Re: Disney-Thread: Zeichentrick und Animation

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Samedi hat geschrieben: 5. Dezember 2019 16:30 Hier der neue Mulan-Trailer:



Vielleicht kommt da ja auch Dr. No drin vor. Spielt ja in Asien. ;-)
Ich will kein Spielverderber sein, und wahrscheinlich wurde es schon diskutiert.

Aber ist dieser Thread jetzt auch für nicht-animierte Filme gedacht?
Dann können wir ja auch über Sean Connerys "Darby O'Gill and the Little People" (1959) diskutieren.

zu "Mulan": das war für mich immer einer der besten 90er-Jahre-Klassiker. Und der neue Trailer macht Lust auf den Film.
Mal sehen wie sehr er unter der politischen Einstellung der Hauptdarstellerin (finanziell) leiden wird.

Re: Disney-Thread: Zeichentrick und Animation

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iHaveCNit: Ralph Reichts 2: Chaos im Netz (2019)
nachgeholt im Heimkino 25.12.2019


Als eine von vielen durchaus sehr kreativen Ideen von Walt Disney hat man im Jahre 2012 das Innenleben von Retro-Arcade-Games zum Leben erweckt und in „Ralph Reichts“ ein quietschbuntes Abenteuer mit viel Nostalgie, bekannten und auch unbekannten Charakteren und dem Herz am rechten Fleck geschaffen. Nun habe ich mir gedacht, so als vorletzten Film aus der Kategorie „Animationsfilme 2019“ mir die Fortsetzung „Ralph Reichts 2: Chaos im Netz“ anzusehen, der ähnlich viel Spaß macht wie sein Vorgänger und ganz interessante Ideen bietet.

Einige Zeit, nachdem Ralph und Vanellope die Welt ihrer Spielhalle gerettet haben, ist diesmal Vanellopes Reich im Spiel „Sugar Rush“ in Gefahr, weil das Lenkrad des Automaten zerbrochen ist. Bevor der Automat auf das Abstellgleis kommt, machen sich die beiden auf eine Reise in das Internet, da dort das Ersatzteil zu finden ist. Chaos natürlich inklusive.

Wie immer bei Animationsfilmen und deren Fortsetzungen ist natürlich die Entwicklung der Animationen mal wieder großartig geworden. Mal ganz abseits des quietschbunten, spannenden und witzigen Abenteuers hat mir das persönliche Drama zwischen Ralph und Vanellope sowie die persönlichen Herausforderungen und die Entwicklungen für Beide sehr gut gefallen. Doch auch darüber hinaus hat der Film dann doch noch 2 ganz interessante Ideen, die auch als Meta-Kommentar funktionieren können und die Frage natürlich gestattet ist, ob kleine Kinder bereits so mündig sein können, sich anhand hier gezeigter Themen etwas bewusster damit auseinanderzusetzen. Die Idee, dass sich Disney mit seinem ganz großen eigenen Netzwerk auch ein wenig selbstreferenziell auf die Schippe nimmt führt zu der ein oder anderen witzigen Sequenz. Und die visuelle Aufbereitung des Internets und den großen Firmen im Netz sowie natürlich dem gesellschaftlichen Verhalten im Internet ist auch großartig gelungen. Kritischer Kommentar natürlich inklusive. Und dann steht für mich die Frage im Raume, ob das leichte Autoballett mit Gesangseinlage in der Welt des „Slaughter Races“ auch eine kleine Referenz an einen meiner Lieblingsfilme aus 2017 „La La Land“ sein soll ? Denn dann ist denen das auch in gewisser Art und Weise gut gelungen.

„Ralph Reichts 2: Chaos im Netz“ - My First Look – 9/10 Punkte
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Re: Disney-Thread: Zeichentrick und Animation

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iHaveCNit: Onward (2020)
05.03.2020


Hin und wieder habe ich dann auch mal Lust auf einen Animationsfilm und da kam mir der neue Film aus dem Hause Disney und Pixar gerade recht. „Onward“ heißt er und ist jetzt nicht großartig groß beworben worden wie so manch anderer Animationsfilm. Doch manchmal muss das nicht unbedingt etwas heißen – wie im Falle von „Onward“, der ein relativ routiniertes und unterhaltsames Fantasy-Abenteuer bietet, das sich sogar von privaten Begebenheiten des Regisseurs Dan Scanlon hat inspirieren lassen.

Die Welt um New Mushroomtown hat sich sehr verändert. Einst war die Welt von Magie und Fabelwesen umgeben, doch mit fortschreitender Industrialisierung und Digitalisierung ist die Magie aus dieser Welt gewichen. In dieser Welt wächst der schüchterne Elf Ian Lightfoot auf. Ian sucht seinen Platz im Leben und auch seinen verstorbenen Vater hat er nie richtig kennengelernt. An seinem 16. Geburtstag jedoch überrascht seine Mutter ihn und seinen Bruder Barley mit einem besonderen Geschenk ihres Vaters. Mithilfe eines Zaubers kann dieser einmalig für 24 Stunden zurück kommen, doch dabei geht einiges schief, so dass Ian und Barley gemeinsam auf einen abenteuerlichen Roadtrip gehen müssen und keine Zeit verlieren dürfen.

