Re: Zuletzt gesehener Film

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The Accountant (2016, Gavin O'Connor)

Wer oder was ist "The Accountant"? Im jüngsten Film von Gavin O'Connor, der mit dem kraftvollen Sport- und Familiendrama Warrior vor einigen Jahren einen wahren Geheimtipp gedreht hat, wird diese Frage immer wieder in Bezug auf den Protagonisten gestellt. Doch genauso sehr könnte man sich das bezüglich des Films selber fragen. Ist The Accountant ein tragisches Familiendrama um einen autistischen Jungen? Oder nicht doch ein Wirtschaftsthriller? Ist es ein derber Ein-Mann-Actionreisser im Geiste von Filmen wie John Wick? Oder gar die schwärzeste und böseste Komödie seit langem? Die Antwort liegt näher als man denkt: The Accountant ist all das zusammen.

Die merkwürdige und zuweilen bizarr anmutende Vermengung all dieser Elemente spiegelt sich treffend im Protagonisten Christian Wolff wider, der autistisches Sorgenkind, mathematisch gebildeter Steuerberater und skrupellose "Spezialeinheit auf zwei Beinen" in Personalunion ist. Allein diese Ausgangsidee ist ungewöhnlich genug, um dem Film einen eigenartigen Reiz zu geben. Wolff ist in einem Moment noch der verklemmte Finanzanalytiker mit Asperger-Syndrom, im nächsten sucht er als unaufhaltsamer Todesengel ein ganzes Mafia-Schlupfloch heim. The Accountant spielt dabei ähnlich wie der in Stil und Form zuweilen verwandte John Wick scheinbar in einer Art Parallelwelt, in der dies jederzeit möglich ist, in der Figuren wie der mysteriöse Accountant mühelos existieren können.

O'Connors Inszenierung ist schlicht aber effektvoll und jongliert spielend mit Drama, Spannung, knallharter Action und tiefschwarzem Humor. Dabei versteht der Regisseur es, durch den Einbau von Rückblenden aus unterschiedlichen Zeitebenen eine clevere Struktur aufzubauen, die Hintergründe und Zusammenhänge dieser Parallelwelt und ihrer Geschichte erst nach und nach offenlegt und einige Erklärungen und Details von der Art, die Logiker glücklich und Filmfans unglücklich machen, gleich im Dunkeln lässt. Diese Erzähltechnik ist fast durchgehend gelungen, nur an einer Stelle wird zu viel auf einmal enthüllt. Seine Sternstunden hat The Accountant aber überwiegend in seinen in der zweiten Filmhälfte vermehrt auftretenden Actionszenen, die sich als derbes und präzises Spektakel präsentieren, das visuelle Äquivalent zu einem Granateinschlag. Einige der Actionsequenzen kommen dabei so unverhofft und bizarr aus dem Nichts, dass der unterschwellig groteske Charakter des Films umso mehr akzentuiert wird.

Als eine Art zweite Betrachtungsebene gibt es eine Vielzahl an Querverweisen auf das und strukturellen Parallelen zu dem DC-Comicuniversum zu geniessen, absolut verständlich, wenn man Afflecks, bzw. "Batflecks" Beteiligung in Betracht zieht.
Spoiler
-Das von Wolff gesungene Kinderlied "Solomon Grundy" ist auch das Markenzeichen eines gleichnamigen Batman-Gegenspielers, der in der Kanalisation von Gotham haust und in Comics wie The Long Halloween eine zentrale Rolle spielt.
-Der Accountant benutzt die Worte "Honour among thieves", die auch von Flash im Film Suicide Squad gesprochen wurden.
-Die Rolle von Wolffs mysteriöser "Sekretärin" erinnert an Batmans querschnittsgelähmte Informantin Oracle.
-JK Simmons als Regierungsbeamter arbeitet inoffiziell mit dem Accountant zusammen und weist somit Parallelen zu Commissioner Gordon und seiner Beziehung zu Batman auf, ausserdem spielt Simmons Gordon im neuen DC-Filmuniversum.
-Wolff hütet in seinem Wohnwagen zwischen Bargeld, Goldbarren und Gemälden auch wertvolle Erstausgaben der DC-Helden Superman und Green Lantern.
Der vor fünfzehn Jahren noch von vielen belächelte Affleck hat sich seinen Namen mittlerweile nicht nur als Regisseur, sondern auch als Schauspieler wieder reingewaschen. Seine eher distanzierte und emotionslose Art passt absolut perfekt zu der Rolle der autistischen Killermaschine und verleiht dem Accountant eine aussergewöhnliche Präsenz. Eine kompetente Nebenbesetzung rundet den Film ab, ohne Affleck je die Show zu stehlen.

