage und Besetzung der Nebenrollen ist überwiegend sehr gut gelungen. Allen voran Olga Kurylenko, die schauspielerisch stark auftrumpft. Ihre Rolle funktioniert deswegen so gut und stimmig, weil ihre Beziehung zum Doppelnullagenten, untypisch für ein Bondgirl, platonischer Natur bleibt und eine tiefe innere Verbundenheit beschwört, die sich nicht über Sex oder Flirts manifestieren muss, was zum Film und der Rolle so gar nicht gepasst hat. Dasselbe hätte ich mir schon für Wai Lin in TND und in geringerem Masse Stacey Sutton in AVTAK gewünscht, die im Zusammenspiel mit Bond auch schon mehr eine Art Freundschaft über gemeinsames Erleben entwickelten, ohne das offensichtliche romantische Element nötig zu haben. Als Bondgirl dürfte Camille insgesamt eine der rundesten und schönsten Rollen der Reihe sein, die den Film mit einer gewissen Endgültigkeit abschliesst, so dass ich mir sie für einen weiteren Auftritt, wie die Broccolis ihn als Gedankenspiel im Sinn haben, gar nicht wünschen würde.
Dominic Greene fährt als Bösewicht eine ähnliche Schiene wie zum Beispiel Kristatos oder Koskov, insofern dass er keine überlebensgrosse Präsenz darstellt, aber in seinen Film perfekt reinpasst. Die Figur reflektiert in erster Linie wunderbar das differenzierte Schurkenbild des Films, in dem auch die Geheimdienststrukturen nicht mehr so schlicht unschuldig und sauber wirken, stellt zugleich aber auch einen zweckdienlichen Einzeltäter als antagonistischen Pol der Geschichte dar. Mathieu Amalric bei seinem Spiel zuzuschauen ist oft herrlich, und er legt seinen Greene überaus authentisch und mit einem dezenten diabolischen Charisma an. In die vergleichsweise doppelbödige Schurkenkonstellation des Films, in der auch die Geheimdienste in dreckige Profitgeschäfte verwickelt sind, bettet sich Greene passend ein und ist mal wieder genau der richtige Antagonist im richtigen Film für Bond.
Dass Giancarlo Gianninis René Mathis in QoS stimmiger wirkt als noch im Vorgängerfilm mag eine unfaire Einschätzung sein, weil hier sein Fass geschlossen wird welches CR lediglich geöffnet hat. In QoS kriegt man Klarheit über seine Figur, weniger in Bezug auf seine mögliche Verräterrolle, die sich ja schon erübrigt hatte, sondern darauf, wie Bond und er miteinander und mit der Situation umgehen. Zugunsten von QoS wirkt sein gezwungenermassen etwas undankbarer Abgang in CR natürlich wieder richtig, denn nur so kann sich in den Szenen in Italien und Bolivien diese sehr eigenartige Beziehung entfalten, die zwar eher ungezwungen als angespannt wirkt, bei der aber doch etwas Schweres im Raum steht, was durch die tragische Sterbeszene aufgelöst wird, wie es in den Film passt: unschön und unvorhergesehen, aber dennoch irgendwie richtig, nur durch den Umstand, dass es eben unveränderlich so passiert wie es passiert. Strawberry Fields ist längst eines meiner heimlichen Lieblings-Bondgirls, nicht nur durch ihren Namen sondern vor allem durch ihre etwas kauzige Sexiness. Wenn sich die Stimmung und das Tempo des Films mit ihrem Auftreten ein wenig lösen dann hätte ich beinahe gerne noch mehr von ihr im Trio mit Bond und Mathis gesehen, eine eigenwillige Konstellation, die genau zu dieser Ruhepause in der Geschichte passt.
Forster war vor seinem Bondeinsatz kein typischer Actionregisseur, dennoch lässt er auf diesem Gebiet kaum Wünsche offen. Die Actionszenen von QoS sind passend zum Rest des Films zweierlei: sehr rasant und sehr visuell. Hier einen Favoriten zu benennen ist alles andere als leicht, vermutlich wäre es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Hetzjagd durch Siena, der Bootsaction in der Bucht vor Haiti und dem wahrlich infernalen Showdown in der Wüste, bei dem Bond und Camille konsequenterweise auf sich gestellt sind. Ersterem liegt durch die Seile und das bewegliche Baugerüst ein originelles Konzept zugrunde, alle drei verfügen über eine enorme Bildgewalt in der Art, wie die Bewegung der Action durch unzählige Einzelbilder zusammenfliesst. Die eröffnende Autoverfolgung und die Flugzeugaction müssen sich in Relation ein kleines bisschen weiter hinten anstellen, überzeugen aber immer noch, im Falle der PTS vor allem der atmosphärisch eingeleitete und dann sehr abrupte Auftakt, der einen mitten ins Geschehen wirft.
Der eigentliche Höhepunkt aber ist die kurze Flucht aus der österreichischen Openair-Bühne. Wie Forster hier mit Bild und Ton spielt, wie er die kurze Action als abstrakte Bildmontage mit der Oper Tosca verknüpft, ist für einen Bondfilm natürlich erst einmal absolut ungewohnt, an dieser Stelle und in diesem Film aber goldrichtig. Und à propos Ton: Mit seinem fünften und letzten Einsatz für die Reihe ist David Arnold auch seine beste Arbeit gelungen. Hier schafft er Melodien mit Wiedererkennungswert und ein abwechslungsreiches Spiel mit unterschiedlichen Stimmungen und Tempi. So hat sich ein James-Bond-Score im einundzwanzigsten Jahrhundert anzuhören, und abgerundet wird er durch den unkonventionellen und stilvollen Rocker von Jack White und Alicia Keys, der sich gegen elegisch-balladenhafte Bond-Openers sträubt und gelungen sein eigenes Ding macht.
Mit QoS liefert Marc Forster, mehr noch als eine Fortsetzung zu CR, seine eigene und eigenwillige Interpretation eines modernisierten Bondfilms ab. Sein straffes und verdichtetes Tempo hindert ihn nicht daran, dem Film eine Handschrift zu geben, im Gegenteil, es ist vielmehr ein Teil davon. Bonds zweiundzwanzigste s, oder wenn man nach den Reboot-Ideen der Broccolis geht zweites Abenteuer vereint die Wucht und den Spektakeleffekt eines furiosen Actionkrachers, das inszenatorische Feingefühl eines Independent-Films und beinahe schon das differenzierte Welt- und Schurkenbild eines Politthrillers, alles aber eigentlich nur nebenbei. In erster Linie ist QoS als Film ungemein stimmig und in sich geschlossen und als Bonus für den geneigten Fan so kurz, dass man eigentlich immer Zeit findet, ihn einzuwerfen. Schlau gemacht, Herr Forster.
Wertung: 9,5 / 10
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.