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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Suicide Squad (2016, David Ayer)
Die Filmgötter scheinen nicht mit DC Comics zu sein. Anders lässt es sich kaum erklären dass die Versuche, das gigantische, facettenreiche und faszinierende Universum aus den Comicreihen des Verlags als zusammenhängende Filmreihe auf die grosse Leinwand zu bringen, bisher mal mehr, mal minder gescheitert sind. Der dritte Anlauf im sogenannten DC Extended Universe, Suicide Squad, versprach den grossen Hoffnungsschimmer. Nicht nur fällt der Film endlich ohne Zack Snyders aufgeblasene, düstere und bräsige Interpretation des Superman-Mythos aus um stattdessen die eher anderen Seiten des potentiellen Superheldenuniversum auszukundschaften, auch die Prämisse, John Ostranders Suicide-Squad-Comic als wild zusammengewürfeltes Himmelfahrtskommando aus psychisch labilen Bösewichtern der zweiten Reihe zu adaptieren machte Lust auf mehr.
Das Endergebnis ist zumindest halbwegs geglückt, auch wenn die Entscheidung, David Ayer sowohl als Regisseur als auch als Autor anzuheuern immer noch sehr bedenklich wirkt. Ayers letzten beiden Filme Sabotage - ein als Schwarzenegger-Actioner getarnter B-Movie-Drogenkrimi von der Stange - und Fury - ein generisch pathetischer Gut-gegen-Böse-Kriegsfilm mit perfidem Drama-Anstrich - hatten beide dasselbe grundlegende Problem: Ayer möchte Ambivalenz in seiner Konstellation von Protagonisten liefern, und bietet stattdessen einen Haufen stereotyper Unsympathen. So ist es fast schon ironisch, dass seine Version des Suicide Squad eigentlich viel zu zahm daherkommt. Die Ansätze eines Haufens von unberechenbaren und teils irren Schwerverbrechern mögen vorhanden sein und sind gar nicht mal so schlecht umgesetzt. Das gesamte Konzept wird aber ad absurdum geführt wenn diese totalen Antihelden, die allesamt durch eine implantierte Bombe zu ihrem Regierungsauftrag gezwungen werden, sich zu einem Zeitpunkt, an dem für sie die Tore zur Freiheit offenstehen, als selbsternannte "Familie" zusammenraufen. In dieser Szene sowie dem direkt folgenden Finale macht es sich Ayer ganz einfach, und kehrt in schablonisierte Genre-Konventionen zurück, die ein Superheldenfilm wie Suicide Squad eigentlich durchgehend hintergehen könnte und müsste.
Was am Himmelfahrtskommando zu gefallen weiss ist das erste Drittel, in dem sämtliche Charaktere vorgestellt werden. Das Ganze präsentiert sich als temporeiche Collage aus witzigen Intros die mit diversen Flashbacks und einigen kleineren Exkursen in die Weiten der DC-Mythologie angereichert sind. Generell ist der erste Akt eindeutig der stärkste, da der abwechslungs- und konfliktreichste. Hier werden die Figuren sowie die Ausgangslage der Geschichte in Position gebracht, und hier ist Suicide Squad tendenziell auch noch das, was er eigentlich sein sollte, nämlich rotzig, derb und verrückt. Nur leider verläuft die Handlung ab der tatsächlichen Mission der Gruppe irgendwann völlig überraschungsarm und erinnert dabei mehr an ein Videospiel als an eine kohärente Filmstory, da das Einsatzteam prinzipiell nur von einer Front einer austauschbaren Zombieinvasion zur anderen wechselt, und das gleich mehrere Male. Dies bietet zwar Stoff für kompetent inszenierte und anfangs äusserst unterhaltsame Actionsetpieces, welche sich nach einer gewissen Zeit aber auch recht schnell abnutzen. Spätestens im letzten Drittel werden die Orientierungslosigkeit und die beliebige Dramaturgie des Films dann allzu deutlich, und Ayer wechselt mehr und mehr zu dem bereits erwähnten familienfreundlichen Weichspüler-Touch, sei es in den Interaktionen der Figuren, die auf einmal alle zu Schema-F-Strahlemännern werden, oder im enttäuschend uninspirierten Actionfinale, das in Sachen Atmosphäre und Auflösung beinahe schon peinlich naiv wirkt.