Mit The Accountant hat O'Connor einen schrägen Actionfilm in die von Blockbuster-Fortsetzungen und Blockbuster-Remakes dominierte Kinolandschaft geworfen. Zwar liesse sich gewiss über die Authentizität der Darstellung von Autismus streiten, jedoch muss man konstatieren dass es O'Connor gelingt, das Thema in dem absurden Kontext als Element des pechschwarzen Humors zu verwenden, ohne es der Lächerlichkeit preiszugeben, da in Form der Drama-Elemente auch genügend "seriösere" Aspekte dabei sind, um die Balance zu wahren. Der experimentierfreudige Umgang mit den verschiedenen Genres sorgen in Kombination mit der ungewohnten Handlung und der effektvollen Inszenierung für Kurzweil, so viel ist garantiert.

Wertung: 8 / 10
We'll always have Marburg

Let the sheep out, kid.

Re: Zuletzt gesehener Film

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iHaveCNit: Himmelskind (2016)

Marketing ist für einen Film sehr wichtig, es schürt Erwartungshaltung, muss Appetit auf den Film machen, und uns bereits ein wenig vom Film offenbaren. Das Endergebnis eines Teasers oder eines Trailers kann schon immensen Einfluss auf die Wirkung des Films haben. Im positiven, wie auch im negativen Sinne. Für mich gab es in diesem Jahr schon einen Film, der durch seine Trailer den kompletten Film wie ein absolut schlecht geschriebenes Machwerk dastehen hat lassen. „The Huntsmen and The Ice Queen“ hat dem Zuschauer im Verlauf des Films das Gefühl gegeben, mehr als die Filmcharaktere zu wissen und uns für dumm zu verkaufen. Nun ist ein zweiter Film in diesem Jahr extrem stark in die Trailerfalle getappt und muss sich leider zu den schlechten Filmen gesellen, die ich dieses Jahr gesehen haben.

Es geht in diesem Film um die wahren Ereignisse im Leben von Anna Beam, die an einer schweren Darmkrankheit erkrankt ist und durch deinen Sturz beim Baumklettern wie durch ein Wunder geheilt wird – Und auch um die aufopferungsvolle Hilfe ihrer Mutter Christy und den Zusammenhalt in der Familie.

Ein Kind wird schwerkrank, klettert auf einen Baum, fällt tief und wird wieder geheilt – Ist diese Geschichte wahr oder ist sie frei erfunden ? – was sich anhört wie der Stoff für eine Vignette einer X-Factor-Episode ist der Aufhänger für einen kompletten Film von knapp 110 Minuten, dessen Handlungsverlauf mit allen Höhepunkten bereits im Trailer vollumfänglich preisgegeben wurde. So verbleibt im Film ein herzerwärmendes Familiendrama, das extrem lange Zeit braucht, zum Punkt und zum Ende zu kommen. Bis dahin lässt er uns eine Abwärtsspirale immer weiter nach unten wandern, um uns einen Tiefschlag nach dem anderen zu verpassen. Nebenbei werden uns immer religiöse Botschaften vermittelt, um die Kraft von Glauben, Wundern und Gott als alles Entscheidende zu verkaufen. Für einen Atheisten wie mich ist das ganze eben sehr fragwürdig und emotional nicht wirklich greifbar, auch wenn ich selbst im Alter von 5 Jahren durch eine Blasenperforation eine Nabelentzündung/Darmlähmung gehabt habe, die mein Leben beinahe beendet hätte.

Die Schauspieler leisten alle einen routinierten Job, der allerdings nicht weiter nennenswert ist. So verleibt ein engagiertes und couragiertes, sehr herzerwärmendes Familiendrama übrig, dessen Marketing und die Laufzeit ein extremes Problem sind.

„Himmelskind“ - My First Look – 4/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Zuletzt gesehener Film

7062
Lassen wir das mal so stehen - wieder einmal das Offensichtlichste ausgesprochen.

Kurzfristig kommt noch eine Review zu "Gone Girl", bevor ich mir "Girl on The Train" ansehe !