Auch wenn „Onward“ im Bereich der Animationstechnik nach heutigen Maßstäben keine Bäume ausreißen wird, so hat mir das Design des Films trotz allem sehr gut gefallen. Die Grundidee des Films finde ich sehr interessant, gerade weil hier auch uns als Gesellschaft im gewissen Rahmen der Spiegel vorgehalten wird, vor allem was Bequemlichkeit und Verrohung angeht. Aber gerade das Gefühl der faszinierenden magischen Welt, in der wir uns hier befinden kommt dadurch nur in Ansätzen auf. Sie wirkt auch in gewisser Weise als Stichwortgeber für die Handlung der Geschichte des Films, die sehr routiniert als klassischer Roadmovie abläuft. Dieser Roadmovie wird darüber hinaus noch mit einem Fantasy-Abenteuer kombiniert und bietet auf dramaturgischer Ebene sowohl „Coming-Of-Age“ als auch eine Vater-Sohn sowie eine Bruder-Bruder-Beziehung, die in den richtigen und wichtigen Momenten auch durchaus zu Tränen rühren kann. Mich hat der Film emotional bekommen, weil ich mich durchaus auch mit den beiden Brüdern identifizieren konnte. Somit hat der Film quasi alle notwendigen Emotionen bedienen können und darüber hinaus war er auch sehr unterhaltsam und empfehlenswert.

„Onward“ - My First Look – 8/10 Punkte.
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Re: Disney-Thread: Zeichentrick und Animation

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iHaveCNit: Soul (2020)
Heimkino (Veröffentlichung auf Disney+: 25.12.2020)
03.01.2021


Es ist aktuell traurig, dass wir nicht ins Kino gehen können und es ist traurig, dass infolge der aktuellen Situation auch einige Filme nie den Weg ins Kino finden werden, weil die involvierten Studios andere Wege der Veröffentlichung gehen. Einer der Filme, den ich noch im letzten Jahr auf meiner Liste fürs Kino hatte, aber nicht sehen konnte und nun auf Disney+ nachgeholt habe, ist das neue großartige Werk „Soul“ von Pixar und dem Regisseur Pete Docter, der bereits unter anderem „Alles Steht Kopf“ inszeniert hat.

Joe Gardner träumte sein ganzes Leben lang von einer Karriere als Jazzmusiker. Der begabte Pianist unterrichtet Musik an einer Schule und erhält sogar ein Angebot als Vollzeitlehrer für Musik angestellt zu werden. Doch er ist damit nicht glücklich. Durch glückliche Umstände bekommt er jedoch die Gelegenheit seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen als er eine berühmte Sängerin in deren Band bei einem Gig am gleichen Abend begleiten darf. Von dieser Gelegenheit überwältigt passt er einen Moment nicht auf und findet sich im Jenseits wieder. Mit seinem Schicksal möchte er sich jedoch nicht abfinden und gerät durch Zufall in die Ebene des Davorseits, indem junge Seelen ihre Charaktereigenschaften bekommen und auf die Erde entlassen werden. Er wird durch Zufall der rebellischen Seele 22 als Mentor zugeordnet und merkt, dass sein Weg auf die Erde zurück doch schwieriger ist als gedacht.

„Soul“ ist ein großartiger Film. Die Geschichte des Jazzmusikers Joe Gardner in einer Midlife-Crisis mag zwar keine passende Identifikationsfigur für junge Zuschauer sein, aber Animationsfilme auch aus dem Hause „Pixar“ müssen ja auch nicht zwangsläufig ausschließlich für Kinder konzipiert sein. Aber dafür funktioniert der großartig animierte Film mit Sequenzen in einem fast fotorealistischen New York und einer sehr abstrakt animierten Welt, die sowohl Jenseits als auch Davorseits darstellt. Dazu wechselt sich auch passend ein Jazz-Soundtrack mit einem abstrakten, elektronischen Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross ab. Die Geschichte ist sowohl emotional als auch durch einen interessanten Kniff im Mittelteil sehr humorvoll. Ich finde, dass der Film unglaublich viele Themen anreißt und damit unglaublich umfassend ist. Bei all den Themen wie Selbstfindung, Selbstverwirklichung, Charakter, Persönlichkeit, Sinn des Lebens, Eigen- und Fremdwahrnehmung finde ich sogar, dass der Film mit seiner Laufzeit von knapp 100 Minuten schon etwas kurz ist, um all diesen Themen die nötige Tiefe zu geben. Im direkten Vergleich wenn ich ein paar Filme aus der Vergangenheit von „Pixar“, die ähnliches verhandelt haben wie z.B. „Coco“ und „Alles Steht Kopf“ bleibt „Soul“ einen Funken zurück.

„Soul“ - My First Look – 9/10 Punkte.
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Lesestunde aus der Disney-Bibliothek

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Die Abenteuer von Ichabod und Taddäus Kröte

In der Filmwelt steht ein Wort alleine für märchenhafte Welten, für träumerische Geschichten und für Millionen von glänzenden Kinderaugen: Disney. Benannt nach ihrem Schöpfer, dem Trickfilm-Pionier Walt Disney, ist die Filmschmiede hinter Micky Maus eine feste Institution in Hollywood, aber auch in Kinderzimmern auf der ganzen Welt. Doch während der 1940er schien es fast, als sei das zu diesem Zeitpunkt erst knapp zwanzig Jahre junge Studio bereits am Ende. Im Zweiten Weltkrieg arbeiteten bis zu 700 Mitarbeiter der US-Flugabwehr in den Disney-Studios. Im staatlichen Interesse mussten die Filmemacher Propaganda-Cartoons entwickeln. Mit Trickfilmen à la „Bambi“ oder „Dumbo“ war im Kino kein Geld zu verdienen. Aufgrund des fehlenden Budgets griff man zu einer Notlösung: Mehrere gezeichnete Kurzfilme wurden zu abendfüllenden Spielfilmen zusammengeschnitten.

