Casino Hille hat geschrieben: Anatol: Was sagst du zu meinem Einwurf des Selbstverständlichkeitsbegriffs.
Sehe ich sehr ähnlich und deckt sich irgendwo auch mit dem, was ich als „sich selbst zu ernst nehmen“ als charakteristisch für die Craig-Ära ansehe. Ich teile deine Ansicht, dass ein Bondfilm in erster Linie ein Bondfilm sein sollte und dass die bedeutet, dass er sich seiner Historie bewusst ist und diese auch entsprechend fortführt. Selbstverständlichkeit ist so gesehen auch genau das richtige Wort, denn es sollte nicht zum Selbstzweck werdenden Koketieren mit eigenen Klischees werden, wie es z.B. in DAD der Fall war. Ein selbstverständlicher Umgang mit der eigenen Identität sollte das Grundgerüst eines jeden Bondfilms sein, unabhängig davon in welche Richtung er sich tatsächlich dann entwickelt.
Casino Hille hat geschrieben: So oder so gilt: ich hätte gerne mal wieder einen Bond-Film, der gerne ein Bond-Film ist und der wie selbstverständlich Spaß macht und den Zuschauern Bond-Entertainment bietet. Keine Pseudo-Intellektualität (SF), keine unnötigen Dramatisierungen (CR, SP). Ein Film, der stolz ist, einer langen Tradition von Filmen zu folgen, und diese nicht stiefmütterlich hin und wieder mal einwirft, um die Fans ruhig zu halten (I'm looking at you, DB5...). Einfach einen Bond-Film ohne Schnörkel, ohne Extras, der wirklich für die Fans (nicht nur, aber hauptsächlich) gemacht ist, für das Bond-Publikum und nicht auf jeden kleinen gemeinsamen Nenner runtergebrochen wird, um auch ja jeden Zuschauer abzuholen und dabei in der Beliebigkeit verschwindet. Denn das ist mit Craig passiert: Bond ist beliebig geworden. Austauschbar. Einer unter vielen. Es geht weniger denn je um Inhalte und mehr als zuvor um das Drumherum. Und das finde ich arg schade. Aber man kann das alles auch anders sehen.
Es ist kaum zu leugnen, dass die Bondfilme der Craig-Ära die Identität der vorangegangenen Filme abgelegt haben bzw. gegen eine neue eingetauscht haben. Leider fehlt dieser neuen Identität auch in meinen Augen das frühere Alleinstellungsmerkmal. Sieht man die Bondfilme vor dem Reboot als homogene, weil einer stilistischen Linie (und damit meine ich natürlich nicht im Gesamtbild vernachlässigbare stilistische Unterschiede wie z.B. OHMSS und MR, sondern fusse meine Ausführungen stattdessen auf den meiner Meinung nach viel relevanteren Gemeinsamkeiten) folgende Filmreihe, so kann man zu dem Schluss kommen dass ihr langanhaltender Erfolg auch etwas mit der Tatsache zu tun hat, dass die Reihe ihre eigene Schöpfung war. Die Bondfilme schufen ihr eigenes Genre, ihre eigenen Regeln, ihre eigenen Klischees – eben das, was man gemeinhin unter der Bondformel versteht. Der Craig-Ära kann ich dies nicht attestieren, da die Grundzüge ihrer Identität sich auch in diversen anderen zeitgnössischen Actionthrillern finden lassen, allen voran Nolans gerebooteten Batmännern. Es wurde ein neuer Typus Bond geschaffen, nur leider fehlt ihm meiner Ansicht nach die ikonische Charakteristik seines früheren Alter Egos.
Casino Hille hat geschrieben: Aber spätestens bei dem mega unangenehmen Pathos-Kram in SF mit dem Tennyson-Gedicht fiel mir auf, dass diese Selbstverständlichkeit oder Ungezwungenheit das ist, was Bond seit CR (oder schon seit DAD?) verloren hat.
Ein schönes Beispiel, anhand dessen man gut die Unterschiede zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Typus Bondfilm zeigen kann: diente Mankiewicz‘ Rochefoucauld-Zitat in DAF lediglich als intellektueller Insidergag, so wird mit dem Tennyson-Gedicht eine Aussage mit dem Dampfhammer auf das Publikum eingedroschen. Im gegensatz zum früheren spielerischen Umgang mit intelligenten Elementen ist es nun mehr zwanghaft aufdringlich, damit auch dem letzten Zuschauer klar wird, dass er hier etwas „anspruchsvolles“ miterlebt (wenn auch nur auf höchst oberflächlicher Ebene).
Casino Hille hat geschrieben: Was mich noch interessieren würde: Wohin denkst du, wird die Entwicklung weiter gehen? Brauchen wir nach Craig einen neuen Reboot?