Mittelfristig will ich auch noch "Jack Reacher" und "Prisoners" reviewen, weil ja am 10.11.2016 das Doppelpack "Jack Reacher 2" und "Arrival" auf mich wartet.

Ich habe lange über etwas nachgedacht: Ein Rating-Rethought-Rundumschlag. Es gibt 6 Filme an der Zahl, die ich dieses Jahr mit 8,5 Punkte (2 Filme) und 7,5 Punkte (4 Filme) bewertet habe. Da sich keiner der Filme von dem halben Punkt etwas kaufen kann, muss ich mich nun entscheiden, welchen vollen Punkt er nun bekommt oder nicht bekommt.

Fangen wir mal an:
Die beiden 8,5 Punkte sind:
Hail, Ceasar !
Batman v Superman: Dawn of Justice Ultimate Edition
Beide werden auf 8/10 Punkte abgewertet, da beiden für mich etwas fehlt, um eine 9/10 zu bekommen.

Die 4 Filme mit 7,5 Punkten sind:

Tschiller: Off Duty
Batman v Superman: Dawn of Justice Kinofassung
The Jungle Book
Bastille Day
2 davon werden auf 8/10 aufgewertet: The Jungle Book und Bastille Day
2 davon werden auf 7/10 abgewertet: Tschilller: Off Duty und Batman v Superman: Dawn of Justice Kinofassung (ich kann Ultimate und Kinofassung nicht gleichzeitig mit 8 Punkten bewerten, da Ultimate in der ersten Hälfte runder ist)

Somit stehe ich noch vor folgendem Konflikt:
The Jungle Book
Suicide Squad
Beide nun mit 8/10 Punkten.
Ich kann Suicide Squad nicht mit BvS DOJ UE gleichsetzen und der Konflikt mit The Jungle Book besteht schon, seitdem ich mich ein wenig mit meiner Review und den 7,5 Punkten bei meinen Kollegen, mit denen ich den Film gesehen habe, unbeliebt gemacht habe.
Also bekommt Suicide Squad nun nur noch 7/10 Punkte.

So sieht also mein derzeitiger Wertungsspiegel 2016 aus:

10/10
The Revenant
The Hateful Eight
Room
Jason Bourne

9/10
Creed
Deadpool
Spotlight
Civil War
Legend
Warcraft
The Big Short
Erlösung
Star Trek: Beyond
A War
Zoomania
Snowden
Unter dem Sand
The Nice Guys
Whiskey Tango Foxtrot

8/10

The Danish Girl
13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi
Eddie The Eagle
Hardcore Henry
X-Men: Apocalypse
Demolition
Die Dunkle Seite des Mondes
10 Cloverfield Lane
Freeheld
The Shallows
The Light Between Oceans
Bauernopfer: Spiel der Könige
Die Kommune
Silent Heart
Inferno
The Accountant
Ein Hologramm für den König
Hail Ceasar
Batman v Superman: Dawn of Justice Ultimate Edition
The Jungle Book
Bastille Day

7/10
Point Break
London Has Fallen
Dirty Grandpa
Mike And Dave Need Wedding Dates
Triple 9
A Bigger Splash
Money Monster
Tschiller: Off Duty
Batman v Superman: Dawn of Justice Kinofassung
Suicide Squad

6/10
Independence Day 2: Wiederkehr
Gods of Egypt

5/10

The Huntsmen and The Ice Queen
Der Spion und sein Bruder

4/10
Himmelskind

Ohne Wertung:
Sharknado: The Fourth Awakens
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Zuletzt gesehener Film

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Lieblingsfilmreviews von HCN007 Nummer 12

Ich möchte in letzter Zeit ein wenig intensiver auf meine Lieblingsfilme eingehen und euch diese vorstellen. Folgende Filme hatten schon die Ehre:

Edge of Tomorrow
Collateral
Don Jon
The Last Samurai
Die Jagd
Die Insel
Rain Man
Unstoppable – Außer Kontrolle
Speed
The Town
Hercules

In meiner Anfangszeit, in der ich mich für Filme interessiert habe, gab es einen Film mit einem ernsten Thema, Tom Cruise und Jack Nicholson in den Hauptrollen und im Bereich von Filmen, die in einem Gerichtssaal stattfinden, mein Favorit im Bereich von Justizthrillern und Justizdramen. Nebenbei ist er rückwirkend mein Film des Jahres 1993. Die Rede ist von ….

