Old Shatterhand (1964) – Hugo Fregonese
Galten Karl Mays Wild-West-Fantasien vor dem Schatz im Silbersee weitgehend als unverfilmbar und wirtschaftlich unattraktiv, so belehrte der grandiose Erfolg der ersten Rialto-May-Verfilmung alle Skeptiker eines besseren, u.a. auch die Berliner Produzentenlegende Artur Brauner. Eben jener liess kaum dass die ersten Erfolgszahlen des Silbersees vorlagen ein eigenes Karl May-Projekt vorbereiten, gleichwohl sich sein Konkurrent Horst Wendlandt ja bereits die Rechte an allen Mayschen Wild-West-Titel gesichert hatte. Doch auch das konnte den mit allen Wassern gewaschenen Brauner weder abschrecken noch von einem eigenen May-Western abhalten: er ließ einfach ein eigenes Drehbuch rund um die rechtefreien Mayschen Figuren entwickeln. Es spielte Brauner dabei enorm in die Karten, dass er zudem noch über einen Vertrag mit Shatterhand-Darsteller Lex Barker verfügte, welchen er weitsichtig bereits vor dessen Erfolg als Mayschem Alter Ego für seine Mabuse-Reihe aus Italien geholt hatte. Wo Shatterhand ist durfte Winnetou nicht fehlen und so gelang es ihm darüberhinaus auch Pierre Brice, der eigentlich exklusiv bei Wendlandt unter Vertrag stand, loszueisen im „Tausch“ für die ihrerseits bei Brauner unter Vertrag stehende Elke Sommer, welche später dann in der Rialtoproduktion „Unter Geiern“ zu sehen sein sollte. Wendlandt erkannt schnell, dass er das Braunersche Konkurrenzprojekt rechtlich nicht zu stoppen vermochte und hatte daher ein Interesse daran, dass die Konkurrenz weder stilistisch noch qualitativ sich zu weit von den eigenen Produktionen entfernte, damit für die eigene Reihe kein nachhaltiger Schaden entstehen würde. Die Situation um den letztlich als „Old Shatterhand“ betitelten Braunerschen Mayfilm war also der um die vierte James Bond-Verfilmung Feuerball gar nicht so unähnlich, allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass Wendlandt bei Old Shatterhand kein wirkliches Mitspracherecht hatte und auch finanziell (mal abgesehen von den „Nebengeschäften“ um Brice und Sommer) keine Anteile hatte.
Aufgrund seiner Entstehungshintergründe erklärt sich, warum Old Shatterhand in vielerlei Hinsicht ein Exot unter den Winnetou-Verfilmungen ist. Obwohl man die komplette Besetzung der Hauptrollen aus den Rialtofilmen an Bord hatte und sich unübersehbar auch inhaltlich an den so erfolgreichen Vorgänger-Produktionen orientierte, so wirkt dennoch bei Brauners Film vieles anders und merkwürdig fremd. Brauner hatte von Anfang an das Ziel zu klotzen statt zu kleckern, sein May-Western sollte den Aufwand der Rialtofilme nochmals deutlich toppen. Nicht zuletzt auch deshalb da er mit seinem Film auf den internationalen Markt abzielen wollte, insbesondere auch auf den englischsprachigen, auf welchem die beiden ersten Rialtos wenig bis keine Aufmerksamkeit erregen konnten. An großem Aufwand mangelt es Old Shatterhand entsprechend auch nicht, gerade im Detail ist die Ausstattung oftmals geradezu verschwenderisch üppig. Auch liessen sich durch das am Ende fast sechs Millionen Mark hohe Budget sehr stattliche Großbauten realisieren, allen voran das imposante Armee-Fort, welches als 1:1-Kullisse gebaut wurde. Brauner liess seinen Film auf dem hochauflösenden 70mm-Material drehen, was damals in erster Linie für Hollywood-Großproduktionen a la Meuterei auf der Bounty oder Ben-Hur verwendet wurde, ein weiteres Indiz für das von Anfang an großangelegte Projekt.
