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von dernamenlose
Agent
SPECTRE
Der zweite Film von Sam Mendes polarisierte schon innerhalb weniger Monate, und die unterschiedlichen Meinungen sind seitdem kaum geringer geworden, sondern eher größer. Mehrere der kritisierten Elemente haben mich von Anfang an nicht gestört (Musik, Inszenierung, Farbfilter), eines dafür schon (Teile der Story). Nach der gestrigen Sichtung muss ich den letzten Punkt aber anders betrachten, was mich bewertungstechnisch vor ein paar Schwierigkeiten stellt. Doch dazu später mehr.
Der Einstieg in SPECTRE ist bondiger als in der drei vorangegangene drei Filmen. Die Musik fängt bereits während den Studiologos an und leitet über in das altbekannte, aber lange an dieser Stelle vermisste Element, das/die (welcher Artikel ist korrekt?) Gunbarrel. Die folgenden Minuten sind ein unbeschreiblicher filmischer Genuss. In einer einzigen langen Kamerafahrt (gut, von ein oder zwei Schnitten unterbrochen) werden die ersten 3 bis 4 Minuten gefilmt, toll untermalt von der auch live gespielten Musik, schaut man in die unglaubliche Vielfalt von Masken und Kostümen, sodass man sich kaum daran sattsehen kann, folgt dem eleganten Bond, dessen Maskerade auch super zu seinem Charakter passt, und landet schließlich beim Haus, in dem sich Sciarra aufhält. Die folgende Action ist sowohl optisch beeindruckend, als auch übertrieben und humoristisch perfekt auf Bond zugeschnitten. Einzig der Wackelkameraeinsatz bei der Verfolgung durch die Menge stößt etwas übel auf, er macht das ganze doch sehr unübersichtlich, und man ist von Mendes eigentlich anderes gewohnt.
Die Titelsequenz bleibt nach wie vor wahnsinnig gut. Auch den Song von Sam Smith kann ich inzwischen problemlos ertragen, auch wenn „schön“ wahrlich etwas anderes ist. Doch die Bilder sind großartig und passen auch zur Musik, bereiten den ganzen Film vor und bilden mehrere erste Gänsehautmomente. Interessant ist hierbei auch, wie Bond, im Vergleich zu SF-Titelsequenz dargestellt wird. Nicht ein Hauch von Schwäche, im Gegenteil, von ihm prallt alles ab, er hat, wie Vesper in CR sagte, nun seinen Schutzpanzer wieder an.
Es würde zu lange dauern, jetzt Szene für Szene durchzugehen (was eigentlich auch nicht mein Stil für eine Review ist, aber hier gibt es zu fast allem etwas zu sagen), deshalb greife ich mir einfach mal die heraus, an denen ich meine Ansichten über SPECTRE am besten verdeutlichen kann. Als erstes wäre da die oft gescholtene Autoverfolgungsjagd in Rom. Mir ist bewusst, dass man Action durchaus spannender oder generell actionreicher inszenieren kann, aber hier soll eben keine Verfolgungsjagd im Fast&Furious Stil auf die Leinwand gebannt werden (was nicht abwertend gemeint ist, ihr wisst, ich schaue auch diese Filme gern), sondern eine die die Klasse und den Stil von Bond verkörpert. In anderen Filmen haben das oft die Casinoszenen erledigt, auch in SF ist das mit der herausragenden Szenerie in Macau großartig gelungen. Hier fehl so etwas, lediglich der recht kurze Dialog im Zug mit Swan geht in diese Richtung, nimmt aber eben nur erstaunlich wenig Zeit in Anspruch.
Mendes filmte diese Sequenz mit Absicht komplett gewaltfrei (Das Feuer gegen Ende richtet ja auch keinen nennenswerten Schaden an), geschlagen und geschossen wird in jeder anderen Actionszene (zurecht). Hier macht er sich den Schauplatz zu nutze und lässt die Action Eigenschaften von Bond und den Bondfilmen widerspiegeln, was ihm in meinen Augen auch hervorragend gelungen ist. Lediglich der „Atmosphere“-Moment reißt einen etwas aus dem Geschehen und aus der Stimmung raus.
Die anderen Actionszenen folgen dagegen meist dem Prinzip des Schauwerte-Präsentierens. Auch in SPECTRE setzt Bond wieder Maßstäbe, was die Action angeht und zeigt beispielsweise mit der Flugzeug-Schneeaction etwas, was man so noch nie zuvor gesehen hat. Bond steht für handgemachte, große, überwältigende Action, und dem wird SPECTRE auch gerecht. Zusätzlich kommt ja noch die größte reale Filmexplosion dazu, die auch nicht schlecht aussieht, auch wenn sie, direkt in die vorangegangene Action eingebunden, und nicht nur als Folge dieser, noch besser gewesen wäre.
