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von AnatolGogol
Agent
Skyfall (2012) – Sam Mendes
Ich war erstaunt. Merkwürdige Art und Weise den Versuch einer Filmkritik zu beginnen, aber in der Tat war Erstaunen das was bei meiner Erstsichtung von Skyfall am meisten hängen blieb. Erstaunt hat mich zunächst dass Mendes tatsächlich ein komplett eigener und neuer Ansatz für einen Bondfilm gelungen ist. Die in den letzten Wochen und Monaten häufig gebrauchte Präambel, dass es sich bei Skyfall um „eine Rückkehr zu den alten Bondabenteuern“ handle wird dem Film nicht wirklich gerecht, da er dafür viel zu sehr eigene Wege beschreitet. Der Film stellt die Charaktere und ihre Hintergründe ins Zentrum und verzichtet dabei weitgehend auf eine Rahmenhandlung im Stile eines bondtypischen Bedrohungsszenario. Zwar wird auch hier durch den Angriff auf den MI6 ein Szenario eingeführt, dieses entpuppt sich aber sehr schnell als stellvertretende Einführung für das eigentliche Kernthema, das Verhältnis Bardem-Dench. Überraschend fand ich auch die generelle Storyentwicklung, die irgendwie so gar nicht der klassischen „Missions“-Formel folgen will. Dazu passt auch das Mosaiksteinchen, dass der Zuschauer lange Zeit im Unklaren über die eigentlichen Hintergründe gelassen wird. Da ist die Rede von einer Festplatte, einer ominösen Liste, verbündete Agenten bleiben namenlos (für den geneigten Bondkenner natürlich ein deutlicher Zaunpfahlwink auf den Schlussgag). Der Film punktet gleichzeitig aber auch konsequent in der fast schon liebevollen Reanimierung jahrzehntelanger Klischees und Figuren, die in den beiden vorangegangenen Serienbeiträgen zu kurz kamen. Damit gelingt der Brückenschlag zu den „alten Bond-Abenteuern“ und die bereits erwähnte Präambel hat so zumindest teilweise ihre Berechtigung.
Optisch ist der Film ein Leckerbissen, Deakins Kameraarbeit ist großartig. Skyfall kann sich berechtigterweise auf die Fahne schreiben, dass es kaum einen Bondfilm gab der jemals so pittoresk und spektakulär in Szene gesetzt wurde. Sei es nun der atemberaubende Kampf auf der Eisenbahn, die geradezu surreal wirkenden Kampfszenen auf dem Shanghaier Hochhaus oder die alptraumhaften Szenen in den Highlands: um es mit Old Rogs legendären Worten zu sagen: „ein Fest für meine Augen“. Angesichts dieser Qualitäten verzeiht man es dem Film auch gerne wenn er hin und wieder etwas zu sehr in seiner Bildsprache schwelgt (die Art und Weise wie der DB5 vor dem Bondschen Haus festgehalten wurde hatte fast schon etwas von Ikonenverehrung).
Darstellerisch ist der Film fast ausnahmslos gelungen. Craigs Interpretation der Bondrolle gefiel mir diesmal erheblich besser, da weit weniger „rustikal“. Der Skyfall-Bond ist augenzwinkernder und in Summe geschliffener als der raue Soldat aus CR und QOS. Craigs – mit Verlaub – mittlerweile „verbrauchtes“ Äußeres trägt für mich ebenfalls viel zur positiven Wirkung bei, Craigs Bond nimmt man ohne Probleme eine langjährige Doppelnull-Karriere ab – ungeachtet der Tatsache, dass er ja eigentlich gerade mal anderthalb Kinomissionen auf dem Buckel hat und als Anfänger gestartet war. Hin und wieder fühlte ich mich in seiner Präsenz sogar ein bisschen an Steve McQueen erinnert - mehr Lob geht eigentlich nicht. Denchs Rolle ist erstmals richtig in der Handlung verankert und lässt ihre Darstellung dadurch auch besser und glaubwürdiger rüberkommen. Bardem trägt ordentlich dick auf als Obermotz, darf er aber auch, ist ja schliesslich ein Bondfilm. Seinen theatralischen Auftritten zuzuschauen macht jedenfalls Spass. Fiennes war für mich das eigentliche Highlight des Films und ich hätte ihn mir in noch mehr Szenen gewünscht. Ähnlich wie Carlyle in TWINE gelingt es aber auch ihm in vergleichsweise wenig Screentime enorm viel Wirkung aus seiner Figur rauszuholen. Auf ihn freue ich mich ganz besonders in den kommenden Filmen. Gleiches gilt für Naomie Harris, die gerade in ihren Szenen mit Craig voll überzeugt, die Chemie zwischen den beiden stimmt – was für ihre zukünftige Rolle gold wert sein sollte. Berenice Marlohe gefiel mir gut – und das nicht nur optisch sondern durchaus auch darstellerisch. Leider war ihre Rolle für meinen Geschmack erstens zu kurz und zweitens nicht gut im Drehbuch verankert. Man hatte das Gefühl, dass ihre Rolle wie ein Lichtschalter an und ausgeschaltet worden ist. Whishaws Auftritt war deutlich schmerzfreier als ich es befürchtet hatte, auch hier ist es gelungen eine arrivierte Figur gekonnt neu zu interpretieren. Enttäuscht war ich eigentlich nur von Finneys Auftritt. Einen so herausragenden Schauspieler als Pausenclown zu besetzen empfand ich deplaziert. Die Rolle gab ihm jedenfalls nicht wirklich Gelegenheit mehr rauszuholen als diverse Schenkelklopfer fürs Publikum. Schade drum. Angesichts seiner Rolle und des Showdown an sich kann man sich jedenfalls schon berechtigterweise fragen, ob die Herren Schreiberlinge etwas zu viel Hard Target konsumiert haben.