Diese sogenannten Anthologien sind im Disney-Kanon längst in Vergessenheit geraten. So sehr sie damals erfolgreich die Kosten des Unternehmens senkten, so schwach war oft auch ihre Qualität. Einen übergreifenden Handlungsbogen hatten die Cartoon-Collagen nicht, sodass sie eher als Kuriosität der Disney-Historie gelten. Doch auch in dieser unrühmlichen Epoche des Studios versteckt sich eine Perle: „Die Abenteuer von Ichabod und Taddäus Kröte“. Erschienen ist der 65-minütige Trickfilm im Jahr 1949, war damit der sechste und letzte der Anthologie-Filme. Erzählt werden in zwei Segmenten zwei Klassiker der Literaturgeschichte: „Das Erlebnis von Taddäus Kröte“ basiert auf dem britischen Kinderbuchklassiker „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame, während „Das Abenteuer von Ichabod und dem kopflosen Reiter“ den vielleicht ältesten Mythos der Vereinigten Staaten von Amerika verfilmt: „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“, eher bekannt als „Sleepy Hollow“, eine Kurzgeschichte des Schriftstellers Washington Irving.

Eine inhaltliche Klammer, ein übergeordnetes Thema, welches die zwei je halbstündigen Filme miteinander verbindet, gibt es streng genommen nicht. Wie bei den Anthologie-Vorgängern scheint auch hier die Zusammenstellung bloße Willkür zu sein. Ganz so einfach ist es jedoch kaum: Beide Hauptfiguren, sowohl Taddäus Kröte als auch Ichabod Crane, sind in letzter Konsequenz Besessene, und werden für ihre Ignoranz und Selbstgenügsamkeit bestraft. Außerdem sind beide Geschichten eine ungewöhnliche Wahl für einen Film der Marke Disney, welche heute vor allem für geschliffenes Entertainment für die ganze Familie bekannt ist. Denn beide Segmente erzählen im Kern erwachsene, durchaus auch düstere Geschichten, die trotz ihrer kindgerechten Aufmachung ihr Wesen nicht verleugnen.

Eröffnet wird der Film, bei dem die Zeichentrick-Künstler James Algar, Clyde Geronimi und Jack Kinney als Regisseure angegeben sind, von Realaufnahmen einer edlen Bibliothek. Aus dem Off ertönt im Originalton die Stimme des legendären Sherlock-Holmes-Darstellers Basil Rathbone. Er stellt die These auf, dass es sich bei einer Kröte um die wohl bemerkenswerteste Figur der britischen Literaturgeschichte handelt. Von hieran beginnt der erste Kurzfilm, der die Geschichte aus „Der Wind in den Weiden“ gekürzt, aber weitgehend originalgetreu adaptiert. Taddäus Kröte ist ein Adrenalin-Junkie, der sich mit den tollsten Reichtümern umgibt und jeder wilden Idee nachjagt – sehr zum Ärger seiner Freunde Meister Dachs, Ratte und Maulwurf Mauli. Als er zum ersten Mal ein Automobil erspäht, will er es unbedingt besitzen – und fällt auf eine fiese Betrüger-Bande herein, landet schlussendlich im Gefängnis.

Schon ein Jahrzehnt zuvor wollten die Macher „Der Wind in den Weiden“ verfilmen, und der Kurzfilm begeistert von Beginn an mit fantastischen Zeichnungen, deren detailreich gepinselte Figuren, Bewegungen und Hintergrunde eine beeindruckende Leistung ihrer Zeit sind. Die aufwendige Einführung der Taddäus-Figur präsentiert sich in einer Musical-Nummer, die zum Besten gehört, was das Medium Zeichentrick bis dato hervorbrachte. Zudem begeistert die Darstellung der Besessenheit ungemein: Als Taddäus die erste Begegnung mit einem Auto hinter sich hat, werden seine Augen zu farbigen Spiralen, er selbst macht wilde Motorengeräusche, hüpft auf der Straße auf und ab. Die Gesetze und Verhältnisse eines Cartoons sind das ideale Mittel, um die Romanvorlage in ihrer satirischen Deutlichkeit widerzugeben. Wie Grahame arbeitet auch der Film die Kritik am Konsumismus heraus, dem Taddäus Kröte manisch verfallen ist. Ohne Konsumgüter findet er in seinem Leben keine Erfüllung.

In der Charakterzeichnung ist „Das Erlebnis von Taddäus Kröte“ exzellent, und Liebhaber des Genres werden vor allem den spektakulären Schluss genießen. Da holt sich Taddäus, nun ein wenig geläutert, mit der Hilfe seiner Freunde sämtliche Besitztümer von einer frechen Wiesel-Bande zurück. Die lange Sequenz ist ein Musterbeispiel für gelungene Slapstick-Unterhaltung. Insbesondere die spielerische, gekonnt akzentuierte Orchestermusik von Oliver Wallace holt das größtmögliche Maß an Komik aus den Szenen heraus. Viele Passagen waren so einflussreich, dass sie in späteren Filmen erneut zum Einsatz kamen. Die Bewegungsabläufe aus dem Slapstick-Finale tauchten in Disneys „Robin Hood“ 1973 wieder auf, die Wiesel-Schurken waren Vorbilder für die Gegenspieler in „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“, mit dem Robert Zemeckis 1988 eine Hommage an die glorreichen Cartoon-Zeiten veröffentlichte. Auch Taddäus Kröte selbst hatte in dem Film einen Cameo-Auftritt.

Es ist jedoch das zweite Segment, welches „Die Abenteuer von Ichabod und Taddäus Kröte“ zum elementaren Geheimtipp der Disney-Anthologie-Filme werden lässt. Das Aufeinandertreffen von Ichabod Crane und dem kopflosen Reiter aus Sleepy Hollow gilt, veröffentlicht im Jahre 1820, als eine der ersten Kurzgeschichten der US-Literatur. Darin buhlt der abergläubische Landschulmeister Ichabod um die Hand der schönen Katrina van Tassel, auch, um so in ihre reiche Familie Einzug zu erhalten. Bei einer herbstlichen Feier erzählt sein Nebenbuhler Brom Bones die Geschichte eines Reiters ohne Kopf, der in den Wäldern von Sleepy Hollow sein Umwesen treiben soll. Und – wie könnte es anders sein – auf dem Heimweg wird Ichabod tatsächlich von der schaurigen Gestalt gejagt, danach ward er nie wieder gesehen.

