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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
James Bond 007: Dr. No (1962, Terence Young)
Mit Terence Youngs DN hielt vor über fünfzig Jahren eine der mittlerweile wohl bekanntesten Filmreihen aller Zeiten, basierend auf den Romanen des Ex-Spions und James Bonds geistigem Vater Ian Fleming, Einzug in die Kinosäle. Ausserhalb von leidenschaftlichen Fankreisen findet dieser Erstling in Bestenlisten häufig kaum Beachtung und wird nicht selten auf die Tatsache reduziert, dass es sich eben um den Auftakt der Reihe handelt. Schade, wie ich finde, denn der mit einem bescheidenen Budget von einer Million und ohne grossen Erwartungsdruck gedrehte DN ist auch nach mehr als zwanzig Fortsetzungen und diversen weiteren Highlights noch eine wahre Perle der filmischen Bondwelt und trotz seiner Einzigartigkeit bis heute prägend für die Missionen des berühmtesten Agenten ihrer Majestät.
Verglichen mit späteren Adaptionen ist DN noch relativ tief in Flemings Romanvorlage verwurzelt und lässt sich am besten als Synthese aus spannender Detektivgeschichte und fantasievollem Abenteuerfilm bezeichnen. Die erste Hälfte widerspiegelt dabei den Detektivfilmteil, in dem Bond wie so oft als Aufhänger einem dubiosen Mordfall nachgeht, was sich in DN aber noch um Einiges ausführlicher und damit spannender abspielt, als in den folgenden Werken der Reihe. Die zweite Hälfte, in der das Erkunden der Insel durch den Protagonisten im erzählerischen Fokus steht, repräsentiert den actionreicheren und findigeren Abenteuerfilm. Young lässt aber in seiner Inszenierung die Elemente dieser beiden Seiten derselben Medaille immer wieder ineinandergreifen und sorgt besonders im Mittelteil für einen fliessenden Übergang. Wie bereits angetönt sind Bonds Ermittlungen in und um Kingston nicht bloss der übliche einfache Anfangspunkt, sondern integraler Bestandteil der Handlung und deren dramaturgischer Entwicklung. Selten in über fünfzig Jahren wurde die Arbeit von 007 so reduziert und schlicht erzählt wie in der ersten Dreiviertelstunde von DN, allerdings sorgt auch hier eine ganze Palette an unterschiedlichen Faktoren für exzellenten und spannungsvollen Unterhaltungswert.
Kaum ein anderer Bondfilm hat eine so schöne und atmosphärische Kulisse aufzuweisen, wie der Erstling DN. Die faszinierende Symbiose aus dem exotischen und traumhaften Flair der karibischen Hafenstadt Kingston und dem alltäglichen Lebensstil der frühen 1960er-Jahre ist mehr als nur ein Hintergrund, sie ist ein Teil des Films. Der geografische und zeitliche Rahmen bedingen immer wieder, dass Bond auf eigene Faust vor Ort unterwegs ist, das Umfeld erkunden und seine Fantasie benutzen muss, um Informationen in Erfahrung zu bringen. Gleichzeitig werden Gefahrensituationen wie eingeschmuggelte Giftspinnen, lauernde Attentäter und verräterische Handlanger simpel und effektvoll in die Handlung mit eingebaut. Generell ist DN durchgehend straff, schnörkellos und zielgerichtet inszeniert, ohne sich mit Nebenhandlungen oder Ähnlichem aufzuhalten. Akzentuiert wird diese Stringenz durch den rasanten und auch heute noch sehr modern wirkenden Schnitt des späteren Bondregisseurs Peter Hunt, der Youngs traumhafte Bilder mit spielender Leichtigkeit arrangiert. Dazu kommen ein minutiöses und eindringliches Sounddesign sowie Musikgestaltung, die dafür sorgen dass die Spannung inmitten des visuellen Charmes nicht untergeht. Als musikalisches Leitmotiv dient nicht wie bei den anderen Serienbeiträgen ein Titelsong im Vorspann, sondern das launige und leichte Underneath the Mango Tree, das immer wieder eingespielt, variiert und sogar von den Charakteren gesungen wird, und das exotische Flair des Films perfekt unterstreicht.
