Eine sehr gute Analyse zu den aktuellen politischen Debatten:
"In einer Welt umfassenden Misstrauens geht es nicht mehr um Faktizität, sondern um Sympathie. Es geht nicht mehr darum, ob eine Partei glaubwürdig ist, es geht darum, ob sie dem Wähler nahe ist, und zwar in dem Sinne, dass sie über die Welt so redet, wie der sie selbst erlebt oder gern sehen will, unabhängig von gegebenen Realitäten. Die post-truth -Politik hat das begriffen, allen voran die AfD, unter deren Anhängern das Misstrauen gegenüber dem Establishment – "Wir sind das Volk", "Pinocchio-Presse" – am stärksten ausgeprägt ist.
Damit aber wird die Debattenkultur den Gesetzen von Like und Dislike unterworfen. Der Wert einer politischen Aussage bemisst sich dann nicht an ihrer Stichhaltigkeit oder ihren Konsequenzen, sondern allein an ihrem Zustimmungspotenzial. Im Juni in Elsterwerda ernteten Björn Höcke und Alexander Gauland grölenden Applaus für die Behauptung, in Deutschland gebe es eine "Kanzler-Diktatur" (auch wenn Gauland später im Fernsehen log, das habe er nie gesagt). Über die Stichhaltigkeit dieser Aussage kann man nicht diskutieren, es folgt auch nichts aus ihr, in dem Sinne ist sie noch nicht einmal ein Vorwurf. Man kann nur fühlen, dass dieser Spruch richtig ist, oder eben lächerlich.
Bei Nietzsche heißt es, dass man um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden muss. "Das ist die bittere Wahrheit", sagen wir nicht umsonst. Die Lüge ist dagegen süß. Wie aus Zuckerwatte. Sie beleidigt nicht, sie verlangt nichts. Die Lüge ist nicht, was wir hören müssen, sondern was wir hören wollen."
http://www.zeit.de/2016/36/luegen-polit ... ettansicht