„Eine Frage der Ehre“ (1993)

Regie: Rob Reiner
Musik: Marc Shaiman
Drehbuch: Aaron Sorkin
Schauspieler: Tom Cruise, Jack Nicholson, Demi Moore, Kevin Bacon, Kevin Pollak, Kiefer Sutherland und einige mehr.
Laufzeit: ca. 132 Minuten (DVD-Fassung)

Worum geht es in „Eine Frage der Ehre“ ?

Auf einem US-Marinestützpunkt auf Guantanamo wird der junge PFC Santiago getötet. LCPL Dawson und PFC Downey werden des Mordes bezichtigt. Bei der Verhandlung vor dem Militärstrafsenat soll mit einem Schuldspruch ein milder Strafdeal erreicht werden. Der junge Militäranwalt LTJG Daniel Kaffee soll die Verteidigung übernehmen, der erst vor hat, die Sache einfach über die Bühne zu bringen. Angetrieben vom Ehrgeiz seiner Beraterin LCDR und dem Aufkommen einiger Widersprüche in Bezug auf die Versetzung von PFC Santiago und den Befehl eines „Code Red“ von ganz oben, COL Nathan Jessup, entscheidet er sich jedoch für den harten Weg der Verteidigung von Downey und Dawson und den Kampf gegen Colonel Nathan Jessup.

Warum liebe ich „Eine Frage der Ehre“ ?

Justizthriller/-Dramen haben einen festen Platz in der Filmgeschichte und beliebt beim geneigten Publikum. Womöglich war es damals für mich ein Aufhänger für dieses Genre und diesen Film, dass Tom Cruise mitspielt. „A Few Good Men“, wie der Film im Original heißt, basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Aaron Sorkin, der hier das Drehbuch auch übernommen hat und viel später auch die Drehbücher von „The Social Network“ und „Steve Jobs“ geschrieben hat.

Die Motive des Films sind unglaublich vielfältig. Angefangen von Gerechtigkeit über militärische Disziplin, Kameradschaft bis hin zu pflichtbewusstem Gehorsam in der Befehlskette des Militärs. All das wird extrem treffend und mit entsprechendem Tiefgang auf den Punkt gebracht. Er wirft zu seinen Motiven viele Fragen auf, bei denen er zwar Antworten liefert, aber auch den Zuschauer selbst eine Meinung und Entscheidung treffen lässt.

Bei den Schauspielern fallen in erster Linie Tom Cruise und Jack Nicholson ins Auge. Tom Cruise liefert hier eine absolut tolle, engagierte Darstellung und die Charakterentwicklung vom faulen Militäranwalt mit Vaterkomplex zum ehrgeizigen Kämpfer auf dem juristischen Schlachtfeld ist ein Höhepunkt des Films. Genauso wie die Darstellung von Jack Nicholson, der als Hardliner mit jahrzehntelanger Erfahrung im Militär sich für unantastbar hält und charakteristisch und filmisch eine wahre Herausforderung für den jungen Tom Cruise gewesen ist, bei dem Cruise aber gut mitgehalten hat. Alle anderen Schauspieler liefern ebenfalls eine tolle Performance. Engagement, Courage, Ehrgeiz, Pflichtbewusstsein – Die Suche nach der Wahrheit. Alles glaubwürdige Motive.

Der stellenweise dezente Soundtrack von Marc Shaiman und die insztenierten ruhigen Bilder passen sehr gut, wie auch die ruhige, übersichtliche Inszenierung. Eindrucksvoll ist auch die tolle Formalchoreographie aus dem Vorspann und vor allem die Szenen mit Tom Cruise und Jack Nicholson – Stichwort: „I want the Truth !“, sind Momente für die Ewigkeit.

„Alles schmeckt besser mit Bacon !“ - wie auch dieser Film mit Kevin Bacon in einer wichtigen Nebenrolle. Der Film schmeckt mir wie immer außerordentlich gut und ist eines meiner Lieblingsgerichte – und mein Lieblingsgerichtsfilm !