Mir hat der Film über weite Strecken viel Spass gemacht, nicht zuletzt da ich mich permanent bei der Frage was denn wohl als nächstes passiert ertappte - so etwas bei einem Bondfilm ist schon erstaunlich. Leider konnte der Film aber das hohe Niveau der ersten 90 Minuten im letzten Drittel nicht halten. Bis zur Inhaftierung von Silva und mit Abstrichen auch noch während seiner Flucht hätte ich dem Film bedenkenlos 8 Punkte gegeben. Der Showdown in den Highlands war für mich dann aber angesichts der erfreulichen und erstaunlichen Qualität der ersten beiden Filmdrittel ob seiner Austauschbarkeit eine um so herbere Enttäuschung. Ob ein heruntergekommenes schottisches Gemäuer nun der richtige Platz für einen großen Showdown ist, darüber kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Viel schwerwiegender war für mich aber die Inszenierung des Showdowns, den man so oder ganz ähnlich schon in dutzenden von Filmen gesehen hat – frei nach dem Motto: kleine, schlecht bewaffnete Gruppe verbarrikadiert sich und wird von einer ganzen Armee angegriffen. Entsprechend war was folgte auch nur das übliche, oft gesehene Dauergeballere mit McGyver-Touch. Das war mir zu wenig, zu lang und zu schwach inszeniert. Der ganze Showdown inklusive des pseudodramatischen Höhepunkts zwischen Bardem und Dench enttäuschte mich. Hier machte sich für mich dann auch erstmals die doch recht dünne Grundstory negativ bemerkbar, die zuvor durch Mendes Inszenierung, Deakins Bilderflut und die gut aufgelegten Darsteller perfekt abgefedert wurde. Irrer Ex-Agent mit Mutterkomplex auf Rachekurs als negatives Spiegelbild zu Old Jimbo – ein bisschen mehr und auch glaubwürdiger hätte es für meinen Geschmack schon sein können. Mir war das auch zu bedeutungsschwanger, gerade in Kombination mit Bonds Geburtshaus, dem Tod von M, seiner „Wiedergeburt“ etc. – da hat man doch sehr tief in die Hobbypsychologiekiste gegriffen – mal wieder. Aber angesichts des schwach geschriebenen und inszenierten Schlussdrittels sind das eher Kleinigkeiten. Versöhnlich stimmte mich dann das Finale mit der Einführung von Moneypenny und M samt klassischer Büroeinrichtung, bei der eine gewisse – rational nicht begründbare - Vorfreude auf kommende Abenteuer „im alten Stil“ aufkam.
Fazit: Mendes gelang tatsächlich das Kunststück der Bondserie ganz neue Seiten abzugewinnen, sein Film entfernt sich in seiner Herangehensweise für mich teilweise sogar noch weiter von den „klassischen Filmen“ wie die beiden direkten Vorgänger. Über weite Strecken war es ein Genuss dieser Neuinterpretation zuzusehen – selbst für einen bekennende Fan der „alten Filme“, der diese schwer vermisst. Leider kann der Film die hohe Qualität der ersten 90 Minuten im Schlussdrittel nicht halten und verliert durch den schwachen Showdown viel seiner zuvor aufgebauten Wirkung. Für ein endgültiges Fazit ist es nach einer einmaligen Sichtung sicher noch zu früh, aber generell kann ich jetzt schon festhalten, dass der Film aufgrund seiner „Abschlussschwäche“ (man beachte den Kalauer in Bezug auf Bonds „Wackelarm“) für mich – leider – im Endeffekt hinter seinem Potenzial zurückbleibt.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"