Casino Hille hat geschrieben: man möchte fast glauben, dass man in jedem Genrefilm nach 1971 Spuren sieht, die Dirty Harry einst hinterlassen hat.
Siegels Dirty Harry ist zusammen mit Friedkins French Connection fraglos die Blaupause für alle nachfolgenden Copfilme. Die einzige entscheidende Weiterentwicklung wenn man so will ist der Buddy-Movie-Ansatz, der vor allem in den 80ern im Cop-Genre so populär war. Aber ansonsten standardisierten Friedkin und Siegel praktisch ein komplettes Subgenre auf nachhaltigste Art und Weise.
Casino Hille hat geschrieben: Besonders begeistert hat mich der Score von Schifrin, den ich gar nicht in besonderer Erinnerung hatte, der aber vielen Szenen eine unnachahmliche Stimmung einimpft.
Sehe ich genau so.Schiffrins cool-jazziger Score, der oftmal eher rhytmisch vertrakt daherkommt taktet den Film und trägt einen Großteil zur unruhig-nervösen Gesamtstimmung bei.
Casino Hille hat geschrieben: Legendär natürlich die Szene relativ am Anfang, wenn Eastwood einen Banküberfall auf altmodische Wildwest-Art beendet, konsequent, dass der Film selbst mit einer Western-Hommage endet.
Diese Bookends runden den Film perfekt ab, zumal Milius/Siegel den jeweiligen Szenen-Ausgang komplett konträr gestalten (obwohl die Handlungsentwicklung und das Resultat ja beidemal (beinahe) identisch sind), gleich noch mehr dazu. Und dann natürlich Harrys legendärer Monolog, das ist dann wirklich nicht mehr zu toppen.
Casino Hille hat geschrieben: Zur Selbstjustiz-Debatte (…) erst recht, weil Harry die Konsequenzen seines Handelns letztlich stets vollkommen akzeptiert.
Dem Film wurde ja explizit Verherrlichung von Vigilantismus vorgeworfen, was aber natürlich vollkommen an den Haaren herbeigezogener Quatsch ist. Um wirklich verherrlichend zu sein müsste der Film die Aktionen seines Helden ja abfeiern und als uneingeschränkt erfolgreich zeigen. Harrys Methoden werden zwar durchaus als wirksam und effektiv gezeigt, allerdings eben auch nicht immer und angesichts des Kollateralschadens, den sein Handeln hinterlässt, kann von einer einseitigen Glorifizierung nun wirklich keine Rede sein. So schnappt er Scorpio zunächst zwar, jedoch hilft das dem eingekerkerten Kind auch nicht mehr (vielleicht die Schlüsselszene des gesamten Films hinsichtlich seiner Aussage), wie aufgrund seines nicht moral- und gesetzeskonformen Vorgehens der Mörder binnen kürzester Zeit wieder auf freiem Fuss ist. Sein Partner wird beinahe getötet, wird durch die Zusammenarbeit mit Harry stark traumatisiert und quittiert den Dienst. Auch hier macht der Film wieder sehr deutlich, welch hohen Preis Harrys Methoden fordern, wertet jedoch nicht, sondern überlässt es dem Zuschauer zu entscheiden, ob der Zweck hier wirklich die Mittel (und die damit verbundenen Schäden) rechtfertigt.
Gleiches gilt auch für Harry selber, der als ausgebrannter Einzelgänger ohne echtes Leben jenseits der Polizeimarke charakterisiert wird. Seine Frau ist lange abgehauen, ein Privatleben ist für ihn ebenfalls nicht existent (filmisch sehr deutlich aufgetischt in der Observationsszene, in welcher er das Leben von anderen voller Neid beobachtet („du solltest auch mal wieder ein bisschen leben, Harry“)). Das Ende des Films lässt dann erst recht keinen Zweifel mehr daran, welch hohen Tribut Harrys Handeln fordert: er zieht Scorpio zwar endgültig aus dem Verkehr, doch statt einer heroisch-triumphierenden Auflösung endet der Film auf einer deprimierenden Note, womit abschliessend ein kompletter Kontrapunkt zu Harrys inhaltlich analogen Eingangsequenz gesetzt wird, aus welcher er noch als ultracooler Superbulle hervorging.
vodkamartini hat geschrieben: Wenn Eastwood heute in Interviews die Bedeutung und Intentionen des Films herunterspielt und behauptet man habe einfach einen spannenden Copfilm drehen wollen, erscheint das wenig glaubwürdig.
Man darf dabei nicht übersehen, dass Eastwood hier eben „nur“ Darsteller war und an der Konzeption des Films allerhöchstens indirekt beteiligt war. Von daher halte ich es nicht für völlig abwegig, dass Clint seinerzeit tatsächlich die von dir zitierte Überzeugung hatte und in erster Linie das Projekt Dirty Harry als Versuch sah, sich in einem alternativen Genre abseits der bereits erfolgreich beackerten Western und Kriegsfilme zu etablieren. Dass Siegel und Milius mehr in dem Material sahen bzw. integrierten muss dem ja nicht widersprechen (auch wenn Clint fraglos Siegels „Schüler“ war und gerade bei den frühen Zusammenarbeiten sich viel von dem Routinier für seine spätere eigene Karriere als Regisseur abgeschaut hat).
vodkamartini hat geschrieben: Harrys innige Beziehung zu seiner Waffe ist kein Gag. Die 44er Magnum - ursprünglich als Jagdpistole konzipiert - wird zu einem eigenständigen Charakter des Films. Sie ist das Tod bringende Schwert der Rache, das der mit Füßen getretenen Gerechtigkeit zum Sieg verhilft. Die Kameraeinstellungen - ebenso das Artwork zahlreicher Werbeplakate für den Film - lassen sie als verlängerten Arm Callahans erscheinen. Auch die erste Einstellung von Scorpio ist sein Scharfschützengewehr. Der Zuschauer sieht zuerst einen übergroßen Schalldämpfer, erst dann wird der Schütze dahinter sichtbar. Die angedeutete Verwandtschaft zu Harry ist überdeutlich. Beide benutzen ihre mächtigen Waffen, um ihre Ziele durchzusetzen. Die Waffe als Machtinstrument, als Fetisch.
Absolut richtig und sehr treffend geschrieben! In Kenntnis des Waffenfetischs, den Drehbuchautor Milius sein ganzes Leben über betrieben hat ist gerade dieser Aspekt des Films auch absolut verständlich. Es zeigt aber auch, wie clever und intelligent der Film aufgebaut ist, da das Waffenelement eben nicht wie in zahllosen Actionfilmen nach dem Motto „die Größe meiner Waffe symbolisiert meine dienstliche Potenz“ genutzt wird, sondern deutlich vielschichtiger. Da der Film ja wenig Zweifel daran lässt, wie wenig effektiv gerade die Rechtssprechung ist kann man Harry und seine 44er durchaus auch als an die Stelle der von Bürokratie und fragwürdigem Täterschutz dahingerafften Justizia tretender Nachfolger sehen, der in gewisser Weise genau so blind agiert wie seine „Vorgängerin“ (allerdings eher in Bezug auf die Wahl seiner Mittel denn auf die Rechtsprechung an sich), der jedoch statt einem Schwert eben eine schwekalibrige Magnum ins Feld führt. In Bezug auf den von dir angesprochenen Fetisch finde ich übrigens die Anfangsszene in Ted Posts Sequel fast noch brillanter, da hier die Stilisierung der Kanone als allesentscheidendes Machtinstrument gerade auch durch den direkten Bezug auf den Zuschaer auf die wirklich allerletzte Spitze getrieben wird.