Jene Jagd hat bis heute das Potenzial, Kinder zu verängstigen. In expressionistischen Bildern wird der Auftritt des kopflosen Reiters selbst im Kinderfilm-Look zum gezeichneten Albtraum, mit einem Kürbis unter dem Arm jagt er den Lehrer durch einen finsteren Wald. Die irrwitzige Verfolgungsjagd inspirierte den Filmemacher Tim Burton ganze fünfzig Jahre später, seine eigene Verfilmung „Sleepy Hollow“ in die Kinos zu bringen. Doch schon der Teil davor, jetzt nicht mehr von Basil Rathbone, sondern von Bing Crosby aus dem Off erzählt, ist formidabel: Drei Musical-Einlagen erzählen, wie Ichabod Crane in die kleine Stadt einzieht, sich in Katrina verguckt (und in Wahrheit nur – ähnlich manisch wie Taddäus Kröte seine Besitzgüter – das Vermögen ihrer reichen Familie auf besessene Weise begehrt) und vom schicksalsträchtigen Abend, an dem Brom Bones die Schauergeschichte vom kopflosen Reiter erzählt. Der dort von Crosby gesungene Song „Headless Horseman“ wäre vor Veröffentlichung beinahe herausgeschnitten worden, galt als zu düster für einen Kinderfilm. Es dauerte bis 1996, ehe ein Disney-Lied wieder so finster klang: Damals sang der schurkische Frollo aus „Der Glöckner von Notre Dame“ sein „Hellfire“ – zu einer Melodie, die stark an „Headless Horseman“ angelehnt war.

Beim storchenbeinigen Ichabod Crane verzichtet der artistisch bemerkenswerte elfte Spielfilm der Walt Disney Company gänzlich darauf, ihn sympathisch zu zeichnen. Aus seinen unehrenhaften Motiven gegenüber Katrina macht der Film keinen Hehl. Eine so wenig liebenswerte Hauptfigur sollte es in der Zukunft von Disney, die 1950 mit "Cinderella" vom Anthologie-Weg abkamen und damit einen langersehnten Hit landeten, nie wieder geben. Und dementsprechend bekommt Ichabod auch kein Happy End, welches er ohnehin nicht verdient hätte. Ein solches erlebt nur der Zuschauer, der mitansehen durfte, wie „Die Abenteuer von Ichabod und Taddäus Kröte“ handwerklich herausragende Trickfilm-Unterhaltung für alle Altersstufen bietet und dabei auch noch zwei Literaturklassikern gerecht wird.
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Re: Disney-Thread: Zeichentrick und Animation

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Habe gerade diesen tollen Beitrag entdeckt, danke Hille! Werde den Film sofort auf meine Liste schreiben (wo er dann vermutlich 3 Jahre versauert... ;) ) Ich habe schon mehrfach von diesem Disney-Klassiker gehört, aber hatte nie wirklich die Motivation, den zu sehen. Das sieht nun anders aus. Wofür dieses Forum nicht alles gut ist...
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Life in plastic, it's fantastic

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Toy Story

Das deutsche Wort „Spielzeug“ ist genau betrachtet ziemlich degradierend: Die Rede ist bloß von „Zeug“, von belanglosen Objekten. Auch von „Spielsachen“ spricht man. Dabei weiß jedes Kind, dass in seinem Zimmer mit kleinen Figuren aus Kunststoff, Holz oder Metall eigene Geschichten erfunden und gespielt hat, wie viel Seele ein Spielzeug haben kann. Sie sind für die Kleinsten unter uns echte Freunde, Gefährten, mit denen man die tollsten Abenteuer erlebt, welche sich die Fantasie nur vorstellen kann. Doch wie sieht es in so einem Spielzeug aus? Sobald sie gefertigt wurden und in die Hände eines Kindes kommen, dreht sich ihr ganzer Lebensinhalt darum, Freude zu spenden. Könnten sie fühlen, was wäre wohl ihre größte Angst? Vermutlich in Vergessenheit zu geraten, nicht mehr gebraucht zu werden. Jedes Kind wird schließlich eines Tages älter – und hört auf zu spielen. Dieser originelle Perspektivwechsel ist keine rein philosophische Überlegung, sondern die Prämisse eines besonderen Films, des ersten vollständig computeranimierten Spielfilms aller Zeiten. Wie passend: Was sind Filmkünstler, wenn nicht spielende Kinder? Was sind ihre Charaktere, wenn nicht Spielzeuge? Was ist ein Film, wenn nicht eine große „Toy Story“?

Nach dem oscargekrönten CGI-Kurzfilm „Tin Toy“, bei dem ebenfalls ein Spielzeug im Mittelpunkt steht, hatte die Animationsfilmschmiede Pixar (eine ehemalige Forschungsabteilung des „Star Wars“-Regisseurs George Lucas) große Ambitionen, ein erstes Langfilmprojekt in Angriff zu nehmen. Doch „Toy Story“ ging vor seiner Veröffentlichung 1995 durch die Produktionshölle. Um das aufwendige Unterfangen überhaupt finanzieren zu können, ließ man sich auf Disney als Geldgeber ein. Und die Micky-Maus-Brutstätte hatte kein Interesse daran, nur zu zahlen: Das Studio hatte durch Mega-Hits wie „Arielle, die Meerjungfrau“, „Die Schöne und das Biest“ und „Aladdin“ eine Renaissance erlebt. So mischte sich der Geldgeber in den Prozess ein, das Drehbuch wurde mehrfach komplett umgeschrieben. Bei einer Version geriet die Hauptfigur, eine Cowboy-Aufziehpuppe namens Woody, gar zu einem tyrannischen Kinderzimmer-Diktator. Ein unverfilmbares Desaster. Nur zwei Wochen blieben Regisseur John Lasseter und seinem Team von da an, um das Projekt zu retten.

