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von danielcc
00-Agent
Live Free or Die Hard, Len Wiseman, 2007
“Always in the wrong place at the wrong time”
Im Grunde sprach alles gegen diesen Film:
- Ein alternder Actionstar versucht sich nach 12 Jahren noch ein mal in seiner Erfolgsrolle
- Keiner der Original-Crew ist an Bord
- Len Wiseman – Regisseur der Underworld B-Filme – führt Regie
- Es gibt einen jungen Sidekick an McClanes Seite
- Der Film ist erstmals nicht R-rated und gilt damit per se als weichgespült bei den Hardcore-Fans
So kann man sich irren denn um es vorweg zu nehmen: Live Free or Die Hard ist einer der besten Actionfilme der letzten 10 Jahre und eine würdige Ergänzung der Filmreihe.
Doch von vorne. Dieser Film spielt nach anderen Regeln. Dies wird schon in der ersten Szene noch während der Titles klar gemacht. Es geht um die digitale Welt, um Cyber-Terrorismus. In kurzen Szenen zeigt der Film schon am Anfang, wie Hacker unser ganzes System mit wenigen Klicks zum Wanken bringen (können). Um es gleich zu sagen: ich kenne keinen Film der die Gefahren der vernetzten, vollkommen computer-gesteuerten Welt besser porträtiert – und dabei so gut unterhält. Dabei ist diese Verlagerung des Die Hard Konzepts nicht nur folgerichtig und zeitgemäß, sie ist ein brillanter Kniff um John McClane wieder dorthin zu bringen, wo er im ersten Film war. Er ist wahrhaftig ahnungs- und mittellos gegenüber einer Übermacht von gut organisierten Kriminellen. Für mich ist Teil 4 erstmals wieder richtig spannend, grade weil man merkt, dass der "analoge" Cop mit der "digitalen" Situation zumindest anfangs überfordert ist. Da es ein beängstigend reales Szenario gibt, in dem uns lange Zeit vollkommen unklar ist, was noch passieren wird.
Ganz der konservative Traditionalist erscheint McClane in dieser schnellen, digitalen Zeit orientierungslos und ihm bleibt wenig Halt. So spioniert er zumindest seiner Tochter hinterher, deren spätere Entführung das emotionale Moment für sein Eingreifen sein wird.
Gleichzeitig bietet dieser Plot den nötigen Raum für permanente Konfrontationen. Was in Teil 3 die Wortgefechte um Rassismus waren, ist hier der Konflikt zweier Generationen. So steht Bruce Willis hier ein wirklich tolles Team von jungen Schauspielern zur Seite bzw. gegenüber. Allen voran Justin Long, dem es gelingt, mal eben nicht der nervende Technik-Freak Sidekick zu sein. Anfangs noch total überfordert und hysterisch kreischend entwickelt er sich zur echten Ergänzung für McClane, nicht nur was dessen technische Unfähigkeit angeht. Auch was das Mundwerk angeht, bietet er ordentlich Parolie und steht damit Samuel L. Jackson in nichts nach. In einigen Momenten wirkt er sogar erwachsener als der eigentlich Held.
Noch souveräner ist die Rolle des Bösewichts, verkörpert durch Timithy Olyphant. Er tritt ein schweres Erbe an, übereugt aber auf seine ganz eigene Art. Er lässt sich von McClane selten provozieren und verlässt sich auf seine eigene technische Überlegenheit. Selten hat ein so junger Bösewicht so gut funktioniert. Last but not least können auch Maggie Q. als sexy Kung-Fu Frau, Cliff Curtis als wackerer FBI Cyber-Terrorismus Experte und vor allem Mary Elizabeth Winstead als McClanes Tocher überzeugen.
Doch nicht nur der Cast gibt sein bester sondern vor allem die 120 Mann starke Stuntcrew. Wie schon gesagt, actionmäßig gab es selten besseres zu sehen. Man kann es kaum mehr krachen lassen und dabei ist das allermeiste hier handgemacht, inklusive der atemberaubenden Actionszenen im Fahrsthlschacht und im Tunnel sowie das „Abschießen“ des Helicopters mit einem PKW. Neben diesen großen Actionszenen überzeugen auch die Prügeleien. Selten war man näher dran, selten knallte es im Kino intensiver. Die Parcour-artigen Einlagen der Bösewichte passen zum berauschenden Tempo des Films.
Sicherlich hat der Film viele digitale Effekte, doch gottlob sind diese nicht als solche zu erkennen oder eben nur im Hintergrund.
Überhaupt gebührt Kameramann Simon Duggan und Cutter Nicolas De Toth großes Lob. Sie haben dem Film einen für die Serie neuen Look verpasst der das Tempo und die Intensität widerspiegelt, ohne sich den aktuellen Unsitten der Wackel-Handkamera oder der Stakkato-Schnitte unterzuwerfen. Einige Stunts wirken vor allem aufgrund ungewohnter Perspektiven überraschend und beeindruckend wie der Crash auf der Straßenkreuzung aus dem Auto heraus gefilmt, der Kampf im Aufzugschacht oder im Server-Kühlraum.
Aber auch dieser Film hat kleiner Schwächen. Zum einen ist der Level an Kraftausdrücken und Gewaltszenen hier merklich niedriger, was der Altersfreigabe geschuldet ist. Außerdem ist es schade, dass der Film im Gegensatz zu den Vorgängern kein Gefühl für die Locations vermittelt. Die meiste Zeit weiß man überhaupt nicht, wo das ganze handelt, die Locations wirken beliebig. Schön hingegen ist, dass der Film trotz der hohen Dichte an Actionszenen auch 2-3 kurze Momente (zumeist im Auto) findet, in denen erstmals in der Serie so etwas wie Selbst-Reflexion stattfindet. Da kann man dann auch den wirklich übertriebenen, von True Lies inspiererten Showdown mit dem Kampfjet verzeihen.
Es bleibt festzustellen, dass - für mich unerklärlicherweise - der Film nicht der erwartete Riesenerfolg wurde, trotz oder vielleicht sogar wegen der niedrigeren Altersfreigabe. An der Qualität kann es nicht liegen, denn der Film wird auch auf imdb.com als zweitbester der Reihe bewertet.
In jedem Fall freue ich mich auf ein Wiedersehen mit Bruce Willis als John McClane.
Zuletzt geändert von
danielcc am 3. Januar 2011 19:54, insgesamt 3-mal geändert.
"It's been a long time - and finally, here we are"