Da ich ja der Ansicht bin, dass die Filme der Craig-Ära ziemlich genau das wiederspiegeln, was ihre Macher im Sinn haben denke ich eher nicht, dass unter dem aktuellen EON-Regime es zu einer weiteren Neuausrichtung kommen wird, solange die Umsätze sich auf zumindest konstantem Niveau bewegen, auch ungeachtet einer Neubesetzung der Rolle. Ich denke schon, dass Broccoli und Wilson sich mit und über die Neuausrichtung von Film und Bond-Figur identifizieren und dem daher treu bleiben werden. Allerdings gibt einem die immer kürzer werdenden Halbwertszeiten von Filmfranchises zu denken und zwar in der Art, dass es für das aktuelle Publikum praktisch schon fast zum guten Ton gehört, dass jede neue Kinogängergeneration ihren eigenen Reboot bekommt. Sollten Broccoli und Wilson diesem Trend folgen, dann wäre ein Neustart nach Ende der Ära Craig durchaus denkbar, allerdings vermutlich auch dann ohne wirkliche stilistische Veränderungen. Es wäre lediglich ein weiteres „Zurück-auf-Null“. Übrigens halte ich es angesichts der Veränderungen und bewussten Brüche der jüngsten Filme für durchaus denkbar, dass man die Ära Craig mit einem „Paukenschlag“ beendet und den Craig-Bond den Filmtod sterben lässt (natürlich schön mit dem Hinweis im Abspann „James Bond WILL return“). Dann hätte man zumindest auch gleich eine handfeste Begründung für einen Reboot.
Casino Hille hat geschrieben: PS: Die These "Bond ist seit Craig nur noch einer unter vielen" - Würdest du dem zustimmen oder setzt du da für dich wirklich schon bei Brosnan die Grenze?
Wie bereits oben ausgeführt fehlt der Bondfigur und den Filmen der Craig-Ära das frühere Alleinstellungsmerkmal. Von daher: ja, ich stimme dem zu. Hinsichtlich der erweiterten Fragestellung, ob ich dies bereits seit der Brosnan-Ära als so empfinde sei folgendes gesagt: der stilistische Bruch aufgrund des bereits früher erwähnten Wegbrechens eines Großteils der Produktionsriege der Cubby-Ära brachte in meinen Augen eine starke stilistische Änderung mit sich. Von daher endet für mich die Ära der „richtigen“ Bondfilme mit LTK und auch die Brosnanfilme sind nicht mehr „the real deal“. Der Unterschied zwischen den Brosnanfilmen und den Craigfilmen ist für mich jedoch, dass man in der Ära Brosnan dem Vorbild der Cubby-Produktionen zumindest formal und inhaltlich noch folgte (die Abweichungen zu den Filmen 1962-89 ergeben sich für mich wie angeführt eher auf filmhandwerklicher Ebene), während man seit dem Reboot hiermit sehr konsequent bricht. Dies gilt auch in Bezug auf die Bondfigur, die in der Brosnan-Ära auch kaum mehr Veränderung durchmachte, als sie es in der Glen-Ära nicht auch schon tat (ergo die Hinwendung zu einem mehr fühlenden Bond, weg vom reinen Über-Held).
Casino Hille hat geschrieben:
Dann lieber gar kein Bond? Darauf habe ich ehrlich gesagt keine eindeutige Antwort, obwohl sie in letzter Konsequenz natürlich "ja" lauten müsste.
Es schmerzt schon wie sich die Serie und die Figur entwickelt haben und man mag gar nicht weiterdenken, was da in Zukunft noch alles auf uns zukommen wird. Andererseits: ich bin Fan der James Bond-Filme bis 1989 und danach – frei nach Black Rain – nur noch „interessierter Beobachter“. Ich rechne nicht damit, dass ich noch mal einen Bondfilm erlebe in der Art, wie ich sie sie kennen- und liebengelernt habe. Vermutlich hat die Figur ihre Daseinsberechtigung abseits wirtschftlicher Interessen tatsächlich überlebt. Jedenfalls wenn man den filmischen Bond als das ansieht, was er zumindest ein Vierteljahrhundert lang weitgehend verkörpert hat. Man kann ein Rezept nur bis zu einem gewissen Grad verfeinern, irgendwann wird es ungeniessbar. Und genau so geht es mir mit dem Wandel, den Bond ab der Glen-Ära durchmachte. Was am Anfang (81 bis 89) noch interssant und „schmackhaft“ war, wurde ab den 90ern überwürzt und teilweise (DAD) kaum noch geniessbar. Ab 2006 ist es dann endgültig ein anderes Gericht, das mal mehr, mal weniger gut mundet, aber eben nicht mehr viel mit dem gemeinhat, was früher einmal die Leibspeise war.
danielcc hat geschrieben: Auch hier steckt der Teufel im Detail wenn wir uns die Box Office Historien anschauen.
Inflationsbereinigt war SF dann gar nicht so viel stärker als CR, zumal wenn man bedenkt, dass SF vor allem in den USA so viel mehr eingespielt hat.
Bei einer über einer halben Milliarde mehr Umsatz steht die Relativierung über Inflation eher auf tönernen Füssen. So betrug die Inflationsrate im von dir angesprochenen Hauptmarkt USA zwischen 2006 und 2012 nie mehr als 3,8%, war teilweise gar negativ. Es dürfte daher schwierig werden rechnerisch auf einen inflationsbereinigten CR-Umsatz von mehr als 700 MUSD zu kommen. Die Tatsache, dass gerade in den USA ein überproportionaler Umsatzanstieg festzustellen ist dürfte vor allem Sony sehr erfreut haben, da das produzierende Studio höhere Anteile an USA-Umsätzen erhält als von Übersee-Umsätzen, was sich hinsichtlich der Rentabilität von SF (gerade gegenüber dem weniger domestic-lastigen CR) positiv ausgewirkt haben dürfte und deckt sich damit mit der These, dass der tatsächliche wirtschaftliche Paukenschlag im Rahmen der Craig-Ära erst mit SF erfolgte.
Zu Daniels restlichen Ausführungen gäbe es eine Menge zu sagen, aber irgendwie will ich das nicht und es ist wohl – um eine meiner inflationär gebrauchten Formulierungen zu bemühen – auch nicht zielführend.