Einzig bei den beiden wohl wichtigsten Bausteinen für einen erfolgreichen Film tat sich Brauner mehr als schwer: ein Drehbuch fand sich erst nach mehrmaligen Fehlversuchen von verschiedenen Schreibern und auch jenes musste während des Drehs dann immer wieder „mit heisser Nadel“ umgeschrieben werden. Und was fast noch schwerer wog: es gelang Brauner nicht, den Regieposten mit der von ihm zunächst gewünschten „Profilösung“ zu besetzen. Die Verhandlungen mit diversen namhaften Hollywoodregisseuren scheiterten (u.a. Don Siegel), woraufhin er sich für den eher unerfahrenen Leopold Lahola entschied, nur um kurz vor Drehbeginn bei bereits laufender Vorproduktion den scheinbar überforderten und gesundheitlich angeschlagenen Lahola durch den Argentinier Hugo Fregonese zu ersetzen, welcher sich zuvor mit eher zweitklassigen Filmen auch nicht gerade für ein solches Prestigeobjekt empfohlen hatte. Diese bereits in der Frühphase der Produktion entstandenen Schwierigkeiten hinsichtlich Drehbuch und Regie sollten sich dann auch im fertigen Film als die Kardinalsprobleme erweisen. Die „böse Weisse wollen das Land der Apachen und zetteln daher einen Krieg zwischen Weiss und Rot an“-Story findet sich zwar auch in vielen der Rialto-Filme, aber so dünn und beliebig wie im Braunerfilm ist sie nirgends. Hatte man sich zB im ersten Winnetou noch die Mühe gemacht, etwas die Motive von Santer und Bancroft auszuleuchten, so bleiben die Absichten der Drahtzieher in Old Shatterhand im Dunkeln. Sie wollen das Land, das muss reichen. Gleiches gilt auch für die Figuren, die sehr blass und oberflächlich bleiben. Und wenn man dann doch mal versucht, den Figuren etwas Hintergrund zu geben, dann geht es grandios in die Hose, etwa als der von Guy Madison gespielte Oberschurke vor Winnetou über den Tod seiner Familie durch Indianer lamentiert. Dieser Ansatz hätte spannend werden können, da man aber weder zuvor noch danach dieses Charakter-Dilemma auch nur mit einem Wort erwähnt verpufft die Wirkung nicht nur, die ganze Szene wirkt sogar aufgesetzt und unglaubwürdig.
Desweiteren entpuppt es sich als gravierendes Problem, dass die Handlung des Films weder über einen sinnigen Aufbau noch über eine halbwegs logische Entwicklung verfügt. In dieser Beziehung ähnelt der Film etwas dem „Hin-und-Her“ um die Schatzsuche im Silbersee, nur leider fehlen Old Shatterhand weitgehend die spektakulären und unterhaltsamen Einzelpassagen wie auch die effektive Inszenierung eines Reinl. Bei Fregonese wirkt vieles abgefilmt und uninspiriert. Bei vielen Einstellungen wird einfach die Kamera eine gefühlte Ewigkeit auf Belanglosigkeiten draufgehalten, etwa wenn Shatterhand durch die Prärie reitet. Hier könnte der Kontrast zur Reinlschen Inszenierung kaum größer sein, denn im Gegensatz zu diesem sind die Versuche von Fregonese die jugoslawische Landschaft miteinzubinden gespür- und erfolglos. Das wirkt abgefilmt und es gelingt nicht, die vielfach geliebte „wildromantische“ Stimmung zu erzeugen, im Gegenteil halten diese eher an eine Reisedoku erinnernden Aufnahmen den Film sogar auf. Erstaunlich auch, wie handwerklich schwach der Film oftmals rüberkommt. Als Beispiel sei die „Einführung“ des von Bill Ramsey gespielten Pianisten genannt: die Kamera verharrt nachdem die Szene eigentlich schon beendet ist noch eine gute halbe Minute auf dem im Planwagen sitzenden Ramsey, Shatterhand kommt auf ihn zu – nur es passiert gar nix mehr, niemand spricht, niemand macht was, aber die Kamera bleibt einfach drauf. Die Szene läuft einfach noch ne halbe Minute weiter, ohne dass der Film was davon hat. Durch diese Art „Überfluss“ verliert der Film weiter an Tempo, welches ohnehin nie sonderlich hoch ist.
Auch bei den großen Actionszenen hinkt Fregoneses Inszenierung der von Reinl meilenweit hinterher. Nirgends wird dies deutlicher als beim finalen Angriff auf das Fort, welcher vollkommen spannungsfrei in Szene gesetzt wird als rund viertelstündiges Piffpaff-Rumgereite. Viel explodiert, jede Menge Kaskadeure fallen vom Pferd oder dem Fort, aber von Dramatik oder Spannung keinerlei Spur. Auch hier lässt Fregonese wieder jedes Gespür für die Situation vermissen. Es hilft hierbei zudem auch nicht gerade, dass der titelgebende Protagonist die ganze Zeit über tatenlos rumsteht. Positiv tut sich die Regie eigentlich nur ineiner Szene hervor: die Einführung des von Madison gespielten Oberschurken, der zunächst im Dunkeln unerkannt bleibt. Das ist in Bezug auf die Kameraeinstellung, mit der es gefilmt ist und durch den Schatteneffekt schön konzipiert (dummerweise wird die Wirkung daduch zerstört, dass man Madison mit Rainer Brandt die unverkennbare , damalige Standard-Schurkenstimme gegeben hat, wodurch er dann schon in der nächsten Szene sofern man nicht gerade schwerhörig ist als Drahtzieher erkannt werden kann). Ansonsten lässt sich die Inszenierung in einem Wort zusammenfassen: amateurhaft. Gleiches gilt für die Dramaturgie, die nur einmal wirklich zu überraschen weiss: bei der Ermordung des kleinen Tommy (welcher zuvor in seiner gleichermaßen neunmal- wie altklugen Art die Geduld des Publikums auf eine harte Probe stellt). Diese kommt sehr unerwartet und Mord an Kindern war seinerzeit im Film – wenn man nicht gerade Hitchcock hiess – eigentlich ein ziemliches No-Go.