Von all dem ist in „Toy Story“ nichts zu sehen, im Gegenteil: Der Film, an dem unter anderem der spätere "Avengers"-Regisseur Joss Whedon mitschrieb, ist eine Offenbarung. Er muss sogar als Wunder bezeichnet werden! Die Vermutung lag immerhin nahe, der erste vollständig computeranimierte Film würde sich hauptsächlich auf sein komplexes Gimmick fokussieren, eine Technikdemonstration werden. Weit gefehlt: „Toy Story“ begeistert und fasziniert durch ein ausgeklügeltes, intelligentes Drehbuch und bietet eine emotionale Achterbahnfahrt für Jung und Alt. Die Kreativität des Plots und der Welt, in die er spielt, lässt sich nur bewundern: Immer, wenn der kleine Andy nicht in seinem Kinderzimmer ist, erwachen alle seine Spielzeuge zum Leben. Sie leben in ihrer eigenen Hierarchie. Andys Lieblingsspielzeug Woody ist ein Anführer für seine Mitstreiter. Große Augen machen alle, als Andy zu seinem Geburtstag ein neues Spielzeug bekommt, den High-Tech-Astronauten Buzz Lightyear, der nach und nach Woody aus Andys Herz verdrängt.

Der Blick in den Mikrokosmos von Andys Zimmer alleine zeigt mühelos, dass die kreativen Köpfe von Pixar in ihrer eigenen Liga spielen: Die Figurenzeichnung ist in wenigen Minuten, teils Sekunden, auf den Punkt, entstammen die Charakterzüge doch den jeweiligen Eigenarten des Spielzeugs: Dinosaurier Rex zum Beispiel ist ein billiges Plastikspielzeug, sein Schwanz ist nur dürftig grün besprüht. Kein Wunder also, dass diese Figur, die eigentlich ein mächtiges Raubtier darstellt, starke Minderwertigkeitskomplexe hat. Eine andere Figur, Mr. Potato Head, ist ständig genervt – und wer wäre das nicht, würde ihm auch bei jeder Gelegenheit das Gesicht abfallen? Das Kernstück der Erzählung sind aber Woody und Buzz. Ihr Konflikt ist tatsächlich historisch belegt: In den 1950ern, als das Western-Genre einen Kassenknüller nach dem nächsten erzeugte, gab es einen Boom an Cowboy-Figuren. Durch die aufkommende Weltraumeroberung im Zuge des Sputnik-Programms wurden die Cowboys von den Astronauten verdrängt – so wie Woody von Buzz.

Aber es ist noch etwas komplizierter: Buzz weiß gar nicht, dass er ein Spielzeug ist, sondern glaubt sich als echter Space Ranger. Die Lampe in seinem Arm hält er für einen Laserstrahl. Seine kaputte Verpackung, sein „Raumschiff“, gibt er glatt in Reparatur. Woody versucht sich als Stimme der Vernunft, vergeblich: Buzz lebt in einer Illusion. Schon hier zeigt sich, wie komplex die Handlung aufgebaut ist. Beide Hauptfiguren müssen eine schwierige, tiefsinnige Wandlung durchmachen. Woody muss seinen Neid überwinden und akzeptieren, dass er die Liebe von Andy nicht für sich allein beanspruchen darf. Buzz hingegen steht irgendwann unweigerlich vor der Erkenntnis, in einer Traumwelt zu leben. Es ist eine großartige Szene, als er spät im Film auf einen Fernseher starrt, auf dem ein Werbespot für eine Buzz-Lightyear-Actionfigur sieht und in seinen Augen sichtbar etwas zerbricht. Ein Spielzeug verlässt Platons Höhle.

Vordererst war „Toy Story“ eine technische Revolution, ein Meilenstein der Filmgeschichte. Doch gerade solche können schnell veralten: An beeindruckenden Spezialeffekten nagt der Zahn der Zeit am stärksten. Die Figuren jedoch sehen heute immer noch überzeugend aus – und wurden u.a. auch deshalb gewählt, weil sie allesamt aus Plastik sind, somit leichter zu animieren waren. Allerdings katapultierte Pixar in späteren Filmen die Möglichkeiten des Mediums in neue Höhen, die ihren Erstling längst überschatten. Und doch hat „Toy Story“ seine Stellung als Meisterwerk des Kinos nie eingebüßt. Weil das, was da vor den damals noch minimalistisch-animierten Hintergründen umgesetzt wurde, ein Musterbeispiel für großartiges, einfallsreiches Filmemachen darstellt. In nur 81 Minuten erzählt Lasseter eine starke und abwechslungsreiche Geschichte, deren Ausgangspunkt für einen Kinderfilm gewagt ist: Aus Eifersucht schubst Woody den verhassten Buzz (wenn auch etwas unfreiwillig) aus dem Fenster und wird für diesen versuchten Mord von den anderen Spielzeugen hinterhergeworfen. Von nun an muss das ungleiche Duo mehrere Strapazen und Actionszenen überstehen, um den Weg nach Hause zu finden und sich zusammenzuraufen.

