709
von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Enthält Spoiler!
Spectre (2015, Sam Mendes)
Es gab wohl kaum einen Film in der Geschichte der Bondreihe der mit einer ähnlichen Euphorie erwartet wurde wie Sam Mendes' zweiter Streich nach seinem Box-Office-Stürmer SF. Spectre ist das Ergebnis einer dreijährigen Wartezeit, während der bei mir grosse Neugier und Vorfreude irgendwie nie so richtig einzusetzen wusste, auf jeden Fall bis zum Vorabend des Kinobesuches. Bin ich überwältigt? Ja! Bin ich enttäuscht? Ja!
Mendes führt mit Spectre denselben Ansatz fort, den er in SF gestartet hat. Das heisst er reduziert die Handlung auf eine simple und gradlinige Ebene und fokussiert sich in der Umsetzung auf einen ruhigen und ausführlichen Erzählfluss, der auf der einen Seite die Dramatisierung der vorangegangenen Bondfilme mit Daniel Craig beibehält, auf der anderen Seite aber auch diverse Neuinterpretationen der nicht ganz ernst zu nehmenden Over-the-Top-Elemente aus den Bondschen 1970er-Jahren wagt. Diese Kombination, die in SF noch nicht immer ganz ausgereift war, funktioniert nun ausgezeichnet und so ist gerade die erste Hälfte des Films mit unglaublich viel Dialogwitz, Humor, Eleganz, Gadgets, Referenzen und Anspielungen gespickt, die jederzeit gut in den Handlungsverlauf eingeflochten sind. Auf vielen Ebenen erinnert Spectre damit an stilprägende Bond-Klassiker wie TB oder TSWLM, nicht nur auf Stilelemente wie pittoreske Fotografie und Selbstironie bezogen, sondern auch auf den Unterhaltungswert. Mehr Lob geht eigentlich nicht.
Der mittlerweile mehr als zur Genüge etablierte blonde Bond Daniel Craig liefert in Spectre vermutlich seine bisher beste 007-Performance, da ihm hier zum ersten Mal der Spagat zwischen dem vergleichsweise mehrdimensionalen Ansatz seiner Darstellung und einer gehörigen Portion Humor perfekt gelingt. Craig beweist Leinwandpräsenz, Charisma, Witz und Charme zugleich, und balanciert überzeugend zwischen rauem Killer und charmantem Witzbold, dass dem geneigten Bondfan das Herz aufgeht. Neben ihm agiert das im Vorgänger neu aufgelegte MI6-Team nach Jahren der Unentschlossenheit als neue personelle Konstante in der Serie. Ralph Fiennes orientiert sich bei der Gestaltung der M-Rolle an der klassischen Auslegung durch die Legende Bernard Lee, bringt aber weiterhin genügend eigene Impulse in seine Darstellung mit ein. Ben Whishaws Q ist der heimliche Star des Films und legt bei seiner Neuinterpretation bzw. Variation des Waffenmeisters eine solche Menge Spielfreude, Schalk und vor allem Chemie mit Daniel Craig an den Tag, dass sich die entsprechenden Passagen, die auch solide im Handlungsverlauf verankert sind, wahrlich nicht vor den besten Szenen zwischen den "alten" Bonddarstellern und Ur-Q Desmond Llewelyn zu verstecken brauchen.
Etwas distanziert bleibt die meiste Zeit über das Bond-Girl, Madeleine Swann. Natürlich steht sie meilenweit über einigen der katastrophalen Blondchen, die Bond zu Zeiten von Old Rog manchmal anschmachteten (wie z.B. Mary Goodnight oder Stacey Sutton), ist aber zugleich auch weit davon entfernt, in den Kreis der allerbesten Bond-Girls aufgenommen zu werden. Dafür bleibt ihre Darstellung den ganzen Film über etwas zu kühl, und ihre Rolle etwas zu unrund. Insgesamt ist ihr Charakter sehr solide, ohne aber explizit hervorzuragen. Toll dagegen ist die Figur des Mr. Hinx, mit dem die Bondreihe zum ersten Mal seit einer langen Zeit einen gefährlichen und gerissenen Handlanger als Bonds Gegenspieler bereithält. Hinx erinnert in seiner physischen Präsenz und seiner Unnachgiebigkeit an Figuren wie Oddjob, Tee-Hee oder Jaws, ohne deren ikonographische Klasse zu erreichen. Er bleibt aber auf jeden Fall in der Erinnerung und ist mit Dave Bautista mehr als treffend besetzt.