Aufgrund seiner Hoffnung, mit Old Shatterhand auch den englischsprachigen Markt erobern zu können orientierte sich Brauner bei seinem Film viel stärker als die Rialtos an den Genrevorbildern aus Hollywood. An sich keine schlechte Idee, denn Abgrenzung und Eigenständigkeit sind prinzipiell ja wünschenswerte und positive Aspekte. Nur leider geht auch hier der Schuss nach hinten los: zum einen hinkt der teutonische „Pseudo-Hollywood-Western“ durch die bereits angeführten dramaturgischen und inszenatorischen Mängel den Vorbildern qualitativ meilenweit hinterher (vieles wirkt auch trotz des großen Aufwandes sehr schlampig, etwa wenn Tujunga die Wimperntusche verläuft, Soldaten ihre Hüte falsch rum aufhaben oder furchtbar unecht aussehende Gummi-Kakteen inflationär im Bild präsentiert werden). Und zum anderen wird die „Hollywood-Anbiederung“ dann auch wieder nicht konsequent durchgezogen, da man in Teilen doch wieder hemmungslos den Silbersee kopiert. So sind der finale Angriff auf das Fort und Winnetous Kampf mit dem fetten (!!!) Komantschenhäuptling natürlich nix anderes als nur unwesentlich veränderte Variationen des Angriffes der Tramps auf die Butlerfarm bzw. des Shatterhand-Zweikampfes mit dem Utah-Häuptling. Und leider bleiben auch die „Rialto-Zitate“ weit hinter dem Standard der Vorbilder zurück. Zum Zweikampf mit der Komantschen-Kampfwurst ist zudem noch folgendes zu sagen: die Szene (es geht immerhin um einen möglichen Krieg zwischen Apachen und Komantschen) wird nach dem Tod des Dicken abrupt mit einer Schwarzblende beendet und der Film anschliessend nach einem satten Handlungs- und Ortssprung mit einem Pow-Wow zwischen den Apachen und dem General fortgesetzt. Was mit dem Konflikt zwischen den beiden Stämmen wurde weiss wohl allein Manitu. Zwar könnte man hier argumentieren, dass bereits zuvor erklärt wurde, dass der Häuptlingszeweikampf den Stammeskonflikt stellvertretend entscheiden soll, aber die Tatsache, dass man eine solche Szene einfach kommentarlos verlässt zeigt mehr als deutlich, wie gespürlos hinsichtlich der Stimmung und Situation Inszenierung und Dramaturgie hier vorgehen.
Obwohl man mit Barker, Brice und Wolter die komplette Idealbesetzung an Bord hatte bleiben selbst diese bewährten Kräfte bei Brauner etwas blass. Am besten trifft es dabei noch Wolters Hawkens, der einige nette Szenen zugestanden bekommt und welcher im Zusammenhang mit dem Tod des kleinen Tommy sogar mal einen etwas dramatischeren Moment bewältigen darf. Barker und vor allem Brice wirken dagegen oftmals eher wie Staffage bzw. dienen ausschliesslich als Identifikationsfigur in Actionszenen. Von Charakterentwicklung wie im ersten Winnetou ist da weit und breit nix zu sehen. Die bewährte Chemie zwischen den beiden funktioniert zwar halbwegs, aber sie bekommen kaum Gelegenheit diese auszuspielen. Madison als Oberschurke ist ok, aber gemessen an Lom und vor allem Adorf ist das mindestens eine qualitative Stufe darunter. Er hat es zugegebenermaßen aufgrund seiner eindimensional (für May-Schurken nix aussergewöhnliches) und schwach geschriebenen Rolle aber auch nicht einfach. Battaglia gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf noch kommende größere Schurkenrollen, durch seine sinistre Ausstrahlung gelingt es ihm seine eher kleine Rolle deutlich aufzuwerten. Daliah Lavi ist natürlich ein Hingucker, auch wenn ihr Bodydouble zweifelsohne den bleibenderen Eindruck hinterlässt. Darstellerisch ist das eher banane, wenn sie zumeist mit in die Hüften gestemmten Händen teilnahmslos rumsteht. Überhaupt ist ihre ganze Rolle überflüssig, fügt sich damit aber irgendwo auch wieder nahtlos in die unzusammenhängende Handlung ein (einfach nur herrlich: zunächst muss Shatterhand sie unbedingt aus ihrem Kapuff am Wasserfall holen, weil sie ja in Gefahr ist (warum eigentlich?), nur damit es dann urplötzlich heisst: jetzt ist die Zeit gekommen, dass Paloma wieder zum rauschenden Wasser zurückkehrt. Ja warum denn jetzt wieder zurück? Vermutlich hat sie nach ihrem von Shatterhand vermittelten Praktikum bei der Puffmutter jetzt alles gelernt, was eine echte Westfrau wissen muss
). Jenseits von Gut und Böse ist auch der Auftritt von Schlagerlegende Bill Ramsey, der den ganzen Film über nix zu tun hat und noch nicht mal lustig sein darf bzw. soll (ok, als er sich im Finale unter seinem Hut verstecken will, da dann zumindest ein bisschen). Da lacht das Herz des Freundes guten Trash, den nix anderes ist Ramseys Auftritt, dagegen war Howland im ersten Winnetou ja absolut handlungsrelevant!
