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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Layer Cake
Ein guter Titel wird im Laufe der erzählten Geschichte zum Programm: "Layer Cake", das britische Regiedebüt Matthew Vaughns aus dem Jahre 2004, ist ein eben solcher Fall. Der düstere Thriller im Rauschgiftmilieu thematisiert nicht nur die sozialen, psychologischen und gesellschaftlichen Schichten innerhalb der Drogenszene, sondern ist selbst als wohlig schmeckender Layer Cake aufgebaut: Vaughn erzählt gegen alle Konventionen und ohne klare zeitliche Chronologie, baut ständig Rückblenden, Foreshadowing oder lange Hintergrunderzählungen ein und jongliert mit unzähligen Nebenhandlungen und Randfiguren, sprich tut alles, um es dem Zuschauer auf keinen Fall leicht zu machen. Wem dies nicht zu anstrengend ist, wer Spaß an ungewöhnlichen Erzählweisen hat und die nötige Geduld mitbringt, sich langsam seinen Weg durch die vielen Schichten zu graben, wird am Ende nicht nur stolz, sondern auch mit aufrechter Begeisterung den Abspann genießen. Doch fangen wir vorne an.
"Layer Cake" ist kein einfacher Film. An einer Stelle wagt er selbst sogar doch glatt den Vergleich mit Goethes "Faust" ("No wonder it took him 60 years to write it"). Selbstüberschätzung eines jungen Newcomer-Regisseurs? Vielleicht, doch wohl eher eine schöne Metapher für den namenlosen Protagonisten, dessen Hybris ihn immer tiefer in den Abgrund der britischen Unterwelt führt. Durch seine zunehmende Verzweifelung und bröckelnde Selbstsicherheit, die von Hauptdarsteller Daniel Craig bravorös umgesetzt wird, zeigt Vaughn anhand dieses Einzelschicksals, wie das Leben als Mitglied einer endlosen Kette an Verstrickungen in der Welt von Londons Abschaum die Menschlichkeit operativ aus den Seelen der Akteure saugt. So wird der Film selbst zum Spiegelbild dieser Entwicklung: Während anfangs elegante Stilmittel (insbesondere bei den Szenenübergängen) und einfallsreiche amüsante visuelle Spielereien die Inszenierung dominieren und die Kameraführung beinahe leichtfüßig erscheint, gestaltet sich der Bildaufbau später deutlich ruppiger, die Cuts werden härter, die Stimmungswechsel krasser und der Ton immer düsterer, schwarzhumoriger, was im Mittelteil in einen der stilisiertesten Mordversuche der Filmgeschichte gipfelt, bitterböse unterlegt mit Duran Durans Ordinary World. Die atmosphärische Gestaltung des Sumpfes aus Mord, Hass, Drogen und Verrat gelingt Vaughn wahrlich ausgezeichnet.
Vaughns Inszenierung und die Atmosphäre, die er aufbaut, sind dann auch (neben Craigs menschelndem Schauspiel) der eigentliche Inhalt der Erzählung. Und das zurecht, Vaughn beweist eine für ein Regiedebüt unglaubliche Versiertheit in nahezu allen möglichen Kniffen und Tricks, die den Zuschauer fesseln sollen. Vom Off-Kommentator über unzuverlässige Erzählungen bis hin zu ganzen absichtlichen chronologischen Verschiebungen oder gar Auslassungen ist alles vertreten, was so aufzubieten wäre, im letzten Drittel wird sogar eine kleine Verfolgungsjagd eingeschoben, die auf dem Papier nicht mehr als ein simples Hintereinanderlaufen wäre, durch Vaughns packende Inszenierung und den stimmigen Score aber echten Nervenkitzel heraus beschwört. Die Geschichte hingegen ist dafür erschreckend einfach und kommt ohne großen doppelten Boden oder einen besonders bemerkenswerten Twist daher, in Wahrheit ist es wohl eher so, dass die ganz großen Aha-Momente eigentlich zum Genrestandard zählen und bereits in vielen anderen Filmen zu sehen waren - wenngleich dafür noch nie so stilecht, stylisch und kompakt vereint. Wie erwähnt: Die Atmosphäre steht eben deutlich mehr im Vordergrund und besonders die Musikauswahl (unter anderem Joe Cocker, The Rolling Stones oder The Cult), die nicht selten auch mal kontraperspektivisch fast schon provozierend die Ohren des Zuschauers erreicht, trägt erheblich dazu bei, dass man Teil eines Geschäfts wird, aus dem es (wie XXXX noch schmerzlich erfahren wird) kein Entkommen gibt.
Auch wenn die Fokussierung des Filmes komplett auf Craigs Charakter liegt, so gibt es dennoch eine beträchtige Anzahl an Nebenfiguren, deren Besetzung durchweg souverän auftritt. Colm Meaney (in einer sehr ungewöhnlichen Typ-Besetzung), Jamie Foreman, Kenneth Graham, George Harris oder der starke Michael Gambon können in ihren jeweiligen Parts überzeugend agieren, während Sienna Miller, Ben Whishaw und Tom Hardy dafür in winzigen und insgesamt kaum relevanten Rollen ein wenig überflüssig verschenkt erscheinen - dass einer von ihnen in der letzten Szene durch einen finalen Twist aufgewertet werden soll, verstärkt diesen Eindruck sogar etwas ungünstig. Ein wenig könnte es dem ein oder anderen "Layer Cake" in den entscheidenden Stellen an Konsequenz mangeln, dies macht das starke auf einer Romanvorlage basierende Script dafür durch wunderschöne Dialogzeilen wieder wett, von denen einige Kult-verdächtig sein dürften und dennoch stets vom Ton her passend für das jeweilige Umfeld der Charaktere erscheinen. Ein letzter Kommentar gebührt der Härte und Gewaltdarstellung, die überraschend dezent und pointiert erscheint und erfreulichermaßen den jeweiligen Moment unterstützt, statt ihn allzu abgedroschen zu beherrschen. Dramaturgisch beweist Vaughns Debütpräsentation damit eine nicht unerhebliche Weitsicht und clever-effiziente Treffsicherheit, die zwar nicht unbedingt das Rad neu erfinden kann, aber die bekannten Inszenierungsarten und inhaltlichen Versatzstücke gelungen zu etwas eigenständigem zu kombinieren weiß.
Fazit: Erstlingswerk, Genreperle und Geheimtipp zugleich! Das Drama in "Layer Cake" wird erstaunlich oft als das betont, was es nun einmal in der Tat auch ist: Keine abgedroschene Studie über die Perspektivlosigkeit der unteren Mittelschicht des jungen vereinigten Königreichs im 21. Jahrhundert, kein zufälliger chaostheoretischer Unglücksprozess einer Horde Fausts, die ihrem Mephisto erliegen (müssen), sondern eine Geschichte über lebendige Menschen und ihre Schwächen und Verfehlungen. Von Sündern oder einfach schlicht Gangstern zu reden, wäre hier zu einfach gedacht, es gibt kein schwarz oder weiß in der Welt von "Layer Cake", die eben deshalb unserer trotz aller Stilisierungen sehr ähnlich erscheint. Toll besetzt und aufregend frech gegen alle Regeln inszeniert ist die spritzige Musikuntermalung die Kirsche auf dem Sahnekuchen, der "Layer Cake" ohne wenn und aber ist, weshalb es doch sehr passend ist, dass dieser Titel für Vaughns Werk gewählt wurde. "Layer Cake" zu genießen ist tatsächlich wie einen Kuchen zu verspeißen: Mit jeder Schicht noch ansprechender.
8/10
https://filmduelle.de/
Let the sheep out, kid.