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von AnatolGogol
Agent
Gravity (2013) – Alfonso Cuaron
Gravity ist einer der wenigen Filme, auf die der Begriff „Kino-Erlebnis“ dann mal wirklich zutrifft. Unter nahezu maximaler Ausnutzung aller zur Verfügung stehender Technik gelingt es Regisseur Cuaron hier tatsächlich den Zuschauer nicht nur in die Handlung eintauchen zu lassen, sondern mehr noch ihm das Gefühl der Schwerelosigkeit zu vermitteln und ihn dadurch quasi mit den Protagonisten des Films gleichzustellen. Ich bin wahrlich kein großer Freund von 3D, ehrlich gesagt halte ich es für überflüssig und nach dem was ich zuvor gesehen hatte auch technisch nicht wirklich ausgereift. Der 3D-Effekt sah einfach nicht realistisch aus – eher wie hintereinander gestaffelte 2D-Ebenen als wie echte Dreidimensionalität – und wirkte sich dadurch kontraproduktiv auf die Filme aus, da das Gesamtpaket nicht natürlich aussah. Gravity ist diesbezüglich dann schon ein echter Augenöffner, da sich 3D hier über weite Strecken sehr natürlich anfühlt und sich nur selten unangenehm abhebt (interessanterweise zumeist genau dann, wenn der Film doch die ein oder andere typische 3D-Effekthascherei betreibt wie wenn zB eine Schraube direkt auf den Zuschauerraum zu schwebt). Gerade bei den Szenen direkt im Weltall funktioniert der 3D-Effekt hervorragend, nicht zuletzt durch den sehr dunklen Hintergrund des Weltalls wodurch die Begrenzung der Leinwand praktisch aufgehoben wird und sich der Weltall in den Publikumsraum hinein erweitert. Das Erleben der filmischen Schwerelosigkeit jedoch allein auf die gelungene Dreidimensionalität zu beschränken würde dem Film nicht gerecht, da Stilmittel wie effiziente Ausnutzung des Scopeformats, Bildgestaltung, Toneffekte, Kamerawinkel und Schwenks (real oder per CGI) ebenfalls einen wichtigen Anteil am Gesamteffekt haben. Wenn beispielsweise die Kamera nahtlos von einer Totalen im Weltall ins Innere eines Helms schwenkt und die Perspektive der Astronautin einnimmt ist das nicht nur beeindruckend, sondern durch das Zusammenspiel der unterschiedlichen Techniken geradezu „gefühlsecht“. Von daher hat sich der Film die zahlreichen Oscarprämierungen in den technischen Kategorien mehr als verdient, da Gravity auf diesem Gebiet genauso eine innovative Vorreiterrolle einnimmt wie 2001 oder Star Wars.
Dass der Film über dieses tolle audiovisuelle Erlebnis hinaus auch noch mit guten Charakteren und einer packenden Inszenierung punkten kann macht das Gesamtpaket dann endgültig rund. Obwohl die eigentliche Handlung des Filmes ja sehr dünn ist und in anderen Filmen vermutlich in maximal einer Viertelstunde an Actionszenen abgehandelt worden wäre lässt Cuaron durch seine jederzeit spannende und vor allem dynamische Inszenierung nie auch nur den Hauch einer Länge aufkommen. Rasante, erlebnisreiche Actionszenen wechseln sich mit ruhigen, langsamen Momenten ab was den Film ungemein abwechslungsreich macht. Die Handlung des Films über die verzweifelten Rettungsversuche zweier von der Aussenwelt abgeschnittener Personen ähnelt stark der Schiffbruchparabel All is lost mit Robert Redford und genau wie in jener nimmt auch Gravity Bezug auf das Thema „Loslassen“. Gravity ist jedoch im Gegensatz zu seinem maritimen Pendant mindestens genauso sehr daran interessiert was mit den handelnden Figuren passiert und nicht in erster Linie was in ihnen passiert, wodurch der Film auch weniger Charakterstudie als mehr ein Actionabenteuer mit etwas Figurentiefgang ist. Wobei das kein Kritikpunkt ist, da trotz der zu Beginn etwas unbeholfen integrierten Geschichte um die tote Tochter der Astronautin auch dieser Subplot funktioniert – nicht zuletzt durch Cuarons Regie (das „Comeback“ von Clooney ist dramaturgisch toll). Was die beiden Charaktere angeht, so sind diese interessant genug, um den Film auch mühelos ohne weitere Nebendarsteller auskommen zu lassen. Die Besetzung dieser Rollen durch charismatische Stars war ein kluger Schachzug, da durch die allseits bekannten Screenpersonas der Stars eine echte Rolleneinführung praktisch überflüssig ist. Clooney spielt seine Rolle mit dem ihm üblichen Charme und sorgt durch seine launige Dauerplauderei für das ein oder andere Schmunzeln. Gleichzeitig nimmt man ihm aber auch den coolen und jederzeit einen kühlen Kopf bewahrenden Weltraumprofi absolut ab. Bullocks Rolle ist nicht nur präsenter sondern auch abwechslungsreicher, da ihre Figur zwischen vielen verschiedenen Gefühlszuständen hin- und herwechselt, welche von Bullock überzeugend dargeboten werden. Vermutlich liefert sie hier tatsächlich die beste Darstellung ihrer Karriere.
Unterm Strich ist Gravity ein großartiges audiovisuelles Erlebnis, welches sein Publikum maximal einbezieht und dadurch zeigt, was heutzutage wirklich möglich ist wenn Technik und Stilmittel sinnvoll und effektiv eingesetzt werden. Durch die spannende Inszenierung und gut gespielten Charaktere funktioniert der Film aber auch jenseits des reinen Erlebens der Schauwerte, was ihn in Summe dann auch erst zu einem sehr guten Film macht, der sich in meinen Augen innerhalb des Kinojahres 2013 lediglich Ron Howards Rush minimal geschlagen geben muss.
Wertung: 9 / 10
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"