Eines der Kardinalsprobleme des Films ist das Fehlen einer wirklich guten Bedrohung. Die bösartige Geisterhexe Enchantress – von ihrem merkwürdigen Bruder und Kumpanen ganz zu schweigen – ist eine vollkommen austauschbare Figur, und dazu noch dramaturgisch schlecht ins übrige Geschehen hineingematscht. Von einem wirklichen Gegenspieler kann hier nicht die Rede sein, höchstens von einem Alibi, ähnlich dem grauenhaft schlechten Elfmann im noch grauenhaft schlechteren Thor 2, nur um mal im DC-/Marvel-Genre zu bleiben. Darstellerin Cara Delevingne geht ausserdem jegliche Präsenz und jedes Charisma ab, und sie wirkt durchgehend wie das, was sie ist: nämlich ein beliebiges angesagtes Laufsteg-Model, das mit etwas Schminke und CGI zur Hexe gemacht wurde um in einem Effektstrudel stehend ein paar Bösewichts-Plattitüden von sich zu geben.
Auf der Seite der „Helden“ kann Ayer wenigstens deutlich mehr auftrumpfen. Der primäre Player ist Scharfschütze Floyd „Deadshot“ Lawton, gespielt von Hollywood-Strahlemann Will Smith. Smith lässt zwar viele der ambivalenten Untertöne in der Rolle des Auftragskillers weg, kompensiert dies aber weitgehend durch eine starke Leinwandpräsenz, Wortwitz und die nötige Zugkraft um das Ensemble zusammenzuhalten. Margot Robies psychotische Killerbraut Harley Quinn ist die Nummer zwei, und auch bei ihr geht dieser Mix aus infantilem Barbie und geistigem Totalschaden überraschend gut auf. Die restlichen Mitglieder des Squads sind in Screentime und Gewichtung deutlich hinter diesen beiden anzusiedeln, wobei sich Joel Kinnaman äusserst wacker und charismatisch schlägt in einer wenig aufregenden Rolle als Aufpasser und der als Antipol des Charismas fast schon in die Filmgeschichte eingegangene Jai Courtney eine erstaunlich launige Darbietung des rotzigen Säufers Captain Boomerang zum Besten gibt.
Im Vorfeld mit Spannung erwartet wurde die Neuinterpretation des Jokers, der – es erstaunt nicht – zum Aufhänger der gesamten Marketingkampagne wurde. Der Joker ist eine der komplexesten und faszinierendsten Figuren des gesamten DC-Universums, wenn nicht sogar die faszinierendste von allen. Im Laufe der Jahrzehnte wurde er von meisterhaften Comicautoren wie Alan Moore, Grant Morrison oder Frank Miller erkundet und weiterentwickelt, und Kinogängern dürften sich noch allzu gut an die perfide und facettenreiche Interpretation durch Heath Ledger in Christopher Nolans The Dark Knight erinnern. Was Ayer und Leto aus der Figur machen hat nur sehr wenig von alledem. Nicht nur sind die Auftritte des Jokers für den Filmverlauf eigentlich völlig redundant, Leto spielt ihn dazu wie eine Mischung aus Gangsterrapper, billigem Zuhälter und Jack Sparrow Verschnitt. Aber am schlimmsten ist seine kitschtriefende, indiskret auf die Twilight-Fangruppe abzielende Kuschelromanze mit Harley Quinn, die der Figur - oder was davon geblieben ist – endgültig den Boden unter den Füssen raubt.
Nein, es will irgendwie nicht so recht klappen mit dem DC-Filmuniversum, grossartige Comicvorlagen hin oder her. Suicide Squad bestätigt meine Prognose und vor allem bestätigt es das altbekannte: Ayer ist ein mittelmässiger Autor und ein noch mittelmässigerer Regisseur. Es gelingt ihm nicht, die Versprechen einzuhalten und die ausführliche Exposition für eine gute Geschichte zu verwenden. Ausserdem tut er im letzten Drittel Dinge, die schon auf dem Papier komplett verkehrt wirken für Struktur und Ton des Films. Er versucht zu kaschieren, dass ihm auf halbem Weg durch den Film zunehmend die guten Ideen ausgehen, aber die Knoten im roten Faden sind zu offensichtlich. Vieles wird angerissen und dann fallengelassen, man denke etwa an die spezielle Fähigkeit der (für den Film absolut irrelevanten) Figur „Katana“, die nur der Comicquelle wegen erwähnt, aber nie gebraucht wird. Wenigstens ist die erste Hälfte des Films fast schon erstaunlich launig und unterhaltsam geraten, hier funktionieren Witz, Tempo, Derbheit und vor allem Exposition von Handlung, Hintergründen und Figuren noch, ausserdem passen die darstellerischen Zugpferde Smith und Viola Davis. Die zunehmende Belang- und Ideenlosigkeit der zweiten Hälfte gemischt mit ernsthaften dramaturgischen Problemen und einigen fast schon peinlichen Ausfällen in Bezug auf Stimmung, Charaktere und Atmosphäre zugunsten einer merkwürdigen Kleinkinder-Anbiederung trüben aber den Gesamteindruck eklatant.
Wertung: 5,5 / 10
We'll always have Marburg
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