„Eine Frage der Ehre“ bekommt von mir 10/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Zuletzt gesehener Film

7065
The Girl on the Train (2016, Tate Taylor)

Seit der Scheidung von ihrem Mann Tom geht es mit dem Leben von Rachel Watson bergab. Die ehemals erfolgreiche PR-Mitarbeiterin verliert ihren Job, verfällt dem Alkohol und wird tagein, tagaus von Frustration und Sehnsucht geplagt. Ihr Ruf als abgewrackte, regelmässig betrunkene Exfrau, die es nicht lassen kann, dem früheren Gatten und dessen neuer Ehepartnerin mit Kind nachzustellen, ist in dieser schwierigen Lebensphase auch nicht gerade von Nutzen. Bei ihren ziellosen Zugfahrten durch die Agglomeration von New York beobachtet Rachel vom Waggonfenster aus regelmässig Toms Haus, aber auch das seiner jungen Nachbarn, in Rachels Augen und Fantasie nicht weniger als das perfekte Paar, auf welches sie immer wieder ihre eigene Sehnsucht nach der verlorengegangenen Zuneigung projiziert. Doch dann verschwindet Megan, die Nachbarsfrau, die zufällig auch für Tom als Babysitterin gearbeitet hat, spurlos. Die Alkoholikerin lässt sich von ihrer Neugier dazu verleiten, selbst Nachforschungen anzustellen und gerät so mehr und mehr selber ins Visier der Polizei. Wahrheit und Lüge verschwimmen.

Soweit die Ausgangslage dieses überraschenderweise bei der Kritik sehr verhalten aufgenommenen Thrillers, der auf einem Roman von Paula Hawkins basiert. Der mit dem literarischen Vorbild nicht vertraute Filmfreund fühlt sich bei Prämisse und Inszenierung aber vielmehr an zwei jüngere Kriminalfilme erinnert, die in den letzten Jahren deutliche Spuren im Genre hinterlassen haben: David Finchers "Gone Girl" und Dennis Villeneuves "Prisoners". Rätselhafte und verstörende Deliktsfälle hinter den gutbürgerlichen Happy-Family-Fassaden in vermeintlich biederen Vorstadtsiedlungen stellen dabei die prägnanteste Parallele zwischen den drei Filmen dar. Aber - so viel sei verraten - das Mädchen im Zug erreicht nie so ganz die pausen- und atemlose Hochspannung und Faszination der beiden vorzüglichen Genrekollegen. Zu holprig ist die erste Hälfte teilweise, zu schwammig und mit limitiertem Gespür für Dramaturgie werden die Perspektiven der drei weiblichen Hauptfiguren Rachel, Megan und Anna, die teils auch in Rückblenden spielen, aneinandergereiht.

Dennoch wird auch der etwas wirre und umständliche Auftakt der Geschichte nie langweilig und der restliche Film dafür immer spannender. Zwar bleiben die Charaktere meistens eher an der Oberfläche, aber starke Darsteller wie Justin Theroux oder die wieder mal fantastische Emily Blunt überstrahlen diesen Makel förmlich. Wenn Tate Taylors Kamera die Abgründe des Vorstadtlebens und die Gedächtnislücken der Protagonistin erforscht sind verstörende visuelle Puzzlestücke mit allerhand desorientierenden Jump Cuts garantiert, die auf des Rätsels Auflösung Lust machen. Diese Lösung ist keine inhaltliche oder narrative Innovation, aber gut in Szene gesetzt und sorgt für einen weiterhin sehr spannenden Abschluss der Geschichte. Danny Elfmans Score vermag dagegen keine wirklichen Akzente zu setzen, bis auf eine musikalisch bemerkenswerte Szene, in der seine psychedelischen und vermeintlich willkürlichen Klänge die eindringliche Atmosphäre des Thrillers weiter anregen.

Um in einem Atemzug mit den Grossen des Genres genannt zu werden hat es dem zugfahrenden Saufmädel nicht gereicht. Taylors Romanverfilmung hat seine Schwächen, in erster Linie dass immer wieder durchschimmert, dass die erzählte Geschichte in einem Roman vermutlich besser funktioniert als in einem Film. Dennoch vermag der Thriller zu überzeugen, mit prägnanten Darstellern, intensiver und derber Atmosphäre und einer nach dem unausgegorenen Einstieg zunehmend spannenderen Geschichte. Für Freunde des Genres empfehlenswert.

Wertung: 7 / 10
We'll always have Marburg

Let the sheep out, kid.