DN ist das Ventil, das Flemings Romanbond adaptiert und daraus die Filmfigur James Bond geschaffen hat. Und für die darstellerische Umsetzung hätte man keinen besseren Mann verpflichten können, als Sean Connery. Der Schotte brilliert als Agent mit der Lizenz zum Töten, und verleiht ihm maskulinen Charme, energisches Auftreten und eine gehörige Portion Zynismus, aber auch weltmännischen und kultivierten Charakter. Egal ob er bei Gegner zuschlägt, bei Frauen zuschnappt oder sich einen Drink kredenzen lässt, Connery trifft stets den optimalen Ton und die haargenau richtige Geste, um seinen Bond zu formen und zu definieren. Er trägt den Film von seiner ikonographischen Vorstellung im Casino bis hin zum Kampf auf Leben und Tod gegen Dr. No. Ob Connery als Bond jemals wieder so gut war wie in seinem Debüt lässt sich schwer sagen, sicher ist, dass er nie wieder so kantig und cool war wie in DN.
Der von Joseph Wiseman verkörperte titelgebende Oberschurke ist für mich einer der drei besten Gegenspieler in der gesamten Bondreihe. Nicht obwohl, sondern gerade weil er erst kurz vor Schluss auftritt. Bis dahin wird Dr. No als geheimnisvoller und unsichtbarer Strippenzieher immer wirkungsvoller aufgebaut, sei es durch die merkwürdigen Gerüchte über seine Privatinsel und die darauf lauernden Gefahren, oder durch seinen indirekten ersten Auftritt als kalte Stimme, die Professor Dent in einem leeren Raum energische Anweisungen erteilt. Die Präsenz, die der Doktor den Film gewinnt, ohne dabei vor die Kamera zu treten, ist wahrlich bemerkenswert. Umso beeindruckender, dass Wiseman die Versprechungen dann auch einhalten kann. In seinen wenigen Minuten Screentime spielt er den hageren Chinesen mit dem maskenhaften Gesicht und den metallenen Händen mit einer solchen Kälte und Intensität, dass es einem kalt den Rücken runterläuft. Ein weiterer Höhepunkt sind hier auch die fantasievollen Dekors von Nos Appartement, entworfen vom legendären Setdesigner Ken Adam.
In der Besetzung und Gestaltung der Nebenrollen wartet DN mit einer ganzen Palette farbiger Charaktere auf, die rund um Connerys Bond arrangiert sind. Absolut ikonographisch und dazu noch über alle Massen erotisch ist Ursula Andress‘ Honey, das erste Bondgirl der Filmgeschichte. Andress‘ erster Auftritt wird nicht zu Unrecht regelmässig als eine der Sternstunden der Bond-Historie bezeichnet. Wie sie singend aus dem Wasser steigt, als wäre sie eine Kreatur des Meeres, ist mindestens genau so stark wie ihr Zusammenspiel mit Connery. Jack Lord als kumpelhafter und lässiger CIA-Kollege Felix Leiter zählt von den vielen Darstellern, die die Rolle gespielt haben, mit Sicherheit zu den passendsten und eindrücklichsten. Unvergesslich ist natürlich auch John Kitzmiller in der Rolle des abergläubischen aber todesmutigen Fischers Quarrel, der für Bond sein Leben lassen muss. Mit Bonds „Casino-Bekanntschaft“ Sylvia Trench und der ebenso verräterischen wie naiven Miss Taro wird bereits vor Honeys erstem Auftritt für den richtigen Schuss Erotik und Eye-Candy gesorgt. Und Bernard Lee legt als autoritärer und strenger Geheimdienstchef M den Grundstein für seine Darstellung in den darauffolgenden Filmen. Die respekt- und vertrauensvolle Beziehung zwischen dem zuweilen etwas von Bond genervten M und 007 selbst wurde hierfür direkt aus Flemings Romanen übernommen und erfährt durch Connery und Lee eine fantastische Belebung.
Es gibt für mich kaum etwas, das an DN auszusetzen ist. Natürlich könnte man sagen, dass der Film verglichen mit den späteren Bondabenteuern unspektakulär daherkomme, das wäre in meinen Augen aber der völlig falsche Denkansatz, da DN ein ausladendes Spektakel gar nicht nötig hat. Die ikonographische Location Jamaika, die Härte und Straffheit der Inszenierung, die richtige Portion trockener Witz und viel Charme, ein farbiges Figurenensemble, stimmungsvolle Filmmusik und nicht zuletzt eine Bombenleistung von Sean Connery als unverbrauchter Bond, wie er ihn cooler nie mehr zu spielen vermochte, all das macht Terence Youngs Auftakt der langlebigen Filmreihe zu einem schillernden Juwel, dem meiner Meinung nach nur noch ein kleiner Sprung zur Perfektion fehlt.
Wertung: 9 / 10
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.