Mendes' Inszenierung bedient sich verständlicherweise ähnlicher Stilmittel wie diejenige des Vorgängers: Panoramaaufnahmen, Farbfilter und eine ruhige Schnittfrequenz. Spectre zelebriert die mondäne, edle und malerische Fotografie einiger früheren Bondfilme noch um einiges mehr als SF und schafft es, die Drehorte Mexiko, Marokko, Österreich und Rom spektakulär und zeitlos festzuhalten. Darüber hinaus aber hat sich Mendes zusätzlich weiterentwickelt und überrascht mit einigen einfallsreichen Inszenierungstricks. Als Beispiele seien hier die elegante und für einen Bondfilm ungewöhnliche Plansequenz ganz zu Beginn und das sehr atmosphärisch und kunstvoll fotografierte Spectre-Meeting in Rom genannt. Die drei grossen Actionsequenzen in Mexiko, Rom und Österreich zeigen sich als flüssig in die Dramaturgie eingegliederte Synthesen aus Stuntarbeit, Humor, Handlungsentwicklung und ruhiger, konzentrierter Filmmontage, die das Geschehen abrunden und dazu noch mit einigen schönen Einfällen gespickt sind.
Der Soundtrack von Thomas Newman erfüllt seine Zwecke, ohne je wirklich aufzufallen. In einigen wenigen Szenen ist er zu aufdringlich eingesetzt, ansonsten aber läuft die Musik die meiste Zeit passiv zu den Bildern, ohne wirklich hervorzustechen, egal ob in positiver oder negativer Hinsicht. Smiths Titelsong ist mit etwas Gewöhnung gar nicht mal so schlecht, wenn auch sicher kein Highlight in diesem Fach. Absolut herausragend sind dafür einmal die eleganten und fantasievollen Bilder der Titelsequenz von Daniel Kleinman. Unglaublich, was dieser Mann zustande bringt.
Was Spectre in den ersten beiden Dritteln der zweieinhalbstündigen Laufzeit so unterhaltsam und stark macht, ist wie all diese genannten Elemente zusammenfliessen, wie Mendes eine Symbiose aus klassischem und modernem Bond-Abenteuer erschafft, wie er beliebte Elemente und Trademarks aus fünfzig Jahren Bondgeschichte einsetzt oder variiert, wie er die Handlung, die Figuren, die mondänen Bilder, den Humor und die kontrollierten Actionszenen zu einem fliessenden Strom exzellenten Vergnügens fusioniert. Bis zu diesem Punkt hätte ich Spectre ohne mit der Wimper zu zucken 8,5 oder sogar mehr Punkte vergeben, er wäre zum wohl besten Film der Craig-Bond-Ära geworden, vielleicht sogar zu einem der besten der gesamten Reihe. Aber dann folgt die Enthüllung des Bösewichts und die Ankunft in dessen Schlupfwinkel in der marokkanischen Wüste.
Es ist mir absolut schleierhaft, wie man einen so talentierten Darsteller wie Christoph Waltz und eine potentiell so interessante Figur wie den Oberhauser-Blofeld dermassen schamlos verbraten kann. Das Konzept, den Gegenspieler über eine längere Zeit im Dunkeln aufzubauen und mit einem relativ späten Auftritt sowie vergleichsweise begrenzter Leinwandzeit einzusetzen gibt es bei Bond nicht zum ersten Mal, so zum Beispiel extrem gut gelungen im Erstling DN. Umso erschreckender, wie bedeutungslos und schwach die Neuinterpretation der absoluten 007-Nemesis Ernst Stavro Blofeld hier ausgefallen ist. Weder wird der Figur die dramaturgische Bedeutung und Gewichtung zugestanden, die die vorangegangenen Teile des Films versprochen haben, noch ist Waltz die gewohnte Spielfreude anzumerken. Seine an sich spannende gemeinsame Vergangenheit mit Bond wird in der Umsetzung ebenso oberflächlich und mangelhaft verarbeitet wie die zuvor etablierte Macht und Kontrolle seiner Organisation. Die Verpflichtung eines grossartigen Darstellers und die ambitionierte Neueinführung eines potentiell so spannenden Bösewichts erweisen sich als heisse Luft. Ob es an Drehbuchänderungen in letzter Minute - die einem ungeplanten Leak der ersten Konzepte folgten - liegt sei mal dahingestellt, auf jeden Fall manövriert Mendes den Film pünktlich mit Bonds Eintreffen in Blofelds Wüstenversteck in eine dramaturgische Sackgasse und trampelt absolut skrupellos auf dem vorhandenen Potential herum. Was folgt ist ein uninspirierter und schlaffer Showdown in London und eine merkwürdig lieblose und auch belanglose Abhandlung des Subplots um den von Andrew Scott gespielten MI6-Verräter, und dann ist Spectre auf einmal zu Ende, an einem Punkt, der irgendwie nicht passen will.
Was bleibt sind mindestens eineinhalb Stunden feuriger, vielseitiger und absolut bondiger Unterhaltung, die viele unterschiedliche Stärken der Serie miteinander kombinieren und mit neuen, eigenen Impulsen anreichern, denen aber ein merklich schwächelnder Schlussakt und ein über alle Massen verschwendeter Bösewicht folgt.
Ich bin zwiegespalten.
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.