In der Independent-Kinoszene wird er verehrt, bis zum Mainstream-Erfolg hat er es nie geschafft und vielleicht auch nie gewollt: Jim Jarmusch ist das gute Gewissen der US-Filmkunst, aber auch der coole, schräge Cousin aus Hollywood. Geboren als Sohn einer Filmkritikerin assistierte er in seinen Anfängen Nicholas Ray, ehe er es mit "Permanent Vacation" im Jahr 1980 selbst als Filmemacher probierte. Vom eher verhaltenen Interesse an seinem ersten Werk, der zugleich sein Abschlussfilm an der Tisch School of the Arts der New York University gewesen ist, ließ er sich nicht abbringen: Gleich sein zweiter Streich "Stranger Than Paradise", erst ein Kurzfilm, dann in Langversion, ließ ihn zum Festivalliebling avancieren. 1986 schaffte er es endgültig zu einem Mann, der mit erfreulicher Regelmäßigkeit Kult produziert: In "Down by Law" versammelte er Roberto Benigni, John Lurie und Tom Waits vor der Kamera. Der Titel, eine Anspielung auf eine Redewendung aus Jazz-Kreisen, war Programm: Seine Filme sind Anthologien, Kompilationen, Konzeptalben. Swing, Jazz und Groove ist ihnen gemein, doch Selbstzweck und Exzentrik sind seinem Lebenswerk fern. Schon diese drei Anfangsfilme offenbarten seine kulturpessismistische Sicht auf die Vereinigten Staaten auf Amerika.
In seinen oft anti-szenisch angelegten Aufeinandertreffen unterschiedlichster Charaktere interessiert er sich für die Momente, die in Filmen sonst nie zu sehen sind: Gespräche über Alltägliches, Wartereien auf Verspätete, kurze Augenblicke der allgegenwärtigen Verzweiflung. Durch die Genre spielt er sich dabei virtuos: "Dead Man", womöglich sein bekanntester Film, war 1995 mit Johnny Depp in der Hauptrolle als Anti-Western konzipiert, als böse Kritik am vorzivilisatorischen Amerika – und an der Glorifizierung der Frontier-Mythen in der Institution des Kinos. "Night on Earth" ist hingegen nicht mehr als ein Episodenfilm, über eine Reihe von Begegnungen in einem New Yorker Taxi. Dasselbe Spiel wiederholte er mit "Coffee & Cigarettes", hier diskutierten in kurzen Passagen unterschiedliche Promies beim Trinken und Rauchen. Der Film erschien 2003, die erste der 11 Episoden wurde schon 1986 gedreht. Eine weitere Passage des Films brachte ihm 1993 die Goldene Palme für den Besten Kurzfilm in Cannes.
Der bekennende Stooges-Fan liebt die Außenseiter, die Introvertierten, die Nicht-Helden. 2019 wagte er sich mit "The Dead Don't Die" in die Welt des Zombiefilms, nur um auch dort dieselbe rotzige Attitüde walten zu lassen, die sein Werk stets bestimmte. Als Protagonisten wählte er keine coolen Überlebenskämpfer, sondern verschlafene Kleinstadt-Polizisten, die lieber Kaffee trinken und im Streifenwagen philosophieren als Untote zu bekämpfen. Einer der typischsten Jarmusch-Helden findet sich in "Paterson": Adam Driver verkörperte 2016 die Titelfigur, einen etwas dröge scheinen Busfahrer, der in Wahrheit ein verkannter Poet ist. Verkannt ist Jarmusch nicht, seinen lyrischen, auf stille Weise frechen Stil erkennt man sofort. Und doch ist Jarmusch immer auch ein kleines Rätsel geblieben, für seine Fans wie für seine Kritiker. Er ist zweifelsohne längst kein Außenseiter mehr wie seine Helden, sondern ein Star der Indieszene. Seine wilde Frisur ist jedem Filmfan ein Begriff, bei Festivals ist er ein gern gesehener, regelmäßiger Gast. Auf Umwege schaffte er es sogar zu einem bei Cartoon-Fans besonders kultigen Gastauftritt in der Serie "SpongeBob Schwammkopf". An seiner Art und seiner Kunst hat sich aber trotz des Star-Status nie etwas geändert.
Die Filmografie des Jim Jarmusch:
1980: Permanent Vacation
1984: Stranger than Paradise
1986: Down by Law
1989: Mystery Train
1991: Night on Earth
1995: Dead Man
1997: Year of the Horse
1999: Ghost Dog – Der Weg des Samurai
2002: Ten Minutes Older: The Trumpet (Episode: Trailer Night)
2003: Coffee and Cigarettes
2005: Broken Flowers
2009: The Limits of Control
2013: Only Lovers Left Alive
2016: Paterson
2016: Gimme Danger
2019: The Dead Don’t Die
Jim Jarmusch – Die aufrechte Frisur des Indie-Kinos
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Let the sheep out, kid.
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