Auch mit dem Humor habe ich inzwischen keine Probleme mehr, lediglich der bereits erwähnte „Atmosphere“ Moment sowie der „Schütten Sie ihn die Toilette runter“, dem einfach der Stil fehlt, stören noch. Doch auch der Micky Maus Gag zündet im Orginal. Auch passt dieser Stil überraschenderweise recht gut zu Daniel Craig, und stellt auch keinen allzugroßen Bruch zu den Vorgängern dar.
Dieser findet eher auf inhaltlicher Ebene statt, allerdings auch nur aus Sicht der zitierten Filme. Wenn man SPECTRE als eigenständigen Film ohne den Hintergrund der Bondreihe betrachtet, funktioniert das ganze prächtig, die Geschichte ist konsequent und macht in Bezug auf ihre Figuren Sinn. Dass Blofeld Bonds Stiefbruder ist, stößt den meisten Bondfans übel auf (mir eigentlich auch), aber nur, weil wir Blofeld eben schon aus anderen Filmen kennen. Und bei genauer Betrachtung merkt man, dass man Blofeld letztlich gar nicht gebraucht hätte. Seine Enthüllung ist denkbar unspektakulär, ja geradezu bedeutungslos für die Geschichte. Warum konnte man nicht einfach bei Oberhauser bleiben? Dann hätte das ganze Sinn ergeben. Denn der Charakter Oberhausers wird von Anfang bis Ende konsequent durchgezogen und von Waltz auch hervorragend gespielt. Sein Verhalten gegenüber Bond bleibt durchgehend das gleiche, angefangen in Rom, über das Bild an der Wand seines Zimmer im Krater, bis hin zur Folter und dem Countdown im Finale. Auch die Verbindung zu CR, QOS und SF ergibt in diesem Zusammenhang Sinn. Es passt völlig zum Charakter Oberhausers. Andererseits ergibt es aber nur bedingt Sinn aus Sicht von SF und auch die Verbindung zu CR und QOS weist, obwohl QOS die größere Organisation im Hintergrund ja nicht nur zulässt, sondern genau genommen sogar andeutet, ein paar Unstimmigkeiten auf, die über die völlig unterschiedlichen Stile der Filme hinausgehen.
Im Hinblick auf die Bondreihe als Ganzes macht SPECTRE hier also klare Fehler, zumal er auch die Möglichkeit verstreichen lässt, nach SF den nächsten für sich allein stehenden Bondfilm zu produzieren und endgültig einen klassischen Bond zu machen. Doch für sich selbst genommen macht SPECTRE wiederum alles richtig, da diese Verbindung zu Geschehnissen in Bonds Vergangenheit die Wirkung Blofelds stärkt und wie schon erwähnt, auch zu ihm passt.
Auch das oft gescholtene Finale gefällt mir, bis auf seine letzten vielleicht drei Minuten sehr gut. Wie Bond aus einer scheinbar ausweglosen Situation entkommt wird hier schon im Vorfeld mehrfach angedeutet, sodass das Ganze nicht einfach aus dem Nicht kommt, sondern sehr schlüssig wirkt. Dabei ist man auch wunderbar auf der Grenze zwischen „Larger than Life“ und Realismus balanciert. Die Szene mit Bond und Blofeld im Raum mit der Glasscheibe setzt nochmal ein spätes Highlight und ist von Waltz diabolisch genial gespielt, und vom Timing perfekt. Kein langes rumgerede, sondern einfach den Knopf gedrückt. So geht das, so wird Spannung aufgebaut.
Erst die Verfolgung des Hubschraubers durch ein Boot, und das Zurstreckebringen des Helis durch eine simple Pistole ist dann sehr schwach. Klar, es ist wohl kein Ding der Unmöglichkeit, aber selbst für den besten Schützen der Welt ist ein solcher Schuss pure Glückssache.
Fazit: SPECTRE gefiel mir bei der gestrigen Sichtung besser als je zuvor – für sich genommen. Ob er langfristig negative Folgen für Bond hat, weil man jetzt vielleicht nicht mehr zu für sich stehenden Einzelfilmen zurück kann oder will, wird sich erst zeigen müssen. In Bezug auf die Vorgänger hätte er aber vieles besser und konsequenter machen können, weshalb ich eigentlich vor einer zu hohen Wertung (Von 9/10 auf 9,5/10) zurückschrecke. Muss man einen solchen Film nun für sich, oder im Kontext der anderen betrachten?
"You only need to hang mean bastards, but mean bastards you need to hang."