Die Kompromisslosigkeit, mit der „Toy Story“ ein ganzes Genre umkrempelte, ist bemerkenswert. Bei all den Risiken, die Pixar mit der kritisch beäugten Computeranimationstechnik einging, ist es umso erstaunlicher, wie mutig auch die Geschichte des Films ist. Nicht genug, dass die entscheidende Tat des Films Hauptfigur Woody potenziell zum Unsympathen werden lässt, ist „Toy Story“ auch ein radikaler Bruch mit der klassischen Disney-Formel: Der Film ist kein Märchen, hat nur ganz am Rande Ansätze einer Liebesgeschichte, ist nicht einmal ein Musical. Stattdessen erzählt Lasseter seinen Geniestreich als charakterzentriertes Buddy-Movie in der Tradition von „Lethal Weapon“, als postmodernen Actionfilm, dessen großes, perfekt inszeniertes Crescendo (eine wilde Verfolgungsjagd aus dem Lehrbuch) so nur durch die berauschenden virtuellen Kamerafahrten möglich wurde. Und statt Muscialeinlagen rotzt in mehreren funkigen Blues-Songs aus dem Off die Stimme von Soundtrack-Komponist Randy Newman durch die Szenerie – nicht mehr und nicht weniger als ein brillanter Einfall.

Es ist wenig überraschend, dass „Toy Story“ auf lange Sicht das Ende des Zeichentrickfilms einläutete. Woody und Buzz sind dermaßen fantastisch charakterisiert, wohlüberlegt geschrieben und wirken dank ihrer dreidimensionalen Optik umso authentischer, sodass sie allein Grund genug waren, in die bis dato noch in den Kinderschuhen steckende Technik zu investieren. Wenige Jahre später war der Hype bereits so weit, dass bei den Oscars eine eigene Kategorie für den Besten Animationsfilm eingeführt wurde. Dass Woody und Buzz auf der Leinwand mehr Emotionen wecken als mancher Hollywood-Star, mag daran liegen, weil sie von welchen gesprochen werden. Ursprünglich waren Paul Newman und Jim Carrey angedacht, am Ende entschied man sich für die Paarung aus Oscar-Preisträger Tom Hanks für Woody und Sitcom-Ikone Tim Allen für Buzz. Beide transportieren durch ihre Stimmen eine mannigfaltige Palette an Gefühlen und füllen die Figuren mit Leben. Sie sind definitiv kein „Spielzeug“, sondern echte Helden.

„Toy Story“ ist alles, was Kino sein soll: Aufregend, mutig, witzig, intelligent, unterhaltsam und tief bewegend. Die Geburtsstunde der Innovationsschmiede Pixar war ein Triumph in mehrfacher Hinsicht. Sie lancierte zwei neue Ikonen in Millionen von Kinderzimmern, eroberte vielfältige Möglichkeiten der visuellen Darstellungsform und bewies eindrucksvoll, wie gelebter Enthusiasmus große Kunst schaffen kann. Und an noch etwas erinnert der Film: Wie wertvoll es ist, auch als Erwachsener das Spielen nicht zu verlernen. In der Fantasie gibt es schließlich wie im Kino keine Grenzen. Oder – wie Buzz Lightyear zu sagen pflegt – dort geht es „bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter“.
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Retter des verlorenen Spielzeugs

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Toy Story 2

Es ist genau eine Szene in „Toy Story 2“, in der es der Kreativschmiede Pixar bravourös in nur drei Minuten gelingt, mehr zu erzählen als andere Filme in 90 Minuten. Da sitzt eine Cowgirl-Puppe namens Jesse auf einem Fensterrahmen und blickt, wie sie glaubt, ein letztes Mal zur Sonne, ehe sie wieder in die dunkle Kiste eines Spielzeugsammlers gesperrt wird. Sie erzählt Woody, dem Spielzeug-Helden des Vorgängerfilms, von ihrer ehemaligen Besitzerin, dem kleinen Mädchen Emily. Wie sie einst jeden Tag zusammenspielten, allerbeste Freundinnen waren. Doch Emily wurde älter: Aus ihren Pferdefiguren wurden Lippenstift und Nagellack, die Cowgirl-Poster wichen denen von Boybands. Jesse wurde vergessen – und endete in einer Kiste, als Spende für wohltätige Zwecke. Dazu fällt kein gesprochenes Wort, aus dem Off singt eine Frauenstimme: „Als mich jemand liebte, war die Welt so wunderschön.“ Jesse schließt die Rückblende, hörbar schluchzend, mit dem Satz: „Kinder wie Emily vergisst du nie. Aber sie vergessen dich.“

Mit nur dieser Szene katapultieren Regisseur John Lasseter und sein Team die Fortsetzung zu „Toy Story“, dem ersten vollständig computeranimierten Spielfilm, in neue erzählerische Sphären. Der Vorgänger sicherte sich durch seine revolutionäre Technik einen Platz in der Filmgeschichte und verdiente ihn sich dank einer ausgeklügelten Geschichte um lebendige Spielzeuge, die sich über die Liebe zu ihrem Besitzer definieren – und dabei auch in Konkurrenz zueinander treten. „Toy Story 2“ fackelt nicht lang, greift alle Motive wieder auf, aber denkt sie mehrere Ebenen weiter. Im Vorgänger noch geriet Andys Lieblingsspielzeug Woody mit der neuen Astronautenfigur Buzz Lightyear in Konflikt, da er Angst hatte, ersetzt zu werden. Die Fortsetzung verdeutlicht, dass seine Befürchtung durch eine Versöhnung mit Buzz nicht aus der Welt geräumt ist: Andy wird eines Tages erwachsen sein. Welche Zukunft bleibt da noch für seine Spielzeuge?