Keinen Gefallen hat man sich zudem damit getan, statt auf den bewährten Böttcher beim Soundtrack auf Riz Ortolani zurückzugreifen. Auch hier bleibt festzuhalten: grundsätzlich ist nicht das Problem, dass man sich dadurch stilistisch von den Rialtos abgrenzt, sondern dass das Ergebnis qualitativ nicht gänzlich zu überzeugen weiss. Ortolanis Score ist jedenfalls gemessen an seinem sonstigen Oevre allerhöchstens als Durchschnitt einzustufen, bei dem sich Licht und Schatten abwechseln. Zudem plagiiert er für meinen Geschmack etwas allzu deutlich Bernsteins Soundtrack zu Die glorreichen Sieben, wobei zugegebenermaßen das Hauptthema von Old Shatterhand eine nette Variation darstellt. Der stilistische Bruch zu den Rialtos wird im Hollywood-orientierten Soundtrack so oder so überdeutlich, dies gilt aber auch für viele andere Dinge. Genauso auffällig angesichts des prägenden Eindrucks aus Winnetou 1.Teil ist die vollkommen andere Gestaltung des Apachendorfes, statt gebirgigem Pueblo nun Zeltdorf am See. Diese Abweichungen machen den Film nicht schlechter, aber sie verstärken den ungewohnten, nicht ganz stimmigen Eindruck. Ärgerlicher sind da schon vermeidbare Schlampigkeiten wie wenn eine stinknormale Winchester als Henrystutzen durchgehen soll oder in einer anderen Einstellung der Bärentöter als Stutzen bezeichnet wird.
Es passt in Summe einfach vieles nicht zueinander in diesem großangelegten Western-Potpourri. Die diversen Tanzeinlagen von Rot und Weiss (in einem anderen Film könnte man beinahe auf die Idee kommen, dass man hiermit die Gemeinsamkeit der Kulturen unterstreichen wollte) unterbrechen die langatmigen Intrigen und unterdurchschnittlichen Actionszenen immerhin in höchst bizarrer Weise. Ins gleiche Horn stösst der Tingeltangel-Singsang der örtlichen Puffmutter, die kurz vorm Ausbruch eines Indianerkrieges noch lustig die Massen der Westernstadt unterhält. Meine absolute Lieblingsszene diesbezüglich ist fraglos der Besuch des Sheriffs beim Barbier: eigentlich wieder eine komplett redundante Szene im Stile der bereits erwähnten Pianisten-Einführung, die dann aber mit einem grandiosen Schlussgag aufzuwarten weiss (Der Barbier schneidet den Sheriff beim Rasieren, entrüstet blafft ihn der Sheriff an: „Das kommt vom Trinken!“, woraufhin der Barbier entgegenet: „Ja, stimmt, die Haut wird davon so spröde“
). Abgerundet wird diese eigentümliche Melange dann durch haarsträubende Dialogperlen („Euer Mann ist so reizend“) und unfreiwilligen Slapstick (wenn beispielsweise ein Soldat beim finalen Angriff beim Anblick eines Pfeils in Ohnmacht fällt). Ja, eigentlich könnte Old Shatterhand ganz gut als vergnügliches Trashspekatkel durchgehen – wenn, ja wenn er nicht so unsäglich langweilig und langatmig wäre. Und das ist dann ein Umstand, den ich keinem Film verzeihen kann. Da hilft dann auch aller betriebener Aufwand kaum was, angesichts der gravierenden damaturgischen und inszenatorischen Mängel sowie vieler anderer bestenfalls unglücklicher Versatzstücke wird die mit fast zwei Stunden viel zu lange Laufzeit zur echten Geduldsprobe.
Wertung: 3,5 / 10