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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Lucy
"Der Mensch nutzt nur 10% seiner Gehirnkapazität. Was wäre, wenn er 100% erreichen könnte?" - Nichts, denn das tun wir natürlich längst. Aus biologischer Sicht ist Luc Bessons Thriller "Lucy" von 2014, der mit jenem Satz ständig beworben wurde, daher eigentlich bereits beginnend bei seiner Prämisse völliger Blödsinn. Da es sich bei einem Film aber immer auch um ein fiktives Werk handelt, dass sich nicht an Gesetze der Realität halten muss, geht dieser "Fehler" in Ordnung, schließlich bietet die Ausgangsstellung einiges an Potenzial für einen fantasievollen und verspielten Film. Genau jene Adjektive wurden Bessons Film dann im Vorfeld auch gerne attestiert. Warum erschließt sich bei der Sichtung allerdings nicht. Viel mehr tun einem Stars wie Scarlett Johansson oder Morgan Freeman beinahe leid, wenn man sie in diesem "Werk" auf der Leinwand sieht und man sich nur noch fragt: Was um alles in der Welt ist hier schief gelaufen?
Was hat man sich dabei gedacht, wäre noch so eine weitere Frage. Wie man beim Ansehen von "Lucy" darauf kommt, ist aber die noch interessantere. Denn anfangs denkt man tatsächlich noch, einen spannenden und viel versprechenden Film zu schauen. Das Intro ist ansprechend aufgemacht und dennoch einfach gehalten, danach wird man praktisch direkt und unvermittelt ins Geschehen geschmissen. Ein kurzer Dialog, eine schnelle Exposition, eine junge Frau, die urplötzlich in gefährlicher Lage eine Handvoll Mafiosi um sich hat. Scarlett Johansson, bekannt unter anderem aus "The Island - Die Insel" oder "Marvels Iron Man 2" ist als Hauptdarstellerin immer eine gute Wahl, kann sie doch beinahe jede Emotion glaubhaft verkörpern. Das alles ist aber nicht mehr von Nöten, wenn nach zwanzig Minuten die Exposition endet und die eigentliche Handlung über die Super-Drogen beginnen, die aus der Studentin Lucy ein übermenschliches Wesen machen. Denn dort gibt es keine Emotionen mehr, die Johansson verkörpern kann. Und es gibt auch keinen wirklichen Charakter, den sie mehr spielen müsse. Dass man sich daher weder für sie noch ihre Rolle interessiert, ist wohl kaum ihre Schuld. Dass man diesen gelungenen Anfang nämlich auf das folgende Niveau stürzte, verantwortet ein ganz anderer.
Und um es mal deutlich zu sagen: Was Luc Besson uns als Zuschauern in den 89 Minuten dieses Filmes auftischt, ist eine Frechheit. Man weiß auch gar nicht, wo genau man anfangen soll, denn man muss sich einmal klar machen: nichts, was in diesen Anderthalb Stunden passiert, ergibt auch nur den geringsten Sinn. Besson etabliert allein mit seinem Konzept eine Protagonistin, die zu allem im Stande ist und muss dementsprechend vor jeder Actionszene die albernste Begründung aus dem Hut ziehen, um die in Anbetracht der Fähigkeiten von Lucy völlig überflüssigen Gefechte irgendwie zu rechtfertigen. In den ersten Minuten bekommen wir einen Mafiaring aufgezeigt, der dann später die Jägerposition einnimmt, ohne, dass wir je verstehen, worum es ihnen geht, wie sie organisiert sind, warum sie so handeln, wie sie es tun. Später, wenn es in Richtung Finale geht, wird es dann zunehmend sinnfreier. Lucy mordet in der einen Sekunde kaltblütig und emotionslos, um im nächsten Moment wieder ein emotionales Wesen zu werden, lässt manchmal Männer einfach schweben und muss sich im nächsten Moment mühsam durch den Pariser Gegenverkehr lenken. Die Actioneinstreuungen könnten wenigstens ganz nett sein, doch setzt Besson erstens zu oft auf CGI und zweitens liegt über jeder potenziell spannenden Situation einfach die Tatsache, dass Lucy als göttliche Figur ohnehin keinen Schaden nehmen kann. Zusätzlich wirken Kameraführung und Schnitt derartig unbeholfen, dass einige Aufnahmen doch stark nach Amateurhandwerk aussehen.
Ist das Lucys Problem? Nein. Inhaltsleere Filme gibt es wie Sand am Meer. Sie vermögen vielleicht zu langweilen und lassen einen als Betrachter kalt, doch "Lucy" geht eine Ebene weiter. Denn Besson verärgert hier sein Publikum mit einer Form der Selbstverliebtheit, die ein aufdringliches Gefühl der Abneigung hinterlässt. Sich selbst scheint er für den größten Künstler zu halten, wenn er seinen Film laufend mit Parallelmontagen versieht, beispielsweise analog zur weglaufenden Lucy einen Gepard zeigt, der sich eine Antilope reißt. Was die Regie für ästhetisches Kino hält, entpuppt sich aber in Wahrheit nur als ein simples Jäger-Motiv, das sich laufend wiederholt. Übel auch, wie Besson auf billigste Art und Weise das bisschen Dialog-Gestammel, welches die Produzenten mit einem Drehbuch verwechselten, durch philosophische Fragestellungen à la "Matrix" anreichern will und dabei bereits in den kurzen Momenten die pure Idiotie seiner Handlung offen legt. Ein letzter Aufreger ist dann nur noch das blödsinnige Finale. Während man die Handlung selbst nicht mehr verstehen kann und Morgan Freemans Figur dem Publikum nebenbei die Abläufe erklären muss (ohne Begründung, woher sein Wissen eigentlich kommt), dreht Besson die Zeit zurück, spielt sie vorwärts ab, hält sie an, lässt Menschenfrau Lucy auf Affenfrau Lucy (das erste "menschliche" Wesen) treffen, zeigt in wirren Abfolgen Teile des Universums und verquaste metaphysische Elemente, die Eric Serra mit einem lärmend-unharmonischen Soundtrack so zukleistert, dass man mit einem Gefühl der Leere und der Wut den Kinosaal verlässt.
Fazit: Wäre "Lucy" einfach nur ein langweiliger Film, man wäre geneigt, bei einer wenigstens handwerklich ansprechenden Leistung gnädig zu urteilen. Doch Luc Besson hielt sich hier wohl für einen der größten Ästheten des Kinos und wollte etwas denkwürdig Neues schaffen. Enden tut er bei einem Werk, das inhaltlich himmelschreiend dämlich ist und optisch zwar große Bilder liefert, diese aber durch einen total überflüssigen Pseudo-Anspruch als etwas verkauft, was sie nicht sind. "Lucy" ist dämlich, unfreiwillig komisch und erweckt gleichzeitig mit den sinnfreien Philosophie-Bezügen und der abschließenden Moral das Gefühl, sein Publikum für dumm zu erklären, obwohl selbst der anspruchsloseste Zuschauer sich nicht von diesem puren gar nichts an allem wird blenden lassen können. Pfui!
2/10
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Let the sheep out, kid.