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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Live And Let Die (1973, Guy Hamilton)
"When you were young and your heart was an open book, you used to say live and let live. But if this ever-changing world in which we live in makes you give in and cry, say live and let die."
- Paul McCartney
Nachdem Connery nach DAF der Bondrolle endgültig den Rücken gekehrt hatte, standen die Produzenten aufs Neue vor der Frage, wer in die kolossalen Fussstapfen des Schotten treten und den berühmtesten Agenten ihrer Majestät in den nächsten Filmen verkörpern würde. Mit der Verpflichtung des TV-Stars und britischen Urcharmeurs Roger Moore, der schon zuvor immer wieder für die Rolle im Gespräch gewesen war, gelang ihnen schliesslich auch, was bei der Besetzung Lazenbys nicht geklappt hatte: Einen Bonddarsteller zu finden, der sich bewusst von Connery abhebt und trotzdem bzw. gerade deswegen die Fans für sich begeistern konnte. Moore liefert in LALD einen erstklassigen Einstand in einem der bis dato ungewöhnlichsten Filme der Reihe. Voodoo-Zauber, Alligatoren, verrauchte Jazzclubs und trübe Sümpfe? Wo war Blofeld, wo seine ausgefallen Schurkenbastion, wo die Casinos, die irrsinnigen Zerstörungspläne und die exotischen Hochglanzstrände? Das musste natürlich alles so sein, denn die bewussten Alleinstellungsmerkmale von LALD erlaubten Moore nicht nur einen idealen Einstieg in die Rolle ohne den Ballast der Conneryjahre, sie garantierten auch einen entschlackten und eigenständigen Film, der in den wesentlichen Punkten aber dennoch Bond pur ist.
Im Vergleich zu den immer schillernderen Bondfilmen der 1960er-Jahre kommt LALD wesentlich rauer und schlichter daher, alleine schon durch die Rückkehr zum kleineren Bildformat. Dazu gesellen sich die wild und dreckig eingefangenen Locations in den USA und der Karibik, in erster Linie Jamaika als San-Monique-Double. Versprühte die Insel elf Jahre zuvor in DN noch einen bunt-verwegenen Abenteuergeist so wird sie dieses Mal ausnahmslos von ihrer staubigen und dunklen Seite abseits touristischer Strandpanoramen inszeniert. Auch die Schurkenhandlung ist so simpel und nüchtern wie in kaum einem anderen Bondfilm, im Grunde geht es um ein schnödes Heroingeschäft, auch wenn es bondtypisch etwas ausgeschmückt wird. Mehr denn je ist dieser Plan aber kaum mehr als ein Aufhänger für eine flotte Abenteuergeschichte, die dieses Mal aber weniger mit grossen Schauwerten und trickreichen Spielereien punkten will als mit Stil und einem eigenständigen Flair. Das fängt schon im Vorspann an, der zu den besten Arbeiten des legendären Titeldesigners Maurice Binder zählt: Fackeln, Kriegsbemalung, brennende Totenköpfe, alles unterlegt mit einem brachialen und modernen Rocksong von Paul McCartney, dem bis heute besten Titellied der ganzen Reihe.
Diese Linie wird mit der Einbindung der afroamerikanischen und haitianischen Kulturen als stilgebendes Motiv konsequent weitergeführt. Bond trifft auf Drogenbanden in Harlem, Krokodilzüchter in Louisiana und einen mörderischen Inselkult auf San Monique. Diese ungewöhnlichen Hintergründe und Handlungselemente geben dem Film genau den richtigen Schuss finsterer Exotik, passend zum kleineren Rahmen des Geschehens. Gleichzeitig macht Bondveteran Hamilton immer wieder deutlich, dass man das Gesehene nicht bierernst nehmen sollte. Er verschwendet gar nicht erst zu viel Zeit daran, die Wahrsagerei mit Tarotkarten oder den finsteren Voodoo-Hexer als Scharlatane oder gegenteilig als übernatürliche Einschübe zu erklären, sondern geht völlig locker und in den richtigen Momenten auch augenzwinkernd mit ihnen um, wie es der Film gerade braucht. Die eigenständige und stimmige Atmosphäre des Films wird gekonnt betont von seinem Soundtrack. Der stammt zum ersten Mal in zehn Jahren nicht von John Barry, sondern von Beatles-Produzent George Martin, und Martin weiss sich von den orchestralen Epen seines Vorgängers abzuheben. Seine Musik ist an den passenden Stellen gefährlich, meist von bedrohlichen Trommeln untermalt, hat in anderen Szenen aber genau den richtigen Schwung und Pepp. Alleine wie er das altbekannte Bond-Theme in Jazzrock-Form neu auflegt oder McCartneys Song zitiert ist meisterhaft und gibt der Stimmung des Films den richtigen Schliff.
Auch die Actionszenen sind dieses Mal alle eine Nummer kleiner und in einem sehr ruhigen Tempo gehalten. Am meisten im Gedächtnis bleibt natürlich die grosse Bootsverfolgungsjagd in den Bayou-Sümpfen, die mit ihren spektakulären Weitsprüngen ebenso punktet wie mit ihrem sehr bedächtigen, ungewohnt langsamen Schnittrhythmus. Damit steht sie bestens in der Tradition der Busverfolgung früher im Film, die ähnlich locker und relaxt in Szene gesetzt wird, die Bootsszene geht aber noch einen Schritt weiter indem sie die Handlung immer wieder durch die Perspektive von Clifton James‘ kauzigem Sheriff Pepper aufbricht, der verzweifelt versucht, Recht und Ordnung in den Sümpfen zu wahren, was sich natürlich als äusserst schwierig herausstellt wenn Bond und Kanangas Schergen in ihren Schnellbooten allerhand Unruhe stiften. Die humoristischen Einlagen in Verbindung mit dem gemütlichen Tempo und der lockeren Attitüde, aber auch einigen deftigen Stunts, machen die Sequenz zu einem würdigen Actionhöhepunkt. Natürlich hätte man die Flughafenszene in New Orleans, in der Bond als angeblicher Vertretungslehrer an Seite einer betagten, kurz vor dem Herzkasper stehenden Flugschülerin allerhand Blech verschrottet, auch kürzen oder weglassen können, als kleinen lustig-absurden Einschub möchte ich sie aber nicht missen, vor allem in Kombination mit der anschliessenden Szene in der Leiter den erbosten Fluglehrer am Telefon beruhigen muss ("Your patriotism is beyond question, Mr. Bleeker, I'm sure you're a veteran!")
