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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Ghost in the Shell
Seit 1999 mit "Matrix" ein in schicker Cyberpunk-Optik aufgezogener, philosophischer Sci-Fi-Meilenstein die amerikanischen Kinosäle heimsuchte, hielten sich immer wieder eifrig Gerüchte über eine Live-Action-Adaption Hollywoods von "Ghost in the Shell", einem mehrfach bereits als Anime verfilmten japanischen Manga des Autoren Masamune Shirow, der für die Wachowskis bei der "Matrix"-Trilogie die wichtigste Ideenvorlage war. Der ehemalige Werberegisseur Rupert Sanders also schien dazu auserkoren, 2017 endlich nach einem ewig langen Hin und Her, bei dem sogar zeitweise Steven Spielberg für den Posten vorgesehen war, der existentialistischen Geschichte von Major Motoko Kusanagi, deren menschliches Gehirn in einen kybernetischen Körper eingesetzt wird, neues Leben einzuhauchen. "Ghost in the Shell" ist dabei leider ein weiteres, erschütterndes Beispiel dafür, was Hollywood aus solchen Stoffen macht: Seelenloses, lärmendes CGI-Geballer mit viel Zeitlupe - und Scarlett Johansson.
Weshalb der Original "Ghost in the Shell" international solches Ansehen erregte, lag in seiner einmaligen Mischung begründet: die fabelhafte, eigenwillige Gestaltung einer Megapole, die einem futuristischen Mix aus Tokyo und New York gleicht, kombiniert mit einer Geschichte, die gleichermaßen temporeich und charaktergetrieben, aber auch philosophisch und von tiefer Nachdenklichkeit geprägt ist. Vordergründig betrachtete Shirow in seinem Werk das Leib-Seele-Problem des französischen Erkenntnistheoretikers René Descartes: Ist es dem Geist, also der Seele des Menschen, möglich, außerhalb ihrer Materie zu existieren? Und wenn ja, wie definiert sich dann eigentlich Menschlichkeit? Da die Menschen in "Ghost in the Shell" technologische, kybernetische Verbesserungen an ihrem Körper vornehmen können (oder wie Major direkt als Cyborgs durch die Gegend laufen), bzw. auch die Entwicklung von künstlicher Intelligenz unlängst geglückt ist, stellen sich diese Fragen umso mehr. Die erste große Enttäuschung für Fans der Vorlage ist daher die wohl gewaltigste Änderung, die Sanders am Stoff vornimmt: Künstliche Intelligenzen (und damit eine eventuelle Gegenüberstellung derer mit menschlichen Persönlichkeiten) spielen in der 2017er Version keine Rolle. Das Leib-Seele-Problem wird vollständig auf Majors Außenseiterdasein durch ihre kybernetische Hülle gemünzt, die von den einen als nächster Schritt der menschlichen Evolution gesehen wird, während der skrupellose Kuze (blass gespielt von Michael Pitt) sie als Waffe für militärische Operationen missbrauchen will.
Sicherlich mag diese Verknappung der Themen der Einführung des Universums geschuldet sein, da Sanders seinen "Ghost in the Shell" definitiv für eine oder mehrere Fortsetzungen ausgelegt hat. Leider bleibt es das Leitmotiv seines Films, dass der Schein das Sein fortwährend dominiert. Die Cyberpunk-Aufmachung der Stadt ist optisch ausgezeichnet, gigantische Werbehologramme beherrschen die Skyline, multikulturell bizarr wirkt der Clash von amerikanischer Moderne und asiatischer Tradition. Vorlagen getreu klebt Sanders dabei an der Vorlage: beinahe alle größeren Actionszenen, von denen es in den knappen 109 Minuten eine Menge gibt, entstammen direkt dem Manga, sei es Majors anfänglicher Anti-Terror-Einsatz, der brutale Showdown oder der Tarnanzug-Kampf auf bewässertem Terrain. Die Actioninszenierung entspricht durchweg den Anforderungen des Publikums an moderne Genrefilme: Schnell, körperbetont, in massig Zeitlupe überstilisiert und mit pathetischer Musik von Lorne Balfe und Clint Mansell untermalt. Als simpler Actioner ist "Ghost in the Shell" nicht besser oder schlechter als seine Konkurrenz der letzten Jahre, vielleicht etwas zu gewollt ästhetisch in vielen Bildern, dafür aber visuell auch grandios durchdacht und in sich schlüssig, wie man es lange nicht mehr gesehen hat und in den die Kinos dominierenden "Marvel"-Filmen oft vermisst. Doch es sind Momente, wie der symphonische Tauchgang von Major, in denen Sanders' Plagiate offenbaren, dass er mehr am Stil als an der Substanz der Vorlage interessiert ist: Ist dieser stille Moment im Original eine Weltenflucht für Major, widerspricht er im Film dem veränderten Background, den ihr die Drehbuchautoren William Wheeler und Jamie Moss verpasst haben, da ihr mit Wasser verbundenes Kindheitstrauma plötzlich wie vergessen scheint.
Die allgemein etwas strukturlose und in erster Linie mutlose Identität der US-Adaption lässt sich am besten an der Besetzung der Protagonistin ausmachen: Sicherlich ist Scarlett Johansson mühelos den Anforderungen an ihre Figur gewachsen, sodass man ihr sowohl die verletzliche junge Frau als auch die kampferprobte menschliche Waffe abkaufen wird. Doch - unabhängig von den "Whitewashing" Vorwürfen, die es für ihr Engagement hagelte - ist sie auch die denkbar einfachste, nahe liegendste Besetzung. Nicht falsch verstehen: Lieber eine talentierte Wiederholungstäterin, als eine schwache Quereinsteigerin. Dennoch ist es schade, dass durch ihr Mitwirken weniger der Charakter Major, als mehr die Personalie Johansson im Vordergrund stehen, was "Ghost in the Shell" ungewollt noch ein Stück weit belangloser und unauffälliger durch das Kinojahr 2017 treiben lässt. Die schönste Besetzung ist jedoch der Auftritt eines japanischen Regisseurs und Schauspielers: Takeshi Kitano gibt sich als Boss von Major die Ehre und ihn umgibt in seinen Szenen eine schöne mythologische Aura, die seine wenigen Auftritte zu etwas besonderem werden lässt. Was ebenfalls gefällt, ist Sanders Verzicht auf die üblichen Oneliner. Endlich kaspert eine übermenschliche Figur sich mal nicht durch die Shootouts. Auch hier ist in Ansätzen wieder erkennbar, welcher Film "Ghost in the Shell" hätte werden können, wenn das Lesen der Vorlage nicht beim Anhimmeln der Zeichnungen hängengeblieben wäre.
Fazit: Wer die schnelle Actiondauerfeuer-Berieselung in ziemlich verblüffender Hochglanz-Optik sucht und dabei vor Hollywood-Konventionen nicht zurückschreckt, der kann seine Zeit schlechter verbringen, als mit "Ghost in the Shell". Fans der Vorlage werden alles halbwegs interessante längst gesehen haben und sich zunehmend darüber ärgern, dass Sanders' Regie komplett auf Oberflächlichkeiten konzentriert bleibt. Schlussendlich gilt die Unschuldsvermutung, dass nach der Etablierung der Welt wie der Charaktere die fehlende, dringend nötige Tiefe in einem eventuellen Sequel nachgeliefert wird. Ansonsten wird auch der Fortsetzung nur hübsche Action bleiben - und Scarlett Johansson.
5/10
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Let the sheep out, kid.