Woody erfährt das gleich zu Beginn des Films, als beim Spielen eine Naht an seinem Arm reißt. „Spielzeuge halten nicht ewig“, sagt Andys Mutter und setzt ihn weit oben auf ein staubiges Regal. Von nun an plagen ihn Albträume, in denen Andy ihn in bodenlose Mülltonnen fallen lässt, direkt in den (Spielzeug-)Tod. Pixar hält sich bei der Darstellung dieser existenziellen Furcht nicht zurück, riskiert, kleine Zuschauer sogar zu verstören. Mit diesem Mut ist ihnen erneut ein Meisterwerk gelungen! „Toy Story 2“ steht dem berühmten Erstling in nichts nach, übertrifft ihn gar an allen Ecken und Enden. Nirgends ist das so offensichtlich wie bei der Animationskunst: Zwischen beiden Filmen liegen nur vier Jahre, aber einige Softwaregenerationen, die es Lasseter 1999 ermöglichten, Woody, Buzz und die anderen Spielzeuge in nahezu fotorealistische Aufzugschächte, Großstadt-Appartements oder Spielwarengeschäfte zu setzen. Ein detailreich animierter Hund sorgt im Vergleich zu den Tieren aus dem ersten „Toy Story“ für offene Münder und erstmals hat auch eine menschliche Figur viel Leinwandzeit: Der Spielzeugsammler Al, welcher Woody durch eine Kette von Ereignissen in seine Finger bekommt.

Ab hier erzählt Lasseter zwei Geschichten parallel. Eine handelt von Woody in der Wohnung des Sammlers, in der er auf weitere Western-Spielzeuge trifft und erfährt: Er basiert auf einer Marionette aus einer 50er Jahre TV-Show, ist ein seltenes Sammlerstück. Die Sammlung komplettieren Cowgirl Jesse, Stoffpferd Bully und Goldgräber Stinky Pete, der nie aus seiner Schachtel geholt wurde. Warum? Kinder spielten nicht gerne mit ihm, da er in der Sendung die dümmliche Randfigur war. Jene Sendung verdeutlicht erneut Woodys Sterblichkeit: Sie wurde abgesetzt, als der Sputnik-Schock für das Aufkommen von Weltraumspielzeug sorgte. Woody und seiner „Roundup-Gang“ winkt nun nicht mehr oder weniger als die Unsterblichkeit, denn Sammler Al will sie an ein Museum in Japan verkaufen. Im Inneren eines Glaskastens können einen keine Kinderhände beschädigen. Es wird aber auch nie wieder mit einem gespielt werden…

In den tiefschürfenden Dialogen der Autoren Rita Hsiao, Andrew Stanton, Doug Chamberlain und Chris Webb gerät „Toy Story 2“ so zur Metapher fürs Elternsein. Eines Tages brauchen die eigenen Kinder einen nicht mehr, ziehen alleine in die Welt hinaus. Woody steht vor der Frage: Will er Andy auf diesem Weg begleiten und wählt das Selbstopfer für die begrenzte Zeit zu „seinem Kind“? Oder erliegt er seinem Narzissmus, seinem Wunsch nach der großen Ewigkeit, und wählt ein Leben ohne Liebe? Vielleicht braucht er gar nicht zu entscheiden, denn Lasseter hat noch die zweite Handlung in Petto: Natürlich lassen Buzz, Rex, Mr. Potato Head und die anderen Spielzeuge ihren Freund nicht im Stich und starten eine Rettungsaktion. So gelingt es „Toy Story 2“ mühelos, die reife Erzählung rund um Woodys Hadern mit einer actionreichen Abenteuergeschichte zu kreuzen, die selbst auch nicht Halt vor großartigen Konstellationen macht. In einem Spielzeugladen fällt Buzz in eine Identitätskrise, als er auf hunderte Ebenbilder seiner selbst trifft – und gegen eines sogar zum Kampf antreten muss.

Noch aufregender als die Geschichte im Film ist nur noch die Geschichte des Films: Eigentlich sollte „Toy Story 2“ bloß eine billige DVD-Fortsetzung für das schnelle Geld werden, wie es beim Disney-Konzern gängige Praxis ist. Doch die „Toy Story“-Fortsetzung wurde rasch zu teuer – und erwies sich bei einer ersten Vorführung vor dem Konzern-Vorstand als zu gut, um nicht ins Kino gebracht zu werden. Dabei war das Originalteam des Vorgängers hier gar nicht beteiligt, die arbeiteten zu der Zeit am Animationsspaß „Das große Krabbeln“. Als sie zum Projekt hinzustießen, empfanden sie es wiederum als zu schlecht, schmissen alles über den Haufen. In etwas über sieben Monaten wurde so ein komplett neuer 91-minütiger Film erstellt.

Wie mühelos das Pixar-Team brillante Werke scheinbar in Rekordzeit abwickelt, darüber muss gestaunt werden. Und wie es ihnen gelingt, bei aller thematischen Vielfalt auch eine Fülle an kreativen Gags in die Szenen einzubinden, ist großes Tennis. Für Erwachsene gibt es eine Vielzahl an Anspielungen auf andere Werke der Filmgeschichte: Dramatische Höhepunkte erweisen sich als Referenzen auf „Jurassic Park“, „Jäger des verlorenen Schatzes“ oder – besonders witzig – auf „Das Imperium schlägt zurück“. Aber selbst ein musikalischer Wink auf „2001: Odyssee im Weltraum“ findet seinen kongenialen Einsatz, sowie im fulminanten Schlussakt bei der Bekämpfung des überraschenden Schurken auf einem Flughafen-Förderband plötzlich der blendende Einsatz von Blitzlichtern die Rettung bringt – wie einst bei Alfred Hitchcock in „Das Fenster zum Hof“. All diese Querverweise sind keinesfalls vermessen, da Pixar längst bewiesen hat, mindestens in derselben Liga wie diese Vorbilder zu spielen. Nicht von ungefähr erinnert die sentimentale Schlussmoral an die kindliche Naivität des Meisterwerks „Ist das Leben nicht schön?“ von Frank Capra.

