Aus Anlass der jüngsten Sichtung von Leones Todesmelodie erlaube ich mir mal die Freiheit und eröffne einen Thread für einen der einflussreichsten und besten Regisseure aller Zeiten: Sergio Leone.
Todesmelodie (1971) – Sergio Leone
Todesmelodie oder Giu la testa wie er im Original heisst (der deutsche Titel ist eine Anspielung an Leones legendären Vorgänger) ist von den sechs Leone-Filmen seiner großen Zeit ab 1964 fraglos der am wenigsten bekannte und wohl auch der verkannteste. Denn tatsächlich handelt es sich bei dem 1971 entstandenen Film um den zusammen mit Es war einmal in Amerika wohl „reifsten“ Film des Ausnahmeregisseurs. Todesmelodie spielt während der mexikanischen Revolution und zeigt die Revolutionswirren aus der Perspektive von zwei höchst unterschiedlichen Protagonisten, einem von Rod Steiger verkörperten kleinen mexikanischen Banditen und einem von Jimmy Coburn gewohnt knurrig gespielten irischen Sprengstoffexperten. Nicht wirklich freiwillig werden sie in die Revolution hineingezogen und letztlich sogar unbeabsichtigt zu Revolutionshelden.
Nachdem Leone bereits in Zwei glorreiche Halunken sehr effektiv die Schrecken des Krieges und die Auswirkungen auf die Beteiligten als zusätzliche Ebene in seinen Film eingewoben hatte ging er bei Todesmelodie noch einen ganzen Schritt weiter und schuf seinen wohl düstersten und fatalistischsten Film. Das außergewöhnliche dabei ist, dass der Film stilistisch eine analoge Entwicklung nimmt zur Veränderung der Charaktere der Protagonisten. Das erste Drittel ist noch durchzogen von derbem Humor und hier liefert Leone eine Art Quasi-Fortsetzung seiner Zwei glorreichen Halunken. Rod Steigers Bandit Juan Miranda ist dabei ganz unverkennbar eine Fortführung von Wallachs Tuco und entsprechend laut polternd ist hier auch Steigers formidable Darstellung. Der Ton des Films ändert sich im Verlauf aber sehr deutlich und wird zunehmend ernster. Leone zeigt die mexikanische Revolution eben nicht als Abenteuerspielplatz oder als romantisch verklärte Geschichtslüge sondern macht sehr deutlich, dass Revolution gleichbedeutend mit Krieg ist und allen Beteiligten unterm Strich in erster Linie Verluste einbringt. So ergeht es auch den beiden Protagonisten von Todesmelodie, Juan und John, und selbst der zu Beginn so laut polternde Steigercharakter hat spätestens im letzten Drittel des Films dann zusehends weniger zu lachen.
Dieser ernste Tonfall ist bemerkenswert angesichts der oft fast schon heiteren, aber zumindest immer mit einem Augenzwinkern inszenierten Dollarfilme. Selbst der bereits deutlich getragenere Spiel mir das Lied vom Tod war nicht annähernd so düster, wie Todesmelodie in seiner zweiten Hälfte. Aber gerade das macht auch die Stärke des Films aus, der dadurch sein Anliegen enorm eindrucksvoll an den Zuschauer vermittelt. Hinzu kommt, dass Leone hier sein bewusst eingesetztes Stilmittel der Langsamkeit auf die Spitze treibt (stimmt nicht ganz, denn in Es war einmal in Amerika steigert er sich diesbezüglich noch einmal) und die einzelnen Szenen regelrecht zelebriert. Lange Kamerafahrten, extrem aufwändig inszenierte Szenenaufbauten, elegante Flashbackszenen in Zeitlupe, atemberaubende Zoom- und Beleuchtungseffekte: in Todesmelodie zeigt sich Leone visuell auf dem Zenith seines Könnens und schöpft mit Gusto aus dem Vollen seines reichhaltigen künstlerischen Könnens. Trotz der bewussten Langsamkeit wird der über zweieinhalb Stunden lange Film nie auch nur einen Moment langweilig.
Die beiden Hauptdarsteller erweisen sich dabei als Trumpfkarte und harmonieren prächtig miteinander. Steiger spielt seinen Juan mit der gleichen liebenswerten Großmäuligkeit wie Wallach seinen Tuco, verleiht dem Film mit zunehmender Dauer aber auch immer mehr Tiefe und Gebrochenheit. Coburn überzeugt als der andere Leonesche Archetyp, dem eher wortkargen Unbekannten mit mysteriöser Vergangenheit. Zusammen bilden sie das für mich beste Leone-Duo, gerade auch schauspielerisch (und das trotz De Niro/Woods!). Leones musikalischer Partner Ennio Morricone leistet bei Todesmelodie ebenfalls herausragendes und übertrifft sich zwar nicht selbst, liefert aber einen Soundtrack ab auf dem selben absoluten Topniveau wie Zwei glorreiche Halunken und Spiel mir das Lief vom Tod. Dabei ist er so vielfältig und abwechslungsreich wie noch nie und unterstützt Leones Inszenierung wie immer kongenial. Höhepunkt diesbezüglich sind vermutlich die Flashbackszenen, die gerade auch durch Morricones Musik hier so gut funktionieren wie in keinem anderen Leonefilm.
Todesmelodie wird völlig zu Unrecht immer etwas übersehen im großartigen Oevre von Sergio Leone. Der Film ist wenn man so will das stilistische Bindeglied zwischen Zwei glorreiche Halunken und Es war einmal in Amerika, wobei er in Sachen Fatalismus und auch Düsterheit letzteren sogar noch übertrifft. Inhaltlich halte ich den Film sogar für den reichhaltigsten aller Leone-Filme, vor allem auch da viele Entwicklungen und Elemente sehr subtil eingearbeitet sind. Es gibt zwei Momente, in denen der Film etwas unrund wirkt. Dies sind die Szenen, in denen warum auch immer gefilmte Szenen nicht im Film integriert wurden, wodurch es zu kleineren Anschlussproblemen kommt. Mit den entfernten Szenen wäre der Film noch runder und vermutlich dann eben sogar perfekt gewesen. Aber so oder so ist dies Klagen auf sehr hohem Niveau, denn auch so wie er ist ist Todesmelodie ein Highlight in Leones Karriere.
Wertung: 9,5 / 10
Der Sergio Leone Thread
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Zuletzt geändert von AnatolGogol am 12. August 2015 09:02, insgesamt 1-mal geändert.
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