Mit Roger Moore als James Bond ist dem Produzentengespann ein wahrer Glücksgriff gelungen. Der mit seinen 46 Jahren nicht mehr ganz blutjunge Moore war damals schon kein unbeschriebenes Blatt, und es war durchaus klar, dass er keine reine Connery-Kopie sein, sondern seine eigenen Stärken in die Rolle mit einbringen würde. Mit seiner beschwingten und humorigen Art und seinem verschmitzten Charme hebt sich Moore von seinem überlebensgrossen Vorgänger ab und drückt Bond einen Stempel auf, der die Filme und ihren Protagonisten für die nächsten zwölf Jahre prägen sollte. Zwar gibt er sich in seinem Debüt noch etwas rauer und härter als in seinen späteren Auftritten, was zu LALD aber nur passt und die Kerndisziplinen seiner 007-Interpretation – Lockerheit, Charme und Witz – trotzdem schon deutlich genug herausarbeitet. Moores Rollenauslegung diktiert dann auch den Ton des Films, der sich selbst zwar immer genügend ernst nimmt, zugleich aber auch gehörig mit dem Auge zwinkert. Durch die kürzeren Haare und den Umstand dass er oft in Freizeitkleidung in der jamaikanischen Wildnis unterwegs ist wirkt Moore in LALD ausserdem jünger und körperlich vitaler als in jedem seiner anderen Bondauftritte. Eine wunderbare Ergänzung zu Moores Bond ist ausserdem der Auftritt von David Hedison als CIA-Kollege Felix Leiter, die Chemie zwischen Hedison und Moore ist perfekt und dass Leiter in LALD etwas aktiver agiert und aus seiner Stichwortgeberrolle hinauskommt lässt einen glauben, dass hier zwei eingeschworene Kumpels zu sehen sind.
Jane Seymour und Yaphet Kotto werden in ihren jeweiligen Rollen als Bondgirl bzw. Oberschurke in der Regel von den Fans mit Anerkennung bedacht, belegen aber selten die Spitzenplätze in den Ranglisten. Das ist ein Urteil, das ich unterschreiben kann, beide sind starke Vertreter ohne zu den absolut besten zu gehören. Seymour gibt die hinreissende Kartenlegerin anfangs forsch und kühl, später mit einer glaubhaften Verletzlichkeit. Eine gute Leistung und ein bezauberndes Aussehen, dennoch lässt ihre Rollenauslegung trotz aller Vorzüge ein Stückweit eine wirkliche eigene Note vermissen. Kotto ist als Dr. Kananga ein prächtiger Schurke, der gleichermassen kultiviert und humorvoll wie unberechenbar und unerbittlich auftritt und in seiner gemeinsamen Szene mit Solitaire nach deren Enttarnung sogar ebenfalls eine verletzte Seite zeigt, die bei Bondschen Gegenspielern eher ungewöhnlich ist. Weniger Akzente setzt dafür die Rolle der Rosie Carver, die mit Gloria Hendry schlicht zu wenig attraktiv und charismatisch besetzt ist und auch vom Drehbuch wenig Gelegenheit zur Entfaltung erhält, abgesehen von ihrem rigorosen Aberglauben. Umso mehr punkten kann dafür Kanangas glanzvolle Mannschaft an Verbündeten und Helfershelfern, vor allem auch da der Film auch hier seiner schlichteren Auslegung treu bleibt und statt einer anonymen Soldatenschar eine überschaubare und verschworene Bande zeigt. Geoffrey Holders diabolischer und sinisterer Voodoo-Priester Baron Samedi ist gerade wegen seiner wenigen und leicht kryptischen Auftritte einer der exzentrischsten Bondschurken, Julius W. Harris ist als mit Stahlklaue und Sonnenbrille ausgestatteter Leibwächter sowohl gefährlich und imposant als auch charismatisch und gewitzt. Auch Adam, Whisper, der Taxifahrer, der Mörder beim Begräbniszug oder der Kellner im Fillet of Soul haben alle mindestens einen unverkennbaren Auftritt und runden das schurkische Ensemble bestens ab.
LALD bewies zu seiner Entstehungszeit, dass James Bond nicht auf immer und ewig auf Sean Connery angewiesen ist, sondern dass auch andere Darsteller die Serie weiterführen und die Titelrolle mit ihren Stärken formen können. Aber auch heute noch ist Hamiltons dritter Serienbeitrag ein herrlich unterhaltsamer Film, der zwar die typischen Bond-Zutaten wahrt, aber seine Grössenordnung bewusst etwas zugunsten eigenständiger Atmosphären- und Handlungselemente zurückschraubt. Diese Elemente spielen hier wunderbar zusammen und verleihen LALD ein durchgängig konsequentes eigenes Flair. Moore spielt gekonnt seine Stärken aus und profiliert sich als anderer, aber Connery nahezu ebenbürtiger 007, eine Leistung, die er mit seinen folgenden Filmen noch weiter untermauern würde.
Wertung: 8,5 / 10
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.