Bleiben Kinder selbst bei all diesen Insider-Witzen für ein Kino-erfahrenes Publikum nicht auf der Strecke? Sollte ein Film für kleine Zuschauer vor allem von den Sorgen des Elterndaseins und der Angst vor dem Tod handeln? Wer diese Fragen stellt, hat das Phänomen „Toy Story“ noch nicht ganz verstanden. Die Filme sind keine eskapistischen Trick-Abenteuer, sondern Charakterdramen für alle Altersklassen. Schon die hochkarätige Besetzung verdeutlicht den Anspruch. Woody und Buzz werden erneut von Tom Hanks und Tim Allen gesprochen, einen ähnlich fabelhaften Einsatz machen die Neuzugänge: Kelsey Grammer spricht den griesgrämigen Stinky Pete, Wayne Knight übernimmt den piepsstimmigen Al und als Jesse ist Charakterdarstellerin Joan Cusack zu hören. Die hervorragenden, rein stimmlichen Darstellerleistungen lassen keinen Zweifel daran, dass die Spielzeuge bei „Toy Story“ die besseren Menschen sind.

Bemerkenswert ist deshalb auch, dass beide Filme nie die Lebenswirklichkeit der Spielzeuge hinterfragen. Ihr Auftreten, ihre Gefühle, ihr sozialer Zusammenhalt sind hyperrealistisch. Dabei hätte aus „Toy Story 2“ leicht eine Metapher für die kindliche Fantasie werden können, eine Geschichte, die mit dem Sein der Spielzeuge ironisch kokettiert. Stattdessen nimmt Lasseter all diese Figuren aus Plastik ernst, egal ob es seine eigenen Kreationen sind oder eine Barbie-Puppe, die hier einen Cameo hat. Es geht um Spielzeuge, ihre Beziehungen zu den Menschen. Um all die Gefühle, die ein Kind für seine Spielzeuge empfindet. „Toy Story“ und seine Fortsetzung erzählen, wovon Kinder bereits wissen, dass es wahr ist: Diese Spielzeuge sind echt, so echt wie die Gefühle, die man für sie hat. Dank dieser Botschaft wird der ein oder anderen Puppe das Schicksal der unglücklichen Jesse vielleicht erspart. Bleibt nur die Vorstellung, dass „Toy Story 2“-Komponist Randy Newman mit der „Als mich jemand liebte“-Sequenz womöglich einen Haufen von Spielzeug-Messies erschaffen hat.
https://filmduelle.de/

Let the sheep out, kid.

Re: Disney-Thread: Zeichentrick und Animation

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iHaveCNit: Encanto (2021) – Byron Howard / Jared Bush - Walt Disney
Deutscher Kinostart: 24.11.2021
gesehen am 24.11.2021 in 3D
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kinosaal 7 – Reihe 13, Platz 15 – 19:30 Uhr


Irgendwie sah es in diesem Jahr für mich sehr mau aus, was zum Beispiel den Animationsfilm-Sektor angeht. Doch da kommt dann aus heiterem Himmel der neue Film von Walt Disney - „Encanto“ - gerade recht. Und dieser hat mir einen schönen und durchaus emotionalen Kinobesuch beschert.

Die Familie Madrigal lebt seit Generationen ein einem magischen Haus, dass jedem Familienmitglied in jungen Jahren eine magische Gabe wie zum Beispiel Stärke, Heilung, Perfektion verleiht. Nur die junge Mirabel wurde mit keiner Gabe gesegnet. Als sie mitbekommt, dass das Haus scheinbar seine Magie verliert und vom Rest der Familie belächelt wird, macht sie sich auf den Weg in ein großes Abenteuer, dass die Familie Madrigal für immer verändern könnte.

„Encanto“ sieht einfach wunderbar aus und liefert wieder ein großartiges Animations-Abenteuer, das sowohl bunt als auch schön kreativ geworden ist. Der Film blickt im Kern auf eine große Familiengeschichte, die gerade deswegen so liebenswert ist, weil es in der Familie durchaus alles andere als rund läuft. So müssen innerhalb der Familie im sprichwörtlichen als auch übertragenen Sinne Mauern eingerissen werden, damit man sie wieder neu aufbauen kann. Auch ganz interessant ist der Ansatz des Films sich der Bestimmung, der Aufgabe und den persönlichen Besonderheiten von jedem selbst und dem damit verbundenen Druck innerhalb der Familie und auch der Gesellschaft zu widmen. Damit bedient er auch ein wenig „Coming-Of-Age“ und bettet hochaktuelle gesellschaftliche Themen ein. Ergänzt wird der Film von interessanten Songs, die durchaus sehr vielseitig sind, jedoch fehlt mir der ganz große Ohrwurm-Garant. Trotz allem hat mir der Film viel Spaß gemacht und mich auch emotional bekommen.

„Encanto“ - My First Look – 9/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Disney-Thread: Zeichentrick und Animation

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Hille, sehr langweilige Rezensionen zu Toy Story - denn ich stimme jedem Wort uneingeschränkt zu! Teil 1 war ein revolutionärer Meilenstein der trotz aller Technik vor allem durch Herz überzeugte, und Teil 2 konnte das völlig überraschend in jeder Hinsicht noch übertreffen.

Eine Kritik habe ich dann doch: Wie man Teil 2 bewerten kann ohne auf die epochale Szene mit dem Puppendoktor einzugehen, erschließt sich mir nich :-)

"It's been a long time - and finally, here we are"